Eine Stylistin kümmert sich persönlich und individuell um den ihr zugeteilten Kunden
Trotz aller Bemühungen des digitalen Handels, näher an den Menschen heranzurücken, werden E-Retailer als unpersönlicher und schwieriger greifbar als ihre stationären Mitbewerber wahrgenommen. Wem es gelingt, das eigene Personal kanalübergreifend – vom handgeschriebenen Print-Mailing bis zum Personality-Blog – in Szene zu setzen, kann dem entgegenwirken. Denn er steigert das Kundenvertrauen deutlich.
„Menschen kaufen von Menschen.“ Dieses seit Jahrzehnten von Handelsexperten und -expertinnen vorgetragene Mantra wirkt in der heutigen Zeit, zwischen all den digitalen Katalogen, Chatbots und elektronischen Zahlungssystemen, wie ein Relikt aus vergangenen Tagen. Doch das ist es nicht. Warum? Weil die Welt immer komplexer wird, die Anzahl der Unternehmen und Angebote immer unüberschaubarer – speziell im virtuellen Raum. Vor diesem Hintergrund bieten glaubwürdige Persönlichkeiten eine erlösende Orientierung. Vor allem, wenn sie nicht nur digital mit Name, Funktion und Bild in Erscheinung treten, sondern auch postalisch, denn aufwendig gestaltete Briefe verbinden wir mit Menschen oder Organisationen, die uns etwas bedeuten – dadurch intensiviert sich die Werbewirkung.
Dieter Georg Adlmaier-Herbst, Professor für Strategisches Kommunikationsmanagement an der Universität der Künste Berlin und Herausgeber des Buchs „Der Mensch als Marke“, erklärt den dahinterstehenden Wahrnehmungsprozess: „Wir sind darauf programmiert, bei anderen Menschen spontan eine Freund-Feind-Feststellung durchzuführen und erkennen anhand von Körperhaltung, Mimik und Gestik, ob das Gegenüber wohlgesonnen ist oder Aggressionen hegt. Das geschieht binnen 30 Millisekunden.“ Kaum länger – nämlich eine Sekunde – dauere es, bis wir ihm ein Bündel an Eigenschaften zuschrieben. Dieser Eindruck präge sich ein und korrigiere sich nur schrittweise durch neue Erfahrungen.
Bitte nicht verstecken
Zeigen sich Persönlichkeiten einem Unternehmen zugehörig, erzeugen sie bestimmte – mitunter kaufrelevante – Assoziationen und Stimmungen. „Daher ist es ein riesengroßer – und gleichzeitig weit verbreiteter – Fehler, in der Außendarstellung austauschbare Stock-Fotos zu verwenden, die, für die User sofort durchschaubar, mit dem Unternehmen nichts zu tun haben“, mahnt Adlmaier-Herbst. Hier stelle man sich die Frage: Warum soll ich bei diesem Online-Shop einkaufen, wenn ich niemanden gesehen habe, der ihn repräsentiert? „Klüger handelt, wer das Personal sichtbar macht und so Know-how und Verlässlichkeit transportiert.“
Durch die Abbildung "echter" Personen werden Kompetenz und Vertrauen vermittelt
Genau aus diesem Grund setzt etwa das digital ausgerichtete Maklerunternehmen von Poll Immobilien auf
Print-Mailings mit Bildern und Unterschriften von existierenden Mitarbeitenden. „Die Digitalisierung vereinfacht Prozesse. Dennoch steht bei der Immobilienvermittlung der persönliche Kontakt weiterhin an oberster Stelle. Schließlich ist für viele Menschen der Immobilienkauf oder -verkauf die höchste und emotionalste Transaktion in ihrem Leben“, sagt Katja Schömig, Director Marketing Communications and Business Development bei von Poll.
Vertrauen, Sympathie und Menschlichkeit seien laut ihr wesentliche Aspekte, die eine Maschine oder Software nicht erfüllen könnten. „Die abgebildeten Personen arbeiten bei uns am Hauptsitz oder in der jeweiligen regionalen Filiale vor Ort. So erzeugen wir eine echte, greifbare Nähe, die unsere Kunden schätzen.“ Und die durch die eingesetzte
Haptik zusätzlich unterstrichen wird. Denn postalische Mailings ermöglichen in einer immer virtuelleren und aktuell durch Corona noch zusätzlich auf Distanz gepolten Welt vertraute, ersehnte sinnliche Erfahrungen. Die Folge: Die Marke hebt sich vom digitalen Rauschen ab und bleibt im Kopf.
Weitere Maßnahmen, die die Nahbarkeit einer Organisation fördern, sind etwa Bildergalerien auf der Homepage, mit Informationen zu Qualifikation, Aufgaben und Mission der Belegschaft, Live-Chats, idealerweise mit Video-Funktion, die das Einkaufen erleichtern, oder E-Mails mit freundschaftlichen Betreffzeilen wie „Post von Deiner Beraterin Anke“. „Je umfassender Mitarbeitende in der Öffentlichkeit die Marke vertreten sollen, desto mehr kommt es bei deren Auswahl auf Charisma, Begeisterung für die Werte des Arbeitgebers sowie eine gewisse Resilienz gegenüber negativen Reaktionen an“, rät Adlmaier-Herbst. Möglichkeiten sind hier etwa, einen Azubi per Kolumne im Kundenmagazin über Witziges oder Außergewöhnliches aus seinem Joballtag berichten zu lassen oder eine Produktmanagerin via Youtube oder in TV-Beiträgen über Branchentrends und Innovationen.
Maßgeschneiderter Dialog
Bei Curated-Shopping-Anbieter Outfittery basiert die gesamte Geschäftsidee auf dem intensiven Austausch zwischen der Kundschaft und einem Styling-Team. „Kunden und Kundinnen füllen zu Beginn einen Fragebogen zu den jeweiligen modischen Vorlieben aus und bekommen per Matching einen Stylisten oder eine Stylistin zugeordnet. Im Anschluss erfolgt eine durch Algorithmen unterstützte individuelle Beratung, die in der Zusammenstellung einer Outfit-Box mündet“, erklärt Co-Founderin Julia Bösch.
Eine Stylistin kümmert sich persönlich und individuell um den ihr zugeteilten Kunden
Der Kunde oder die Kundin entscheidet, wie häufig und
über welche Kanäle eine Interaktion stattfinden soll – von App-Messages und Instagram über Telefonate bis hin zu E-Mails und Print-Mailings. „Das haptische Werbemittel nutzen wir insbesondere, um die Kundschaft zu reaktivieren. Der Stylist oder die Stylistin formuliert dann mit unserem Marketingteam einen
persönlichen Text – den wir durch ein Foto ergänzen“, so Bösch. Und aus der Outfit-Box grüßt sogar eine mit Füller handgeschriebene Karte.
„Die Berater und Beraterinnen wählen wir aus nach ihrer Kompetenz – viele haben Mode studiert oder lange im Einzelhandel gearbeitet – sowie ihrer Kunden- und Serviceorientierung. Im Rahmen unseres Ansatzes müssen sie sich empathisch in die Kunden und Kundinnen einfühlen, sie an der Hand nehmen und inspirieren können“, erläutert Bösch. Die daraus hervorgehende Verbindung sei in einer hektischen und
automatisierten Welt ein hohes Gut und biete in Kombination mit angewandter Data Science enormes Potenzial: „Über die letzten Jahre haben wir in neun verschiedenen Märkten fünf Millionen Outfits an den Mann gebracht – und keine Box gleicht der anderen. Seit Oktober des vergangenen Jahres kleiden wir auch Frauen ein.“
Aus einer gesteigerten Nähe können loyale, enge Beziehungen entstehen.
Julia Bösch
Resümierend appelliert Adlmaier-Herbst an E-Commerce-Unternehmen, sich dem Thema „Markenbildung durch Persönlichkeiten“ konsequenter zuzuwenden: „Dass von authentischen Personen eine Signalwirkung ausgeht, ist längst bekannt. In meinen Seminaren bringe ich das jedes Mal auf die Tagesordnung. Trotzdem tut sich im E-Commerce noch deutlich zu wenig.“ Online-Shops agierten zu technologie- und produktgetrieben, ähnelten sich im Auftritt zu sehr.
Höchste Zeit also, mehr Nähe aufzubauen. Dass daraus bestenfalls loyale, enge Beziehungen entstehen können, weiß Julia Bösch: „Manch langjähriger Kunde berichtet uns immer wieder aus seinem Leben, etwa dass er frischer Single ist oder gerade jemanden kennengelernt hat – in diesen aufregenden Phasen nimmt er uns in Modefragen ganz selbstverständlich mit ins Boot.“ Es sei dann wie eine Partnerschaft – mit ehrlicher Dankbarkeit, und zuweilen einem Präsent auf dem Tisch des Stylisten oder der Stylistin.