Martin Jacobi von Egro

Warum Papier für Werbung "unverzichtbar" ist

Prospektwerbung bleibt unentbehrlich, findet Martin Jacobi , Geschäftsführer des Haushaltswerbers Egro.
Beate Tomann
Prospektwerbung bleibt unentbehrlich, findet Martin Jacobi , Geschäftsführer des Haushaltswerbers Egro.
Der Abschied vom Prospekt, den Obi und Rewe angekündigt haben, hat die Debatte wieder entfacht: Passt der Oldie der Direktwerbung noch in die Zeit oder ist er ein Auslaufmodell? Er bleibt unentbehrlich, findet Martin Jacobi, Geschäftsführer des Haushaltswerbers Egro. Denn kaum ein anderes Instrument gewinne Neukunden und aktiviere Bestandskunden so gut wie der Prospekt. Welche Gründe das hat und wieso das Papier-Medium dennoch optimiert werden sollte, erklärt er im DIALOG-Interview. Ein Gespräch über Zielgruppen, Gestaltung und Verteilung, Haptik und Optik sowie über Wissen, das verloren gegangen ist.
Teilen
Print ist tot, hieß es schon Mitte der 90er Jahre in Bezug auf Zeitungen und Zeitschriften. Eine Generation später gibt es sie zwar immer noch, aber ihre Bedeutung hat immens gelitten. Steht dem gedruckten Prospekt ein ähnlicher Niedergang bevor? Martin Jacobi: Die Marketing-Kommunikation insgesamt spricht zunehmend spitzere Zielgruppen an, teilweise sogar einzelne Personen. Diese Entwicklung wird anhalten, und das kann man ja nur begrüßen. Dass dies zu Einbußen bei der Massenkommunikation führt und ihr Volumen sinkt, liegt auf der Hand. Das betrifft natürlich auch den Prospekt. Menge allein kann aber kein Maßstab sein. Wert entsteht durch Qualität.

Seit Jahrzehnten bereits wird der Prospekt als Schweinebauch-Werbung gescholten, doch die Kritik ist an ihm abgeprallt. Erfolgt der Wirkungstreffer nun an anderer Stelle? Es stimmt: Inhaltlich hat sich der Prospekt seit geraumer Zeit kaum verändert. Optimiert wurden vor allem die technische Seite, die Preis-Modelle und die Zustell-Logistik. Jetzt sind die Kosten aus dem Ruder gelaufen, insbesondere weil die Papierpreise massiv gestiegen sind und der Mindestlohn erhöht worden ist. Zurzeit ist völlig offen, ob sich das noch mal umkehren lässt. Aktuell ist der Massenversand von Prospekten nicht mehr ohne Weiteres finanzierbar. Werbungtreibende müssen genau kalkulieren, ob sie sich den Prospekt noch leisten können.

Der Kostenfaktor ist sicher auch ein wesentlicher Grund für Obi und Rewe gewesen, aus der Prospektwerbung aussteigen zu wollen. Anders als Kik und Woolworth zuvor argumentieren sie jedoch nicht mit gestiegenen Ausgaben für die Herstellung und Verteilung von Prospekten. Vielmehr passe der Handzettel nicht mehr in die Zeit. Halten Sie dagegen? Der Prospekt dient schon immer der Aktivierung von Bestandskunden und der Gewinnung von Neukunden. In diesen beiden Punkten ist er nach wie vor sehr erfolgreich. Ebenso darin, Frequenzen zu steuern. Zudem bereitet er dem Dialogmarketing den Boden, wenn er beispielsweise Coupons enthält und damit die persönliche Ansprache des Kunden ermöglicht – offline oder online. Dagegen taugt der Prospekt nicht zur Image-Werbung. Wer sie betreiben will, muss zu anderen Mitteln greifen.

So wie Obi, das den Markenaufbau bei jungen Leuten als wichtiges Ziel ausgerufen und auch damit seinen Abschied vom Prospekt begründet hat. Genau wie Rewe sagt Obi aber auch, der Prospekt sei altmodisch und verstaubt, Digital dagegen modern und chic. Was erwidern Sie? Der Prospekt war noch nie sexy. Leider ist er in den vergangenen Jahrzehnten inhaltlich so gut wie nicht weiterentwickelt und somit auch nicht für jüngere Zielgruppen attraktiver gemacht worden. Das rächt sich jetzt.

Rewes Kritik am Prospekt geht ans Eingemachte: Interne Tests, so heißt es, hätten ergeben, dass der Handzettel "keinen relevanten Effekt" mehr auf sein Geschäft habe, teilweise sogar einen negativen. Was sagen Sie dazu? Ich habe keine Möglichkeit, das zu überprüfen. Aber mir ist keine empirische Marktforschung bekannt, die eine solche Aussage erhärten würde. Wenn wir annehmen, die Tests von Rewe sind gewissenhaft und gründlich durchgeführt und die Ergebnisse exakt wiedergegeben worden, stellt sich mir die Frage, ob das Unternehmen seinen Prospekt in den vergangenen Jahren im Interesse seiner Kunden optimiert hat. Ich fürchte, das ist versäumt worden.
Rewe moniert zudem, der Print-Prospekt lasse sich nur unzureichend personalisieren und regionalisieren. Würden Sie da zustimmen? Der Prospekt kann mittlerweile so zugeschnitten werden, dass einzelne Kundengruppen besonders angesprochen, bestimmte Sortimente und Produkte speziell beworben werden. Das ließe sich auf jede Filiale anpassen, setzt allerdings Wissen über die unterschiedlichen Verhältnisse voraus. Und es erfordert Investitionen, die Rewe offenbar unterlassen hat. Wer den Prospekt abschafft und sich auf Apps konzentriert, kann Kunden zu Stammkunden und vielleicht auch zu Fans machen, läuft aber auf lange Sicht Gefahr, seine Kundenbasis zu schmälern oder gar zu verlieren, weil er nur noch die vorhandenen, jedoch keine neuen Kunden mehr adressiert.

Kommt zur Individualisierung und Regionalisierung des Prospekts der Digitaldruck infrage? Ja und nein. Das Druckverfahren hängt von der Absicht ab, mit der ein Unternehmen Kontakt zu Kunden und Interessenten aufnehmen möchte. Der Lebensmittel-Einzelhandel beispielsweise setzt auf eine permanente Kommunikation, den wöchentlichen Anstoß. Darauf sind sein Sortiment und seine Warenwirtschaft ausgerichtet. Bei der Masse an Informationen, die er in hoher Frequenz an seine Kundschaft via Prospekt übermitteln will, kommt nur der Rollendruck infrage. Digitaldruck wäre viel zu teuer.

Auch zu langsam? Für eine Millionen-Auflage bestimmt.

Wem bietet sich der Digitaldruck an? Dem Fachhandel etwa. Er wirbt mit viel kleinerer Auflage für viel weniger Angebote auf geringerer Fläche und in größeren Abständen. Er kann Teile des Prospekts leichter austauschen oder anders zusammensetzen. Und wenn er stärker individualisieren will, genügt ihm oft schon ein Selfmailer.

Welche Rolle spielt Papier für die Werbung? Papier ist für Werbung unverzichtbar. Schon aus dem Grund, weil es sich anfassen lässt. Der Mensch ist seit Jahrtausenden so veranlagt, dass er haptische Erlebnisse haben möchte und braucht. Sie prägen sich ihm viel besser ein als lediglich optische oder akustische. Wir Menschen wollen die Welt im Wortsinn begreifen und entwickeln damit unsere Bedürfnisse weiter. Der Print-Prospekt intensiviert die Auseinandersetzung mit dem Angebot und lässt es länger im Gedächtnis haften. Das haptische Erlebnis wird übrigens mit zunehmendem Alter wieder wichtiger.
Wer wie die Nahversorger einem großen Publikum Angebote per Push präsentieren will, kommt am Print-Prospekt nicht vorbei. Das kann kein anderes Instrument in dieser Schnelligkeit und Intensität leisten.
Martin Jacobi
Inwiefern? Wissenschaftler haben herausgefunden, dass Menschen ab 35 oder 40 Jahren wieder mehr Dinge zum Anfassen haben wollen. Das gilt auch für die Werbung. Ab diesem Alter nimmt das Interesse an und die Wirksamkeit von Print wieder zu.

Welche Stärken sollte der Papier-Prospekt ausbauen oder dazu gewinnen, welche Schwächen hinter sich lassen? Der Prospekt muss sich stärker an den Interessen seiner Leser orientieren. Nur das zahlt sich aus.

Was interessiert die Leser am meisten? Der Nutzwert der Angebote und worin sich die Händler voneinander unterscheiden.

Viele Prospekte gleichen sich wie ein Ei dem andern. Leider, ja. Das ist zum einen eine Frage der Kreation, der mangelnden Attraktivität der Gestaltung. Zum anderen aber auch der fehlenden Konzentration auf die Produkte, die die Zielgruppe am wichtigsten findet. Nicht zuletzt geht es darum, sich mehr Gedanken über den günstigsten Zeitpunkt der Zustellung zu machen. Wenn alle Prospekte am selben Tag erscheinen, überfordert das die Adressaten.

Wie finden Werbungtreibende heraus, was bei ihrer Zielgruppe besser ankommt? Durch analytische Verfahren wie die Dialog-Struktur-Messung. Bei ihr werden je nach Größe der Studie 150 bis 500 Merkmale untersucht, die für die Wirkung eines Prospekts relevant sind. Daneben sollten sich Werbungtreibende den Rat von Agenturen einholen, die über Prospekt-Know-how verfügen. Denn in den Marketing-Abteilungen der Auftraggeber – in der Regel sind das Handelshäuser – ist das Fachwissen über den Prospekt oft nicht mehr oder nur noch ungenügend vorhanden.

Wie kommt das? In den vergangenen Jahren sind auch die Handelshäuser dem Trend zum Digitalen gefolgt und haben mehr und mehr Leute eingestellt, die sich darin gut auskennen. Darunter hat aber das Wissen über Print im Allgemeinen und den Prospekt im Besonderen gelitten, teilweise sind die Einsatzmöglichkeiten und die spezifischen Anforderungen gedruckter Medien überhaupt nicht mehr bekannt. Diese Unternehmen sind auf den Rat externer Experten angewiesen, die es nur noch in wenigen Spezialagenturen, aber immerhin noch manchen Mediaagenturen gibt.

Gelegentlich wird über die "Verlängerung des Prospekts ins Digitale" gesprochen. Was ist damit gemeint? Auch die Prospektwerbung ist effektiver, wenn sie durch Werbung in anderen Medien unterstützt und verstärkt wird – etwa durch Online-Banner oder Anzeigen in Suchmaschinen. Dabei kommt es aber auf die Reihenfolge an: Der Prospekt bildet die Grundlage, auf der die anderen Maßnahmen aufbauen können. Denn der Prospekt macht auf viele Produkte aufmerksam und neugierig, über die sich Interessenten dann im Netz näher informieren und die sie dort direkt kaufen können. Der Prospekt eröffnet die Kampagne, die dazu passende Werbung im Netz ist die "Verlängerung".Die Konsumenten teilen sich in zwei ziemlich unversöhnliche Lager auf: Die einen mögen Prospekte, die andern nicht. Was bedeutet das? Hierzulande wissen wir ganz genau, wer Prospekte grundsätzlich wünscht und wer nicht. Denn der Aufkleber "Bitte keine Werbung!" am Briefkasten verrät es. Damit optimieren die Konsumenten den Versand und die Verteilung von Prospekten, sorgen für geringere Streuverluste und weniger Ressourcen-Verbrauch.

Wenn sich die Austräger an das Schildchen halten. Das tun die meisten. Seit vielen Jahren hat rund ein Drittel der Haushalte diesen Aufkleber am Briefkasten angebracht. Das bedeutet im Umkehrschluss: Zwei Drittel der Konsumenten stehen der Prospektwerbung mehr oder weniger positiv gegenüber. Das sind richtig viele Menschen, die für die Botschaften in den Prospekten aufgeschlossen und empfänglich sind. Und ihr Anteil ist in den vergangenen Jahren stabil geblieben.

Worin muss der Prospekt besser werden? Wer wie die Nahversorger einem großen Publikum einmal in der Woche viele Angebote per Push präsentieren will, kommt am Print-Prospekt nicht vorbei. Das kann kein anderes Instrument in dieser Schnelligkeit und Intensität leisten. Allerdings sollte der Prospekt nur da eingesetzt werden, wo er Erfolg verspricht. Das heißt, seine Treffsicherheit sollte erhöht werden, indem er stärker auf die Zielgruppen gemünzt wird.

Um Streuverluste zu vermindern und Ressourcen zu schonen? Genau. Aus den gleichen Gründen sollte der Prospekt auch inhaltlich, gestalterisch und konzeptionell optimiert werden. Denn das Lesen, Stöbern oder Überfliegen wird den Interessenten oft schwer gemacht. Das betrifft etwa die Leseführung und die Farbgestaltung. Viele Prospekte sind außerdem textlastig und enthalten unpassende oder unscharfe Bilder. Da werden eine Menge Fehler gemacht. Aber es braucht nur ein Hemmnis zu viel und der Prospekt liegt im Altpapier. Joachim Thommes 
Dialog Logo
Dialog
Dieser Artikel ist zuerst im DIALOG erschienen. Die Publikation, die vom Deutschen Dialogmarketing Verband (DDV) herausgegeben wird, erscheint jedes Quartal und befasst sich vor allem mit den Spielarten des Dialog- und Digital-Marketings, mit Eins-zu-eins-Kommunikation und Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz. Ein PDF der aktuellen Ausgabe lässt sich hier herunterladen: www.horizont.net/service/dialog.
stats