"Echt jetzt?"

Wie Pinkstinks mit cleverem Modemarketing gegen Bikinifigur-Klischees kämpft

Pinkstinks liefert ein Statement gegen Klischee-Werbung
Pinkstinks
Pinkstinks liefert ein Statement gegen Klischee-Werbung
Kann man gegen Werbeklischees kämpfen und gleichzeitig gute Werbung liefern? Die Protestorganisation Pinkstinks beweist mit ihrer von Plakatvermarkter Wall gesponserten Kampagne "Echt jetzt?", dass es möglich ist. Passend zur Bademodezeit startete Pinkstinks gesponsert von Plakatvermarkter Wall eine eigene Bikini-Kampagne, die statt der typischen, 20-jährigen Models erstmals Frauen über 40 zeigte. "Das Feedback der Öffentlichkeit und auch von vielen Agenturen war überwältigend positiv. Und das haben wir durchaus schon anders erlebt", sagt Pinkstinks-Geschäftsführerin Stevie Schmiedel.
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Die positive Wahrnehmung kam auch bei Medienpartner Wall an. Der Plakatvermarkter verlängerte die Aktion, die eigentlich auf die Kalender-Wochen 29 bis 33 begrenzt war, spontan um eine weitere Woche. Mit 932 digitalen und analogen Plakatflächen in Hamburg, Berlin, Dortmund, Dresden, Leipzig und Stuttgart kann sich die erzielte Gesamtreichweite der Kampagne sehen lassen: Insgesamt kam der Auftritt auf 3,72 Millionen Brutto-Kontakte. Rechnet man Pendler dazu, steigt die Zahl laut Vermarkter sogar auf 4,98 Millionen Kontakte.


Die Werbeflächen habe man nach Anfrage der Initiative kostenlos zur Verfügung gestellt, sagt Wall-Pressesprecherin Frauke Bank: "Dies haben wir gern getan, da uns ein verantwortungsvoller Umgang mit den bei uns umgesetzten OOH-Kampagnen und dabei die Einhaltung der Richtlinien des Deutschen Werberats, die sich ja auch explizit gegen sexistische Werbung richten, stets wichtig waren und natürlich weiterhin sind."

Für die eigentliche Produktion der Kampagne für mehr Körpervielfalt in der Bademoden-Werbung arbeitete Pinkstinks mit dem Team des Hamburger Werbefotografen Markus Abele und der Bademodenfirma Phylyda zusammen. Dabei beschränkte sich die digitale Bildbearbeitung auf eine Intensivierung der Farben. Die Cellulite, Äderchen und Hautfalten der 40- bis 50-Jährigen Models sind unverändert in den Werbemotiven zu sehen.
Insbesondere Bademoden-Werbung setzt jedes Jahr unerreichbare Schönheitsideale, in denen nur sehr junge und schlanke Frauen vorkommen. Wir wollen zeigen, dass jede Frau einen 'Bikini-Body' hat.
Stevie Schmiedel
Stevie Schmiedel, Geschäftsführerin Pinkstinks
Pinkstinks / Yvonne Schmedemann
Stevie Schmiedel, Geschäftsführerin Pinkstinks
Schmiedel will mit der Aktion ein positives Signal gegen einen negativen Trend der Modewerbung setzen: "Insbesondere Bademoden-Werbung setzt jedes Jahr unerreichbare Schönheitsideale, in denen nur sehr junge und schlanke Frauen vorkommen. Wir wollen zeigen, dass jede Frau einen 'Bikini-Body' hat."

Die eigene Kampagne solle beweisen, dass es schon mit einfachsten Mitteln möglich sei, auch reale Frauen attraktiv in Szene zu setzen. Eine Chance, die die Modeindustrie nutzen soll, um auf die geänderte Erwartungshaltung der Öffentlichkeit einzugehen, fordert Schmiedel: "Immer mehr Menschen ärgern sich über überzogene Vorgaben in der Werbung und äußern ihren Unmut in den sozialen Netzwerken. Die Zeit des stillen Ertragens ist für immer mehr Frauen und Männer vorbei."

Als Beleg für diese Einschätzung verweist die Pinkstinks-Geschäftsführerin auf die Entwicklung in den sozialen Netzwerken: "H&M hat auf Instagram die größten Erfolge mit Plus Size Models und Models anderer Ethnien. Jetzt muss dieser Trend nur noch auf Deutschlands Plakatwänden ankommen." Dass dazu bisher die Bereitschaft fehle, liegt auch an den Besonderheiten der verschiedenen Medienkanäle, vermutet Schmiedel: "Einen Online-Post kann man ganz schnell verändern, wenn er zu negativen Reaktionen führt. Aber eine Plakatkampagne ist nun einmal teuer. Da geht man weniger Risiken ein."

Schmiedel muss hier spekulieren, denn eine Redaktion auf "Echt jetzt?" gab es bisher von keiner der werblich aktiven Modemarken. Das sei aber auch nicht das primäre Ziel gewesen: "Uns ging es erst einmal darum, das Bild im Kopf der Konsumenten zu verändern." Das mag zwar so sein, aber angesichts vieler Modekampagnen, die als Konsequenz der "Me too"-Bewegung Kampagnen rund um weibliche Selbstbestimmung und gegen Schönheitsklischees starteten, erstaunt das Desinteresse an einer derartigen Steilvorlage umso mehr. Jenseits von Kampagnen mit Aktualitätsbezug scheint es in der Modeindustrie an der Bereitschaft zu fehlen, sich grundsätzlich um eine neue Kommunikation von Schönheitsidealen zu bemühen.

Die Pinkstinks-Geschäftsführerin hat jedoch noch nicht den Glauben an eine konstruktive Veränderung der aktuellen Standards verloren und sucht das Gespräch mit den Unternehmen: "Wir würden gerne mit Vertretern der Modebranche ins Gespräch kommen, um zu verstehen, wie die internen Entscheidungsprozesse funktionieren."
Pinkstinks liefert ein Statement gegen Klischee-Werbung
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Pinkstinks liefert ein Statement gegen Klischee-Werbung
Dass sich solche Gespräche auch für die Unternehmen lohnen können, zeigt nicht zuletzt die Bademoden-Marke Phylyda, die dank der Pinkstinks-Aktion faktisch ihre erste große Massenkampagne starten konnte. Die Berliner Marke wurde von Lydia Maurer explizit als modische Alternative für Frauen gegründet, die nicht den typischen Schönheitsidealen der Modeindustrie entsprechen aber trotzdem auf anspruchsvoll designte Mode Wert legen. Bisher konnte Maurer für ihre Marke schwerpunktmäßig nur in den digitalen Kanälen kommunizieren.

Die Wall-Plakatkampagne ist für Phylyda der erste große deutsche Werbeauftritt. Gründerin Lydia Maurer ist mit dem öffentlichen Feedback sehr zufrieden: "Wir haben von unserer Community so viele ermutigende Meldungen von begeisterten Frauen erhalten, die die "Echt-jetzt"-Kampagne mit Zuspruch und einem Gefühl von einer endlich erreichten Bestätigung feiern!" Genau das sei schon immer das Ziel hinter ihrer Modemarke gewesen, sagt Maurer und fordert: "Es muss so weitergehen, damit es bald nicht mehr wegdenkbar ist, dass Frauen in all ihren verschiedenen Lebensphasen als Werbeträgerinnen ihren rechtmäßigen Platz einnehmen können." cam




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