Vision, Strategie und Pragmatismus: All das wird gebraucht, damit ein Unternehmen nachhaltig handeln kann. Aber dann heißt es loslegen, findet Kristina Bonitz, Chefin von Diffferent. Denn nicht zuletzt das geltende Recht und die Rechtsprechung sorgten dafür, dass Nachhaltigkeit "kein Zukunftsthema mehr" ist. Ein Gespräch über Hindernisse und Gelegenheiten, Potenziale und Chancen.
Worauf bezieht sich Ihr zweiter Punkt, der Umgang mit Menschen? Zunächst natürlich auf die eigenen Mitarbeiterinnen und die Kunden, darüber hinaus aber prinzipiell auf alle menschlichen Kontakte.
Die Vereinten Nationen haben im Jahr 2015 nicht vier, sondern gleich 17 Nachhaltigkeits-Ziele verabschiedet. Da ist praktisch für jeden etwas dabei. Führt die Ausweitung des Begriffs über die Ökologie hinaus nicht schnurstracks zu Verzettelung und Beliebigkeit? Klar muss man Prioritäten setzen. Denn es gibt ja keine Blaupausen, die man nur zu übernehmen bräuchte. Es ist nicht verkehrt, pragmatisch zu sein und sich von den 17 Punkten zwei oder drei herauszugreifen, die am besten zum eigenen Unternehmen passen, und damit anzufangen. Natürlich muss der Pragmatismus in eine Strategie eingebettet sein. Dann kann’s losgehen. Was ist Sache der Strategie? Sie beschreibt die Ziele und Leitlinien, nach denen gehandelt wird. Sie sorgt dafür, dass man nicht wahllos und willkürlich vorgeht und kein Geld zum Fenster hinauswirft. Ganz am Anfang steht eine Vision. Sobald es sie gibt, lassen sich Strategie und Praxis auch parallel entwickeln und immer wieder anpassen.
Nachhaltigkeit wird zunehmend Bestandteil des geltenden Rechts. Ein Beispiel: In zwei Jahren sollen in der EU Nachhaltigkeits-Berichte für Mittelständler zur Pflicht werden. Wie viel Vorbereitungszeit bleibt dafür noch? Das wäre die falsche Frage. Es bringt nichts, bis auf den letzten Drücker zu warten, Firmen sollten jetzt mit der Transformation beginnen. Jeder Tag zählt. In vielen Fällen liegt bereits eine Rechtsprechung vor, an die man sich zu halten hat. Nachhaltigkeit ist kein Zukunftsthema mehr. Aber die Unternehmen sollten nicht nur die Gesetze und Vorschriften sehen, Einschränkungen und Verbote, sondern auch die Potenziale, die sich auftun, die Chancen und Möglichkeiten, die sich ihnen bieten.
Spricht sich das herum? Leider nicht wirklich. Die meisten stecken noch in der Diskussion, was man machen müsste, sollte und könnte. Nur wenige handeln.
Wird die Berichtspflicht der Mittelständler dazu beitragen, das zu ändern? Da bin ich skeptisch. Wir kennen das von den Geschäftsberichten, die auch gern mal dazu genutzt werden, die Lage eines Unternehmens besser darzustellen, als sie ist. Ich fürchte, bei den Nachhaltigkeits-Berichten könnte das auch so kommen.
In diesem Fall wären sie kein Mittel gegen das Greenwashing, sondern würden im Gegenteil genau dazu missbraucht? Von einigen bestimmt. Das Greenwashing wird erst aufhören, wenn alle Unternehmen begreifen, dass Nachhaltigkeit keine Modeerscheinung ist, die bald von der nächsten abgelöst wird, sondern eine elementare Voraussetzung, um künftig überhaupt noch mit Konsumentinnen in Kontakt treten zu können.
Wo liegen die Hauptprobleme der Unternehmen bei der Realisierung von Nachhaltigkeit? Die größte Herausforderung liegt vielleicht darin, dass es vollständige Nachhaltigkeit nicht geben kann. Nachhaltigkeit ist ein unaufhörlicher Prozess, man kann immer nur versuchen, nachhaltiger zu werden. Das ist anstrengend, unter Umständen auch frustrierend. Und es widerspricht der Art und Weise, wie Wirtschaft und Unternehmertum aktuell noch funktionieren: Da geht es oft um Quick Wins, über die dann viel und gern geredet wird.
Das Greenwashing wird erst aufhören, wenn alle Unternehmen begreifen, dass Nachhaltigkeit keine Modeerscheinung ist.
Kristina Bonitz
Womit die Unternehmen auf eine kritische Öffentlichkeit stoßen. Handeln sie sich so gleich den nächsten Frust ein? Die Unternehmen befinden sich oft in einer undankbaren Situation. Aufgrund der Komplexität des Themas sind nur schrittweise Verbesserungen und Teilerfolge zu erzielen, sodass sie sich angreifbar machen. Es ist schwierig, den Anforderungen der Öffentlichkeit und den Erwartungen der Konsumentinnen zu genügen.
Die Kundschaft fordert schnellere und bessere Lösungen auf einen Schlag. Genau. Das liegt auch daran, dass Nachhaltigkeit in vielen Unternehmen noch als nice-to-have betrachtet wird, nicht jedoch als KPI und Treiber des Kerngeschäfts. Aber es gibt noch eine andere Schwierigkeit: Nachhaltigkeit kann eigentlich überhaupt nicht von einem einzelnen Unternehmen erreicht werden. Vielmehr ist dafür das Zusammenspiel mehrerer Akteure nötig: Firmen mit ihren Beschäftigten, Kundschaft, Öffentlichkeit, Medien, Wissenschaft, Politik und Recht.
Kein kleines Feld. Bleiben wir bei den Unternehmen: Wie lauten Ihre drei besten praktischen Tipps für sie? Nummer 1: Keine scheinbar perfekten Visionen entwerfen, die sofort an der Realität scheitern, sondern sich fragen, was ist gut genug für die nächsten drei Jahre. Nummer 2: Sich überlegen, wie die Digitalisierung als Hebel für die Nachhaltigkeit eingesetzt werden kann. Häufig laufen die beiden parallel, statt miteinander verknüpft zu werden, aber kein Unternehmen kann zwei getrennte Transformationen auf einmal bewältigen. Nummer 3: Sich von der Idee der Quick Wins verabschieden.
Unternehmer wollen wissen, ob sich eine Investition für sie lohnt. Zunächst einmal entstehen durch nachhaltiges Wirtschaften aber Kosten. Wann trägt Nachhaltigkeit zur Wertschöpfung bei? Sehr schnell, denn durch die Einsparung von Ressourcen können auch Kosten reduziert werden. In der Regel lassen sich durch nachhaltiges Wirtschaften die Margen um 3 bis 6 Prozent steigern – wie Projekte unserer Kunden bestätigen. Ich halte aber die rein finanzielle Betrachtung für kurzsichtig, erst recht, wenn sie nur auf Kennzahlen basiert, die sich auf die Vergangenheit beziehen.
Nachhaltigkeit zahlt sich vor allem langfristig aus? Ja. Und durch Erfolge, die ohne sie nicht eintreten würden. Denken Sie zum Beispiel an die Erschließung neuer Kundengruppen‚ die eventuell auch bereit sind, höhere Preise für nachhaltige Produkte und Services zu bezahlen, oder an die größere Attraktivität nachhaltig agierender Unternehmen auf dem Arbeitsmarkt.
Dieser Artikel ist zuerst im DIALOG erschienen. Die Publikation, die vom
Deutschen Dialogmarketing Verband (DDV) herausgegeben wird, erscheint jedes Quartal und befasst sich vor allem mit den Spielarten des Dialog- und Digital-Marketings, mit Eins-zu-eins-Kommunikation und Zukunftsthemen wie Künstliche Intelligenz. Ein PDF der aktuellen Ausgabe lässt sich hier herunterladen:
www.horizont.net/service/dialog.