Serie "Ageism" (Teil 2)

"Mindset ist relevanter als Geburtsjahr"

Thomas Lüdeke (41), Managing Partner PRCC Personalberatung
Myriam Topel
Thomas Lüdeke (41), Managing Partner PRCC Personalberatung
Fachkräftemangel, Babyboomer kurz vor der Rente und eine wechselwillige GenZ setzen die Arbeitsmärkte unter Druck. Laut Thomas Lüdeke (41), Managing Partner PRCC Personalberatung, kommen auch eine niedrige Frustrationstoleranz bei jüngeren Mitarbeitenden und der stete Strom in die Selbstständigkeit dazu. Dieses Interview gehört zu einer mehrteiligen Serie über Ageism (Altersdiskriminierung).
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Herr Lüdeke, immer mehr Unternehmen entdecken, dass ältere Mitarbeitende eine große Hilfe beim Kampf gegen den Fachkräftemangel sein können. War diese Klientel bislang unterschätzt? 

Man hat es sich vielerorts leicht gemacht: Die Pipeline an gut ausgebildeten und vergleichsweise günstigen Young Professionals war lange gut gefüllt. Jetzt ist die Not groß. Vernachlässigt wurde auch oft, dass ältere Mitarbeitende einen großen Erfahrungsschatz mitbringen, der höhere Gehälter durchaus rechtfertigt. 


Sie sind 41 Jahre alt. Wie definieren Sie "alt" am Arbeitsplatz?
Für mich ist "alt" eine Frage des Mindsets. Die Haltung zu lebenslangem Lernen, zur Digitalisierung, zu Veränderungen der Anforderungen ist relevanter als das Geburtsjahr. Es gibt genug Junge mit "altem Mindset", also Mitarbeitende, die sich nicht bewegen wollen. "Alt" oder "jung" sind relative Begriffe, wenn es um den Einsatz am Arbeitsplatz geht. In vielen Unternehmen wird das aber leider noch anders gesehen. 
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Autorin Anja Sturm ist freie Autorin im Redaktionsteam der Career Pioneer GmbH und Co. KG mit Sitz in Wiesbaden. Das Unternehmen wurde am 1. Januar 2022 als Joint Venture der dfv Mediengruppe und Immobilien Zeitung gegründet. Als Spezialist für Themen zu HR und Karriere sowie Employer Branding-Konzepte betreibt cp.jobs verschiedene Jobportale der dfv Mediengruppe, unter anderem das Branchenportal HORIZONTJobs.
Womit tun sich Unternehmen am schwersten?
Für eine möglichst langfristige Bindung fahren Arbeitgebende inzwischen einen großen Aufwand – vor allem bei der Arbeitsplatzgestaltung – und versuchen so, die Wechselmotivation zu reduzieren. Dennoch sind Wechsel nach kürzeren Zugehörigkeiten an der Tagesordnung. Dafür gibt es mehrere Gründe, aber zwei davon sind auffallend oft zu finden: Zum einen haben sich gerade in den Pandemie-Jahren viele für einen Wechsel in die Selbstständigkeit entschieden – in allen Altersklassen. Zum anderen sehen wir besonders bei jüngeren Kandidaten, dass immer weniger Frustrationstoleranz besteht. Da werden gerne mal drei, vier schnelle Jobwechsel damit begründet, dass irgendwas nicht ganz rund lief. Es geht nicht darum, sich alles gefallen zu lassen. Aber nur, weil man mit einer Entscheidung des Arbeitgebenden unzufrieden ist, muss man sich nicht gleich jedes Mal einen neuen Job suchen. 

Die Top 5 der Argumente gegen ältere Mitarbeitende lauten aus Sicht vieler Arbeitgebenden: zu wenig digital-affin, zu unflexibel, zu kritisch, zu eigenständig und vor allem zu teuer. Alles Quatsch? 

Oft wird auch noch "zu wenig operativ" erwähnt. Alle Punkte finde ich zu pauschal. "Zu unflexibel" und "zu kritisch" wird außerdem gerne der Generation Z vorgeworfen – auch wenn damit meist mangelnde Anpassungsfähigkeit gemeint ist. Aber auch hier ist eine pauschale Aussage falsch. Beim Thema Gehalt sieht das ein wenig anders aus. Wer viele Jahre im Job ist, hat in der Regel auch eine höhere Gehaltsvorstellung. Wenn die Differenz der jeweiligen Vorstellungen einfach zu groß ist, wird es schwierig, einen Kompromiss zu finden. 

Altersdiverse Teams sind aber auch eine Herausforderung für die Führungskräfte. Sie haben mal geschrieben: "Führungskräfte sollten reflektiert und demütig genug sein, nicht immer der oder die Schlaueste im Raum sein zu wollen". Wollen viele jüngere Führungskräfte gar keine alten Kollegen im Team haben aus Angst vor Besserwissern?
Die gibt es in jeder Generation. Ob jemand meint, alles schon erlebt zu haben oder ob jemand meint, die Weisheit gepachtet zu haben, weil er oder sie das an der Uni gerade ganz frisch so gelernt hat, ist letztlich egal. Stellt man aber ein generationenübergreifendes Team zusammen, muss man sich im Klaren sein, dass das auch eine Führungsaufgabe ist. Agile, weniger hierarchisch geführte Teams haben es hier sicher leichter. 

Ist Altersdiskriminierung demnach vor allem ein Leadership-Thema?
Aus meiner Sicht ja. Die Führung diverser Teams ist für manch einen ungewohnt und unbequem. Für moderne Führungskräfte ist es aber eine Selbstverständlichkeit. Sie stellen diverse Teams auf, weil sie sich des Wertes unterschiedlicher Sicht- und Herangehensweisen bewusst sind, kurz: Sie tun es, um erfolgreicher zu sein. 

Ageism hängt auch von Hierarchien ab. Top-Führungskräfte sind mit Mitte 50 noch okay, darunter hingegen gelten viele Mitarbeitende schon mit Mitte 40 als ziemlich alt. Wie doof ist das eigentlich? 
Für Unternehmen wird es immer dann schwierig, wenn sie mit Mitarbeitenden nichts mehr anzufangen wissen, etwa weil sie in ihrer Entwicklung stehen geblieben sind und einfach nur an ihrem Stuhl festhalten. Gleichzeitig ist es Aufgabe der Arbeitgebenden, dafür zu sorgen, dass es dazu gar nicht erst kommt. Oft führt bei Unternehmen erst eine Krise dazu, dass solche Veränderungen angestoßen werden. 
In manchen Branchen, etwa in der Agenturszene, sind die Zahlen extrem düster. Laut GWA sind dort nur sieben Prozent der Mitarbeitenden über 50. Ein Armutszeugnis für die Agenturen, oder? 
Lange war für viele quasi vorgezeichnet, dass man irgendwann von der Agentur- auf die Unternehmensseite wechselt. Agenturmensch auf Lebenszeit waren und sind nur wenige. Ebenso unüblich war ein Wechsel zurück in die Agenturwelt. So gesehen ist die Zahl kaum überraschend. Das ändert sich aber gerade etwas: Häufigere Wechsel in beide Richtungen werden üblicher, und Agenturen interessieren sich für ältere Bewerber. Wer weiß: vielleicht gibt’s da ja einige positive Überraschungen! 

Wollten oder durften bislang nicht mehr Alte in den Agenturen arbeiten?
In den Agenturen hat sich in den letzten Jahren viel getan, aber die Stereotypen kommen ja nicht von ungefähr. Es war früher durchaus üblich, dass Agenturleute eben nicht acht Stunden gearbeitet haben, sondern zehn oder zwölf und vor Pitches auch mal die ganze Nacht. Das kann man nur eine bestimmte Zeit durchhalten und spätestens, wenn Kinder ins Spiel kommen, sind viele – zu Recht – nicht mehr bereit, diese Arbeitsweise mitzugehen. Aber wie gesagt: Wir sehen da Bewegung. 

Auch in vielen anderen Branchen gibt es zu wenige ältere Mitarbeitende. Was muss passieren, damit sie bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt bekommen? 
Ältere Mitarbeiter wissen aus Erfahrung, wie Unternehmen funktionieren. Verbunden mit aktuellem und fundiertem Wissen rund um neue Entwicklungen ist das eine attraktive Kombination. Also wäre meine Antwort: lebenslange Weiterbildung und konsequentes Anwenden des Gelernten. Letzteres ist genauso wichtig wie die Bereitschaft zum Lernen, denn wir erleben in Bewerbungsgesprächen leider immer wieder, dass sich mancher Punkt im Lebenslauf als ein sehr theoretischer herausstellt. 

Braucht es eine Ü50-Quote ähnlich der Frauenquote? 
Ich bin kein Freund von Quoten – für mich sind sie eher ein manchmal nötiger Beschleuniger für dringend erforderliche Veränderungen. Der angespannte Arbeitsmarkt regelt gerade einiges mit ungewohnter Geschwindigkeit, und das wird auch den Ü50 spürbar zugutekommen. Und abgesehen davon: Wie sollte die Quote aussehen? Die Frauenquote setzt man ja primär im Aufsichtsrat oder Vorstand großer Unternehmen an. Ich denke, dort sind Ü50 bereits bestens vertreten. 

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