Wegen der Corona-Pandemie wurden in den vergangenen Wochen zahlreiche Kampagnen gestoppt. Nicht nur aus Kostengründen, sondern auch weil die Tonalität in Krisenzeiten einfach nicht angemessen war. Mit der Frage, wie Marketing nach der Corona-Krise aussehen muss, hat sich Lars Kreyenhagen auseinandergesetzt. In seiner Talking-Heads-Kolumne fordert der Strategiechef der Brandingagentur Karl Anders, dass sich Markenführung künftig noch mehr mit der Gestaltung des guten Lebens auseinandersetzen sollte.
Die Corona-Pandemie erschüttert das Fundament unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Miteinanders. Alle Anstrengungen gelten gerade dem Ausnahmezustand, jeder hat sich auf den Modus „Business as unusual“ eingestellt – aber kommt danach?
Pessimistische Stimmen sprechen von einem neuen Rückzug, von der Abkehr ins Private, einer Verzwergung der Lebensgewohnheiten, der Abkapselung in nationale Isolation. Die kollektive Corona-Erfahrung kann aber auch eine Chance für Ansätze sein, die zu einem gesünderen Wirtschaftssystem und globaler Solidarität führen, der Neuordnung des Zusammenlebens auf lokaler und globaler Ebene.
Gesunde Markenführung
Die Pandemie führt uns vor Augen, welchen Wert Gesundheit hat. Sie beschleunigt aber auch die Tiefenströmungen in der Gesellschaft, die schon länger auf ihren Ausbruch warten. In einer globalen Studie von Deloitte aus dem Jahr 2019 gaben 63 Prozent der Jugendlichen bereits an, dass der Hauptzweck eines Unternehmens nicht Wachstum sein sollte, sondern die „Gesellschaft zu verbessern“. Die Generation Greta fordert ethische Prinzipien ein.
Talking Head Lars Kreyenhagen
Lars Kreyenhagen, Strategy Director bei der Brandingagentur Karl Anders, ist Markenstratege, Netzwerker, leidenschaftlicher Gründer und Experte für Personal Relations. Bereits 2007 gründete er die HR-Boutique Markenpersonal. 2011 folgte dann gemeinsam mit Claudia Fischer-Appelt die Gründung der Designagentur Karl Anders. 2019 eröffneten die beiden Kreativen das Gemeindehaus - Creative Workspace und expandierten mit Karl Anders nach Paris, wo sie mit dem Red Star FC den traditionsreichsten Fußballverein des Landes als Kunden gewannen. Das Studio arbeitet darüber hinaus für Kunden wie Hamburger Hochbahn, Premium, Seek, Volt und Vitra. Er ist zweifacher Vater, begeisterter Tennisspieler und liebt Lakritz.
US-Verbraucher erwarten laut Adweek in der aktuellen Krise von Unternehmen mehr denn je, dass Marken alle Anstrengungen darauf konzentrieren, angemessene und sinnvolle Lösungen für Probleme zu finden, mit denen Menschen heutzutage konfrontiert sind. Solve, don’t sell, lautet die Parole, die in Zukunft noch ausschlaggebender sein wird.
Dass sich etwas gut verkauft, also wirkt, wird in Zukunft nicht mehr den Ausschlag geben. Absatz darf nicht die Welt kosten, nicht die Gesundheit, nicht den sozialen Zusammenhalt.
Lars Kreyenhagen
Konsum ja, aber noch bewusster: Der Tourismus wird mehr Reisen mit Resonanz fördern,
anstatt keimige Ischgl-Höllen anzupreisen, Kampagnen werden noch mehr Lösungsansätze in den Mittelpunkt stellen müssen, anstatt alarmistische Werbung zu schalten. Dass sich etwas gut verkauft, also
wirkt, wird in Zukunft nicht mehr den Ausschlag geben. Absatz darf nicht die Welt kosten, nicht die Gesundheit, nicht den sozialen Zusammenhalt.
Die Zeit für eine verantwortungsvolle Markenführung ist gekommen. Sie gründet darauf, dass das Versprechen einer Marke nicht mehr allein dem Verkauf dient, sondern auch soziale Teilhabe stiftet, sich einer gesunden und grünen Transformation verschreibt. Kurz: ein gutes Leben ermöglicht. Dazu braucht es ein starkes Markenethos.
Die Ausdifferenzierung von Werten
In Zukunft heben sich Unternehmen immer weniger durch Produkt ab, sondern auch dadurch, welche Werte sie für wichtig erachten und welche Angebote des gesunden Zusammenlebens sie entwerfen. Vor der Corona-Pandemie gaben „Nachhaltigkeit“ und „Diversität“ den Ton an.
Renault Clio: The French Exchange
Die Kampagne „The French Exchange“ des Autoherstellers Renault behandelte etwa
Vielfalt. Ein Spot erzählte die Geschichte einer gleichgeschlechtlichen Liebe. Nur die letzten fünf Sekunden enthüllten, was man gerade gesehen hatte: einen Werbespot für den neuen Renault Clio. Das Video in Netflix-Ästhetik schlug in den USA hohe Wellen, obwohl der Wagen dort nicht einmal zum Verkauf stand, allein weil er Identifikationsangebote bot, nicht nur eine am Reißbrett entworfene Markenwelt.
Der französische Fußballclub Red Star FC, dessen Stadium im multiethnischen Vorort von Paris Saint-Ouen liegt, hat sich auch abseits des Platzes der
Chancengleichheit verschrieben. Der soziale Aufstieg von Menschen wird hier genauso gefeiert wie der sportliche Aufstieg in der Tabelle.
Wozu eine Marke nützt, wird bald nicht mehr durch Absatz und Aufmerksamkeit bestimmt, sondern dadurch, welchen sinnstiftenden Beitrag sie im Leben der einzelnen Menschen einnimmt.
Lars Kreyenhagen
Naturverbundenheit bleibt bis heute der Kern des Bekleidungsherstellers Patagonia, der im Umweltschutz den Grund für seine Existenz sieht. Auf der eigenen Webseite wird der CO2-Ausstoß offengelegt und als „Teil des Problems“ kritisiert.
Grün und divers, dabei wird es nicht mehr bleiben. Solche gesellschaftlichen Treiber werden zur Selbstverständlichkeit, gerade beim Wirtschaften. Werte werden sich weiter ausdifferenzieren, wie früher Produkte. Gedankenspiel: Wie kann ein Baumarkt den Wert „Freundschaft“ glaubwürdig beleben, ein Lebensmittelhersteller den Wert „Güte“ oder eine Bank den Wert „Treue“, wo doch so viele Kredite von Unternehmen gerade abgeschmettert werden?
Jede Marke braucht in Zukunft ein tiefer liegendes Ethos, um das eigene Geschäftsfeld zu transzendieren: Was will eine Bank mehr als Profit? Was kann ein Energie-Unternehmen für den Erhalt des Planeten tun? Wie hilft ein Kosmetikhersteller dabei, ein gesellschaftliches Bild das Älterwerden zu schaffen, welche das wahre Alter wertschätzt und die positiven Veränderungen betont? Wie macht ein Immobilienunternehmen Wohnen günstiger? Wozu eine Marke nützt, wird bald nicht mehr durch Absatz und Aufmerksamkeit bestimmt, sondern dadurch, welchen sinnstiftenden Beitrag sie im Leben der einzelnen Menschen einnimmt.
Markenführung erfordert nach Corona das Design einer ethischen Kultur.
Für Unternehmen bedeutet das, dass Gewinne nicht ausschließlich in der Bilanz zu finden sind. Sondern auch in den Werten, denen sie sich zunehmend verschreiben.