Was haben die Steinkohlezeche Prosper Haniel und die Erfindung von Google gemeinsam? Beide stehen für einen massiven Strukturwandel, so Sigmar Gabriel zum Auftakt des Innovationstages. Der Außenminister AD ist der Keynote-Speaker der Branchenveranstaltung, die die Serviceplan-Gruppe in diesem Jahr zum14. Mal im Haus der Kommunikation abhält.
Ein Blick zurück in die Vergangenheit helfe, die Zukunft zu verstehen. Mit der Zeche schließt Ende des Jahres das letzte Steinkohlebergwerk in Deutschland. "Das ist das Ende einer Ära", so Gabriel. Der Strukturwandel 1.0, sozusagen. 60 Jahre hat diese Ära gedauert, und ihr Ende ist seit Jahrzehnten angekündigt, Menschen haben sich darauf eingestellt, Subventionen wurden gezahlt.
Doch die Zyklen werden kürzer. Als im September 1998 Google an den Start ging, habe im Koalitionsvertrag kein Wort von Internet oder Digitalisierung gestanden. Heute beherrscht Google zusammen mit Amazon, Facebook, Apple und Microsoft, den Big Five, quasi die Welt. "Das ist Strukturwandel 4.0. Wir waren gewohnt, dass sich Veränderungen im Takt der Generationen vollziehen. Doch die Digitalisierung verändert unser Leben so dramatisch, dass nicht jeder mitkommt."
Europa und Deutschland hätten es noch nicht geschafft, mit dieser Entwicklung Schritt zu halten. Beispiel Automobilindustrie: "Während Deutschland noch versucht, den Anschluss an die Elektromobilität zu finden, sind junge Leute schon gar nicht mehr an Autos interessiert, nur noch an Moblität". Plattformen für Connectivity seien die Antwort. "Das neue Auto ist ein Computer auf vier Rädern", glaubt Gabriel. Während Google und Co das begreifen, versuche Deutschland den doppelten Stresstest zu bewältigen, so der Ex-Außenminister: "Zum einen, wie bleibt man wirtschaftlich erfolgreich, zum anderen, wie bewältigen wir die dazu nötigen Anpassungsprozesse?"
Für solche Szenarien hat noch nicht einmal George Orwells Phantasie ausgereicht. Big Data trifft Big Brother.
Sigmar Gabriel
Europa habe hier das Nachsehen. Aber nicht nur mit Blick auf den Westen sondern auch nach Osten müsse man schauen, so Gabriel. China habe angekündigt, zehn globale Tech-Führer bis 2025 aufbauen zu wollen. "2025. Das ist morgen, das ist nur um die Ecke", warnt Gabriel. Tech-Giganten wie Alibaba, Tencent und Baidu profitieren in China von kontrollierten Märkten. Die digitale Revolution ermögliche solchen autoritären Regimen, noch autoritärer zu werden. "Für solche Szenarien hat noch nicht einmal George Orwells Phantasie ausgereicht. Big Data trifft Big Brother", erklärt Gabriel und nennt als Beispiel das Social-Credits-System, das die chinesische Regierung gerade mithilfe des Tech-Sektors aufbauen würde, um das Verhalten der Bürger zu kontrollieren. Wer sich "sozialverträglich" benehme, bekomme dann leichter einen Job, eine Wohnung, ein Auto.
Welche Rolle wird Europa zwischen diesen beiden Digitalmächten einnehmen, fragt Gabriel. Wird es zu einem Schlachtfeld der beiden Modelle – Silicon Valley oder China – oder kann Europa eigene, bessere Antworten geben, ein eigener Player werden? "Wir müssen gemeinsame Werte, einen gemeinsamen Ansatz finden", fordert der Außenminister. 9,3 Milliarden hat die EU derzeit für den Ausbau der Digitalisierung vorgesehen, das klinge viel, sei aber viel zu wenig. 14 Milliarden betrage Googles Forschungsbudget. Und China wolle 150 Milliarden in die Digitale Transformation investieren. "Dagegen ist unser Budget homöopathisch." Europa brauche einen digitalen Binnenmarkt, fordert Gabriel. Das sei die Basis für Wachstum und Innovation. Und mahnt zum Schluss: "Deutschland kann hier keinen Alleingang machen."
vg