In diesem Jahr standen Diskussionen über die Definition und Messung von Sichtbarkeit (Viewability) bei digitaler Werbung im Zentrum des Branchendiskurses. Werbungtreibende fürchten – oftmals zurecht – einen großen Anteil ihres Budgets auf Anzeigen zu verschwenden, die aufgrund von AdFraud oder einer Auslieferung außerhalb des sichtbaren Bereichs von niemandem gesehen werden. Schwieriger ist die Bewertung der Viewtime: Dass eine Anzeige länger auf dem Bildschirm angezeigt wird, bedeutet nicht automatisch, dass sie auch tatsächlich länger betrachtet wird oder zwangsläufig eine höhere Werbewirkung entfaltet.
Sichtbarkeit bedeutet nicht gleich Aufmerksamkeit
Die in der Branche gängigen Viewability-Metriken sind nicht in der Lage, Unterschiede in der Wahrnehmung verschiedener Plattformen abzubilden. In mobilen Newsfeeds sehen Nutzer einen Beitrag nach dem anderen. Dabei treffen sie jeweils eine bewusste Entscheidung, ob ein Inhalt oder eine Anzeige für sie von Interesse ist oder ob sie zum nächsten Post weiterscrollen. Auf dem Desktop-Browser ist es üblich, Anzeigen in einem vom Inhalt der Seite separierten Bereich zu platzieren.
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Seven-One bezweifelt Wirkung von Video-Ads auf Google und Facebook
Können Video Ads auf Google und Facebook TV-Spots in Sachen Wirksamkeit eins zu eins ersetzen? Seven-One Media legt diese Woche erneut eine Studie vor, die zeigen soll, dass es mit Video Ads auf Facebook nicht weit her ist.
Diese werden jedoch aufgrund der selektiven Wahrnehmung von Menschen oft ausgeblendet, egal wie lange sie sichtbar sind. Rein aus dem Wert der Viewability lassen sich keine Rückschlüsse auf die eigentlich relevanten Werbewirkungskennzahlen, wie beispielsweise Brand und Sales Lift, ziehen.
„Rein aus dem Wert der Viewability lassen sich keine Rückschlüsse auf die eigentlich relevanten Werbewirkungskennzahlen, wie beispielsweise Brand und Sales Lift, ziehen.“
Torsten Müller-Klockmann
Wo liegt die Aufmerksamkeit beim Fernsehen?
Viele Metriken für TV-Reichweiten basieren ebenfalls auf der Dauer, die jemand vor dem eingeschalteten Fernseher verbringt. Studienergebnisse der AGF zeigen, dass seit 2009 immer weniger Menschen in Deutschland während der TV-Werbepausen umschalten. Die Frage ist allerdings, ob die Zuschauer den Werbespots tatsächlich ihre Aufmerksamkeit schenken. Werden Werbespots öfter angesehen oder wechseln die Zuschauer statt zu zappen auf ihr digitales Gerät? Im Rahmen unserer
"Parallel Screening Behaviour on TV and Smartphone"-Analyse haben wir mittels zweier Studien genau diese Frage untersucht.
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Facebook liefert Antwort auf Parallelnutzungs-Studie von Seven-One
Freunde, das steht fest, werden Facebook und Seven-One Media so schnell nicht mehr. Nachdem der TV-Vermarkter in der vergangenen Woche analysiert hat, dass Video Ads im sozialen Netzwerk viel schlechter wirken als Fernsehspots, meldet sich nun Facebook zu Wort.
Der Mobile Screen zieht die Augen an
In einer quantitativen Studie haben wir uns mit MEC und der GfK angesehen, wie oft und wie lange Menschen ihre digitalen Geräte während der TV-Werbepausen nutzen. Smartphone-Besitzer sind in 30% der Zeit, während der TV-Spots laufen, parallel mit ihren digitalen Geräten beschäftigt. Im Durchschnitt nutzen sie Smartphone und Co. in 37% aller Werbepausen. Diese Zahlen stiegen von 2014 bis 2016 stark an.
Mit Unterstützung von Annalect haben wir eine zusätzliche qualitative Studie mittels Eyetracking durchgeführt, die dieses Verhalten genauer untersucht. Dabei stellten wir fest, dass TV-Spots lediglich 55% der Zeit betrachtet werden – Toilettenpausen und Gänge zum Kühlschrank sind hier bereits herausgerechnet. Wenn Mobile-Anzeigen auf dem parallel genutzten Bildschirm des Smartphones erscheinen, schenken die Menschen ihnen hingegen in ca. 80% der Zeit ihre Aufmerksamkeit.
Auch die kontinuierlichen Aufmerksamkeitsspannen auf Mobilgeräten dauern in der Regel länger an als beim Fernseher: Nur etwa 20% der Betrachtung von Fernsehsendungen und -Werbung ist länger als 11 Sekunden am Stück. Für Smartphones und Facebook im Allgemeinen ist die Betrachtungsdauer in 44% der Fälle länger als 11 Sekunden. Für mobile Video und Display Anzeigen ist die Aufmerksamkeitsspanne insgesamt etwas geringer als beim Fernsehen – hierbei gilt jedoch zu beachten, dass TV-Spots in der Regel viel länger (30 Sekunden und mehr) sind als Mobile Ads.
Was bedeutet das für die Branche?
Wir haben diese Untersuchung nicht durchgeführt, um das Fernsehen zu diskreditieren. Fernsehen kann – wie jeder Videokanal – sehr effektiv sein, wenn es um die Steigerung von Markenwerten und Verkäufen geht. Aber es ist wichtig, die zurzeit teils hitzigen Diskussionen zu den Fakten zurückzubringen. Werbungtreibende und Mediaplaner sollten immer daran denken, dass Messwerte zur Sichtbarkeit nur eine Aussage darüber treffen können, wie lange etwas auf dem Bildschirm angezeigt wird. Sie sagen nichts darüber aus, ob den Inhalten Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Insbesondere mobile und TV weisen hier große Unterschiede auf. Werbungtreibende sollten nach Möglichkeit stets die Metriken betrachten, die ihre Hauptziele widerspiegeln, also zumeist den Branding und Sales Uplift. Ein ROI von zwei mit einer Sichtbarkeit von 10% ist schließlich immer besser als ein ROI von 0,2 mit 100% Sichtbarkeit.
Warum wir überdenken müssen, wie wir den Wert von Werbung bemessen