+ Schrumpfen und verteuern

Wie die "Shrinkflation" sich in Deutschland ausbreitet

Unternehmen müssen auf die Inflationsrate reagieren.
IMAGO / Martin Wagner
Unternehmen müssen auf die Inflationsrate reagieren.
Die Inflation ist in der Marketingbranche angekommen. Bei einer Inflationsrate von 7,9 Prozent, einem Anstieg der Verbraucherpreise bei Nahrungsmitteln um 11,7 Prozent und einer Erhöhung der Energiepreise um 33,7 Prozent schwindet die Akzeptanz der Konsumenten für weitere Preissteigerungen. Doch Unternehmen ächzen unter dem steigenden Kostendruck. Knappe Rohstoffe, gestörte Lieferketten und explodierende Beschaffungspreise als Folgen der Corona-Pandemie-Maßnahmen und des Ukraine-Kriegs machen ihnen zu schaffen.
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Eine Lösung, die immer beliebter wird: Produkte werden nicht nur teurer, sondern vor allem kleiner. Shrinkflation heißt das Phänomen, das bereits seit Längerem in den USA zu beobachten ist und nun auch in Deutschland einkehrt. "Die sogenannte 'Shrinkflation' ist in der Konsumgüterbranche sehr präsent, aber es gibt sie auch in vielen anderen Industrien", sagt Tim Brzoska, Senior Partner im Bereich Konsumgüter und Handel der Strategieberatung Simon Kucher.


Nach Beobachtung des Marketingexperten werden nicht nur Verpackungen geschrumpft, sondern auch Produkte vereinfacht oder günstigere Inhaltsstoffe genutzt. "Die Unternehmen müssen aktuell Kosten sparen." Aus Sicht des Herstellers mache die Produktschrumpfung kurzfristig durchaus Sinn, denn sie lasse sich gegenüber dem Handel deutlich besser kommunizieren. So bleiben dabei vielfach sowohl UVP (Unverbindliche Preisempfehlung) als auch der Nettopreis zum Handel unverändert.

"Preise erhöhen können in solchen Situationen nur starke und begehrte Marken", sagt Franz-Rudolf Esch, Gründer und Geschäftsführer der Beratung Esch The Brand Consultants. "Bei allen anderen Marken ist dies eine Risikostrategie." Insofern sei es nachvollziehbar, dass manche Hersteller den Inhalt ihrer Packungen schrumpfen lassen.

Beispiele gibt es zuhauf: Pringles Chips, Charmin-Toilettenpapier, Pedigree-Hundefutter oder auch Kleenex-Kosmetiktücher – sie alle geizen mit ihrem Inhalt und verkleinern das Produkt. Zusätzlich verordnen sie den Produkten oftmals einen Preisaufschlag. Konsumgüterexperten sind der Ansicht, dass viele Preissteigerungen erst in der zweiten Jahreshälfte für die Konsumenten sichtbar werden. Der Druck steigt.

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Auch in der Medienbranche sind die Preiserhöhungen angekommen – und sorgen für erste Reaktionen. Das Münchener Verlagshaus Burda ("Focus", "Bunte") teilte in der vergangenen Woche mit, dass es die Brutto-Anzeigenpreise ab Juli, also unterjährig, über alle Titel hinweg um 6,1 Prozent erhöht. Als Begründung verwies das Medienhaus auf die Inflationsrate und auf die speziell für Verlagsprodukte "historisch einzigartig explodierenden" Rohstoff- und insgesamt Produktionskosten.

Tatsächlich befinden sich gedruckte Medien in einer Spezialsituation. Sie betreiben – anders als etwa Free-TV-Sender – zusätzlich ein Endkunden-Vertriebsgeschäft. Auch das wird in inflationären Zeiten schwieriger, weil ebenso die Verbraucherseite sparen muss, etwa bei Abos. Und sie führen mit Papier und Transport zwei Kostenblöcke, die aktuell besonders stark steigen.

So liegen die Produktionskosten laut Burda im Schnitt mehr als 40 Prozent über Vorjahr. Um das "Qualitätsniveau" der Produkte zu halten, so teilte der Verlag mit, "können wir die Preisentwicklung nicht mehr vollständig von unseren Kunden fernhalten". Der Jahreszeiten Verlag (Merian, Feinschmecker) deutet ebenfalls an, dass man "unter Umständen nicht um eine unterjährige Anzeigenpreiserhöhung herumkommen" werde.

Für die anderen Verlagshäuser überwiegen aktuell allerdings die Risiken einer solch drastischen Maßnahme ihre Chancen. Und sie vermuten ganz andere – wettbewerbstaktische – Gründe dahinter als (nur) eine Inflationsanpassung.

Die TV-Landschaft lässt indes Vorsicht walten: Nach den starken Preiserhöhungen bei den großen TV-Sendern im vergangenen Sommer, die bei vielen Werbungtreibenden für großen Unmut gesorgt hatten, halten sich die TV-Vermarkter in Bezug auf Preiserhöhungen aktuell bedeckt. Allerdings wird die Fußball-Weltmeisterschaft im Dezember, so sehen es Experten, den Vermarktern eine Sonderkonjunktur bescheren – und ebenfalls einen Anstieg der Preise ermöglichen. bia, rp

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