Business Insider kommt nach Deutschland. Die von dem ehemaligen Merrill-Lynch-Analysten Henry Blodget 2007 gegründete Nachrichten-Site ist eine der interessantesten Newcomer im Medienbereich und könnte Handelsblatt, FAZ und Wiwo das Leben schwer machen. Vier Argumente, warum deutsche Wirtschaftssites vor dem US-Titel Respekt haben sollten; zwei Argumente, warum der Machtkampf für Handelsblatt & Co gut ausgehen könnte.
1. Machtvolles Bündnis für Digitaljournalismus
Dass Business Insider (BI) nach Deutschland kommt, ist nicht überraschend. Im Januar war Axel Springer Hauptinvestor einer 25 Millionen Dollar hohen Finanzierungsrunde für die weitere Expansion der US-Wirtschaftswebsite. Für das Berliner Medienhaus war das Engagement in mehrfacher Hinsicht ein kluger Schachzug. Die Investition verschafft Springer eine 7-Prozent-Beteiligung und damit Zugang und Zugriff auf eines der angesagtesten Wachstumsunternehmen im Mediensektor. Zugleich schärft es das eigene Profil im Bereich der Finanz- und Entscheidermedien.
Axel Springer befindet sich in guter Gesellschaft: Einer der Investoren ist Amazon-Gründer und Washington Post-Besitzer Jeff Bezos.
Henry Blodget, Mathias Döpfner, Jeff Bezos – das ist eine Troika, die den deutschen Markt gehörig aufmischen könnte.
Gründer Blodget möchte aus Business Insider das Wall Street Journal des digitalen Zeitalters machen. Döpfner aus Axel Springer ein global agierendes digitales Medienhaus. Und Jeff Bezos möchte, dass die Menschen weltweit vor allen Dingen seine Plattformen nutzen (Amazon, Kindle, Prime Time, Washington Post, und eben auch BI). Für Mitbewerber wirkt BI angesichts der schwergewichtigen Betreiber wie der "böse Wolf" im Wirtschaftsnachrichten-Sektor. Tatsächlich ist BI eines der interessantesten Business-Portale weltweit.
2. Viel Geld für Expansion, Experiment und Expertise
Deutsche Digitalmedien kämpfen mit zwei entscheidenden Mankos: der deutschen Sprache und der fehlenden Bereitschaft von Kapitalgebern, in Medien zu investieren (beziehungsweise der fehlenden Bereitschaft von Verlegern, mit Venture Capital zusammenzuarbeiten oder selbst überdurchschnittlich zu investieren).
Weil unser Sprachraum kleiner ist, sind die möglichen Umsätze aus Digital-Journalismus naturgemäß niedriger im angelsächsischen Raum. US-Amerikaner können deshalb so lautstark davon schwärmen, dass es noch nie eine bessere Zeit für Journalismus gegeben hat, weil sich Angebote wie Politico, Quartz, Buzzfeed und eben Business Insider dank höherer Reichweite und finanzstarker Förderer immens schnell international weiterentwickeln können.
Zumindest im Vergleich zu den deutschen.
Business Insider ist acht Jahre jung und angeblich seit vergangenem Jahr profitabel (übrigens auch dank Paid-Content-Angeboten wie der 3000 Dollar pro Jahr teuren Version BI Intelligence). Sieben Länder-Editionen gibt es bereits (USA, Großbritannien, Indien, Singapur, Malaysia, Indonesien, Australien). Und die Expansion soll zügig weitergehen.
Ein Start-up ist Business Insider also nicht mehr. Aber Henry Blodget denkt immer noch wie ein Gründer: Wachstum ist wichtiger Profit. Deutsche Medienhäuser agieren in der Regel genau umgekehrt: Profit ist wichtiger als Wachstum.
In den alten Zeiten mag das die richtige Strategie gewesen sein. In der Netzökonomie verfängt diese Strategie nicht.
Weil das Internet dazu neigt, Monopole oder Oligopole zu bilden, ist es für Medienmarken ganz entscheidend, Reichweite, Nutzerschaft und Aufmerksamkeit aufzubauen. Das geht in der Regel nur mit entsprechenden Investitionen. Hinzu kommt: Man kann nur zum Medienliebling der Menschen werden, wenn man sie auf vielen Kanälen umgarnt: der eigenen Website, den sozialen Medien, B-to-B-Plattformen wie LinkedIn.
Business Insider ist – wie das Boulevard-Pendant Buzzfeed – ein Meister der Content Promotion. Auch hier machen US-Angebote deutschen Medien immer noch etwas vor.
3. Man braucht keine Printmutter, um digital erfolgreich zu sein
Blodget würde sagen: „Print ist der analoge Bremsklotz für Digital.“ Für deutsche Verleger ist Print aus nachvollziehbaren Gründen immer noch wichtiger als die digitalen Angebot: Ordentlich Profit wird in der Regel mit Magazinen oder Zeitungen gemacht, der Verkauf von Anzeigen bringt nun einmal mehr als der Verkauf von Bannern (und das wird sich auch niemals ändern).
Dieser eigentlich vernünftige Ansatz ist im Digitalen zugleich einer der größten Hemmnisse. Erfolg ist bekanntlich der größte Feind der Innovation – und vielen Verlagen geht es immer noch besser, als ihre Klagen vermuten lassen.
Alpha Apps oder
Warum Medien höllisch aufpassen müssen
Das App-Ökosystem steht vor einem radikalen Veränderungsprozess. Die US-Internetkonzerne sind dabei, ihre Plattformen zu Alpha Apps auszubauen. Drängt das Oligopol aus Apple, Amazon, Google und Facebook Medien und ihre Marken unter das digitale Existenzminimum? ...
Man kann nur unterschreiben, wenn
Spiegel-Online-Geschäftsführerin Katharina Borchert fordert, dass deutsche Verlage mehr Mut zum Experiment entwickeln müssen.
Man könnte ergänzen: Sie sollten den Mut haben, sich möglicherweise selbst zu kannibalisieren.
(Ein gutes Beispiel für kreative Selbstkannibalisierung kommt ausgerechnet aus dem FAZ-Imperium. Neben der mobilen FAZ.net-App gibt es seit kurzem
FAZ – Der Tag, wo die wichtigsten Meldungen des Tages publiziert werden. Der Tag wird FAZ.net Leser wegschnappen. Wenn die Zugriffe auf FAZ.net und Der Tag zusammengenommen höher sind als die von FAZ.net alleine, ist die Strategie von Digitalchef Mathias Müller von Blumencron aufgegangen.)
Ex-Banker Blodget muss nicht auf die Belange einer ängstlichen Printmutter Rücksicht nehmen. Er kann so schnell und nachhaltig agieren, wie es die Geldgeber möglich machen.
4. Old School versus. New School
In einem HORIZONT-Interview hat Philipp Westermeyer, Gründer von Online Marketing Rockstars, fast flehentlich gefragt:
„Wo bleibt das deutsche Business Insider?“ Jetzt kannn man ihm antworten: „Ende des Jahres kommt immerhin die deutsche Ausgabe des US-Originals.“
Business Insider steht, wie Quartz, The Verge und Politico, für qualitativ hochwertigen Digital-Journalismus der neuen Schule.
Handelsblatt dagegen ist „Old School“ (Westermeyer). Interessant sein wird in der Tat, zu schauen, wie die deutsche Old School den Kampf um Leseraufmerksamkeit gegen den digitalen Newcomer bestehen wird (was aber auch umgekehrt gilt).
In den USA erreicht BI mit 120 Redakteuren rund 70 Millionen Unique Visitors monatlich. Die Reichweite ist größer als die des Wall Street Journal. Die Journalisten,
berichtet die Welt, haben die Aufgabe, täglich fünf Storys zu schreiben.
Wobei Storys vollkommen unterschiedliche Formate sein können: Der lange Lesetext genauso wie ein Twitter-Tweet, ein Ministück oder ein Foto. Klar spielen Videos eine große Rolle. Die Mehrheit der Redakteure sind junge Digital Natives, die Mehrheit der Leser auch (Millennials zwischen 18 und 35 Jahren).
Neben klassischen Politik- und Wirtschaftsthemen finden Leser Texte wie „8 hours of sleep can make you happier — plus 21 other discoveries from sleep-tracking devices“ und Clips über den besten Workout für Büroangestellte – Themen, deren Überschriften sich lesen wie eine Buzzfeed-light-Headline. Allen Artikeln gemeinsam: Sie müssen am Desktop genauso gut lesbar sein wie auf dem Smartphone.
Dies alles macht aus einer Nachrichten-Site eine coole Informations- und Entertainment-Plattform. Diese Coolness fehlt den meisten deutschen Wirtschaftsmedien.
Zwei Argumente, warum Handelsblatt und Co nicht in Ehrfurcht erstarren müssen
1. Wer ist schon Business Insider?
Die alten deutschen Medienmarken mögen für Millennials wie Philipp Westermeyer nicht cool genug oder zu sehr Old School sein. Das muss nicht unbedingt schlecht sein. Sie sind bekannt. Jeder Leser weiß, was er an ihnen hat. Viele Leser werden fragen: „Wer ist Business Insider?“
Klassische Marken, die es geschafft haben, trotz/dank/mit einer Printmutter erfolgreiche Digital-Ableger zu etablieren, haben im Printland Deutschland beste Chancen, weiter vorn mitspielen: Manchmal schlagen im Netz starke Marken finanzkräftige Herausforderer. Buzzfeed ist in Deutschland auch längst nicht so stark wie das Original in den USA. Twitter ist hierzulande vor allen Dingen ein Journalisten-, aber kein Massenphänomen.
Der deutsche Konservativismus bei Lesern und Verlegern wird also vermutlich eine Zeit lang gegen die Newcomer aus Übersee helfen. Die Betonung liegt auf „eine Zeit lang“. „In den nächsten zehn bis 30 Jahren wird das lesende Publikum, das heute noch zur Hälfte gedruckte Medien liest und viel lineares Fernsehen schaut, ausschließlich digitale Medien konsumieren“, sagt BI-Chef Blodget.
Das glaube ich auch.
2. Wo liegt schon Deutschland?
Der
inhaltlich schwache Start der
europäischen Version des Polit-Mediums Politico hat gezeigt: Die Europa-Ableger von amerikanischen Angeboten betrachten die Welt allzu eindimensional aus US-Perspektive.
(Anmerkung 4. August, 9 Uhr 40: Gemeint war der inhaltlich schwache Start des Angebots, deshalb auch der Link auf eine Spon-Kritik. Die vermeldeten Zahlen nach drei Monaten sind ziemlich beachtlich: 2,5 Page Impressions pro Monat, 1 Million Unique Visitors im Juli - 50 Prozent mehr als im Juni). Wer ein digitales Nachrichtenmagazin in Deutschland auf den Markt bringt, braucht deutsche und nicht vorwiegend internationale Geschichten.
Es wird interessant zu beobachten sein, in welchen Redaktionen Blodget einkaufen wird. Business Insider braucht deutsche Wirtschaftsjournalisten, der Axel-Springer-Titel Welt wird sie nicht zur Verfügung stellen können.
Ende des Jahres legt Business Insider Germany los. Henry Blodget streichelt derweil misstrauische deutschen Seelen: „Die Medienbranche ist keine Branche mit nur einem Gewinner. Es wird viele Gewinner geben.“