Der Corona-Shutdown trifft vor allem kleine und mittlere Unternehmen hart. Um Kunden halten oder sogar gewinnen zu können, sind besondere Maßnahmen gefragt. Das dachte sich auch der Kosmetik-Retailer Harmony Works, der mit einer außergewöhnlichen Infokarte die Online-Umsätze forcieren will. Über die Kampagne und die aktuell besten Wege zum Konsumenten.
Zu einem ungünstigeren Zeitpunkt hätte es Maya Lolmaugh kaum treffen können. Gerade mal drei Tage war ihr Shop für Naturkosmetik, Harmony Works, geöffnet, als die schweizerische Regierung den Shutdown veranlasst hat. Ihr Business hatte sie online aufgebaut; nun wollte sie es stationär ergänzen – in Rheinfelden bei Basel. Sie installierte Hue-Lampen, um besondere Lichteffekte zu erzielen, bedruckte die Regale „Bathing“, „Body“, „Face“, „Hair“, „Pure“ und „Men“ mit einem erfrischenden Branding, um ihre Markenidentität aufleuchten zu lassen, bestückte das Schaufenster mit Holzskulpturen, um Körperbutter, Badesalz, Rasiergel und Co. natürlich präsentieren zu können. Doch dann kam das Corona-Virus dazwischen.
„Ich begriff, dass ich schnell handeln musste und entschied mich, die Kunden möglichst direkt anzusprechen“, schildert Lolmaugh. Sie postete auf Facebook, dass Online-Bestellungen während der Laden-Schließung versandkostenfrei sind. Außerdem stellte sie hundert
Produktproben zusammen, die sie – geschützt durch Handschuhe und Gesichtsmaske – auf der nahen Fußgängerzone verteilte: „Durch diese Aktion konnte ich bislang zwei Bestellungen generieren, die die Kosten für die Proben wieder hereingeholt haben.“ Ein weiterer Eckpfeiler ihrer Strategie ist eine Infokarte, die sie an 300 Stammkunden und 15.000 potenzielle Neukunden in den Regionen Aargau und Basel-Land verschicken wird, an Haushalte in Gegenden, die sie als einkommensstark und umweltbewusst einstuft. Die Stammkunden erhalten zusätzlich ein individuelles Schreiben, das auf die jeweilige Kaufhistorie eingeht.
Durch die Infokarte sollen Kunden in den Online-Shop gezogen werden
Die Offenbacher Werbeagentur Konzept fünf entwickelt die Karte. Inhaber, Diplom-Designer Wolfgang Schwengler, erläutert, wie die gegenwärtige Situation die Gestaltung beeinflusst: „In unsicheren Zeiten geht es einmal mehr darum, den Kunden bei seinen Problemen abzuholen. Also haben wir uns so positioniert, dass wir den Menschen, die ihre Hände aktuell sehr oft desinfizieren und damit belasten, eine Möglichkeit bieten, sie mit natürlichen Mitteln zu pflegen, sodass sie nicht rau oder rissig werden.“ Lolmaugh ist wichtig, auf den Begriff „Corona“ zu verzichten, denn „die Menschen verbinden das Wort mit Angst. Sie sollen stattdessen begeistert werden, in dieser schwierigen Situation auch mal bewusst abzuschalten und sich etwas Gutes zu tun.“ Zentrale Elemente sind das „Du“ für eine persönliche Ansprache, der Hinweis auf die telefonische Beratung und der Rabatt-Code für den Online-Shop. Im Look der Karte wird auch ein Aufsteller produziert, der, vor der Filiale platziert, die Aktion unterstützen soll.
Lösungen gesucht
In der Lage von Lolmaugh befinden sich momentan viele Geschäftstreibende. Sie müssen sich überlegen, wie sie in einem angemessenen Ton und über die richtigen Kanäle mit den Kunden in Kontakt treten. Speziell für lokale Unternehmen eignen sich Verbundlösungen, etwa eine gemeinschaftliche Mitteilung, die man an alle Haushalte eines bestimmten PLZ-Gebietes verschickt, oder eine kooperative Website. Ein Beispiel ist die Service-Seite von Hattingen Marketing, die das Stadtmarketing Hattingen mit dem DEHOGA und der IHK Mittleres Ruhrgebiet für kleinere Betriebe, etwa Boutiquen, Schreibwarenhändler oder Cafés, die dort Ideen, Aktionen und Angebote veröffentlichen können, ins Leben gerufen hat. Die Pro-Bono-Initiative „Händler helfen Händlern“ arbeitet an einer Plattform, auf der Filialbestände hochgeladen und durch Taxen, Lieferdienste und andere Logistikdienstleister an den Mann gebracht werden können.
Wie sind klassische Maßnahmen zu bewerten? Fernseh- und Radiowerbung sind für kleinere Unternehmen per se eine kostspielige Sache. Hinzu kommt, dass man sich aktuell einen langen Produktionsvorlauf nicht leisten kann – genauso wenig wie hohe Streuverluste. Jene ergeben sich auch bei Zeitschriften, die thematisch oder geografisch nur schwach zugespitzt sind. „Auch Out-of-Home-Werbung und B2B-Ansprache im Büro oder auf Messen funktionieren nicht, da die Leute deutlich seltener draußen sind als sonst und größtenteils im Home-Office arbeiten“, sagt Christian Hain vom Collaborative Marketing Club, einer Berliner Agentur für performanceorientiertes Kooperationsmarketing. Online zu informieren, sei eine gute Wahl: Über ihre Website und Social Media können Unternehmen aufklären, ob und wie sie für ihre Kunden da sind. Auch der Newsletter sei eine kostengünstige Möglichkeit, jedoch vergleichsweise unpersönlich und bei einem vollen E-Mail-Postfach leicht zu übersehen.
Soziale Medien ermöglichen eine direkte Kundenansprache, sind aber unpersönlicher als Print-Mailings
Hier seien Print-Mailings im Vorteil, denn der Absender könne sich besser differenzieren und nachhaltiger im Kopf des Konsumenten festsetzen: „In der
CMC-Dialogpost-Studie, die wir gemeinsam mit der
Deutschen Post durchgeführt haben, konnten wir feststellen, dass über die Hälfte der Bestellungen auf Basis eines Print-Mailings erst ab der dritten Woche nach dessen Erhalt ausgelöst wird.“ Geht man davon aus, dass die Krise noch einige Monate andauert, stellt das eine hervorragende Grundlage für dauerhafte Präsenz dar – denn die Menschen legen sich das Print-Mailing, das durch seine
Haptik „handfestes Vertrauen“ vermittelt, vorsorglich bereit. Ein weiterer Effekt ist, dass derzeit in den Haushalten facettenreiche Kontakte generiert werden können. Nicht nur ein Familienmitglied liest die Werbesendung, sondern mehrere.
Nähe schaffen
Eine Chance bieten neben adressierten auch un- oder teiladressierte Werbesendungen, wie Hain erklärt: „Lokal verwurzelte Händler können ihre Kernzielgruppe anhand von Ort, Ortsteil oder Straßenabschnitt segmentieren und sie beispielsweise über einen Lieferservice oder Online-Shop informieren. Eine teilweise Adressierung ist dann sinnvoll, wenn es sich um ein spezifisches Angebot handelt, dann werden etwa ‚die Beauty-Interessierten‘ eines Hauses angesprochen.“ Mit dem
Self-Service-Tool der Deutschen Post kommen Unternehmen, die keine Agentur und Druckerei beauftragen möchten, in wenigen Minuten zum erfolgreichen Versand. Stückzahlen können in Kombination mit verschiedenen Werbeträgern preislich kalkuliert werden. Der Nutzer kann auf einer Layoutvorlage seine Werbesendung erstellen oder ein eigenes Layout einsetzen.
„Die Menschen erhalten momentan viele Paketsendungen, die sie auch aufmerksamer als sonst begutachten. Daher können auch Paketbeilagen ein Weg sein, für seine Leistungen zu werben, etwa bei ähnlich ausgerichteten Anbietern“, sagt Hain. Da in einem Paket in der Regel nur wenige Werbeflyer vorzufinden seien, falle man eher auf als im Online-Umfeld. „Hier kann man sich durch besondere Inhalte von den üblichen Gutschein absetzen. Content aus anderen Kanälen kann genutzt und gegebenenfalls modifiziert werden, um spannende, produktbezogene Geschichten zu erzählen; auch im Zusammenhang mit der Krise“, empfiehlt er.
Die Menschen begutachten Paketsendungen aufmerksamer als sonst. Daher können auch Paketbeilagen ein Weg sein, für seine Leistungen zu werben.
Christian Hain
Resümierend lässt sich festhalten, dass die Gelegenheiten, aktuell mit den Konsumenten ins Gespräch zu kommen, vielfältig sind. Am ehesten erreicht man sie dort, wo sie sich nun überwiegend aufhalten: zu Hause. Definitiv falsch ist es, die starken Informationsbedürfnisse einfach zu ignorieren und damit zu riskieren, treue Kunden an einen auskunftsfreudigeren Konkurrenten zu verlieren. Wer persönlich kommuniziert, positioniert sich als Anbieter, auf den man sich auch in Notsituationen verlassen kann. Wie eine
Umfrage der Agentur Havas zeigt, wird Werbung, die die Corona-Thematik aufgreift, als positiv wahrgenommen; vorausgesetzt, man rückt sich nicht plump in ein besseres Licht. Dementsprechend stellt diese herausfordernde Lage auch eine Chance dar – wenn man kreativ und mit Fingerspitzengefühl mit ihr umgeht.