Charles Bahr (TikTok, links) und Jörn Mecher (Intermate) sprachen auf der Dmexco@Home über Markenaufbau bei TikTok
Ob und in welchem Umfang es sich für Unternehmen auszahlt, auf TikTok aktiv zu sein, wird trotz der enormen Popularität der App noch viel diskutiert. Marketer scheuen sich oft nicht nur vor den für sie unkonventionellen Konzepten, die bei TikTok funktionieren, sondern auch davor, viel Zeit und Mühe in die Beiträge zu investieren. Dass dies aber für den Markenerfolg unabdingbar ist und welche Rolle man den Creators zuschreiben sollte, erörterten drei TikTok-Experten in zwei Panels auf der Dmexco @Home.
Marken sind es gewohnt, sich und ihre Produkte im bestmöglichen Licht darzustellen, Hochglanzoptik und große Verheißungen inklusive. Umso schwerer fällt es vielen Marketern, sich auf den ziemlich konträren Ansatz von TikTok einzustellen und im Dschungel der Belanglosigkeiten, von denen die Plattform lebt, den richtigen Ton zu treffen. Denn in der gehypten Kurzvideo-App schlagen Mut zur Imperfektion und Selbstironie grundsätzlich die in der Werbung übliche Makellosigkeit.
TikTok-Experten beschwören daher immer und immer wieder, wie wichtig es für Marken ist, sich auf der Plattform für die Lebenswelt ihrer Zielgruppe zu öffnen, deren alltägliche Themen und Bedürfnisse zu bedienen - ohne zu viel Selbstinszenierung - und vor allem auf Augenhöhe mit ihnen zu interagieren. Was das im Einzelnen genau heißen soll, bleibt indes oft sehr unkonkret und scheint vielfach auf das Trial-and-Error-Prinzip hinauszulaufen.
Trevor Johnson, Head of Marketing Global Business Solutions TikTok EU, sprach über das Phänomen der TikTok-Trends
So zeigte sich auch bei den zwei Panels auf der Dmexco, dass es das eine Erfolgsrezept für Marken auf TikTok nicht gibt, sehr wohl aber ein paar grundlegende Faktoren.
Trevor Johnson, Head of Marketing Global Business Solutions TikTok EU, nannte vier Schlüsselaspekte, die das vorrangige Mindset beschreiben, auf das die App-Community anspringt. Inhalte sollten demnach unterhaltend, auf aktive Beteiligung ausgerichtet und erbaulich sein und den Usern dabei helfen, Neues zu entdecken. Gerade letzteres sei für die meisten Nutzer der wichtigste Grund, die App des endlosen Inputs überhaupt zu öffnen und ganze 80 Prozent würden dort tatsächlich regelmäßig neue Dinge kennenlernen.
Stellt jemanden ein, der den ganzen verdammten Tag durch TikTok scrollt.
Charles Bahr
Für Marken aber noch relevanter: 91 Prozent der TikToker werden laut Johnson durch den Plattform-Content zu bestimmten Handlungen angeregt, was in vielen Fällen auch Konsum einschließt. Unter dem viralen Hashtag
#tiktokmademebuyit, der inzwischen mehr als fünf Milliarden Aufrufe generiert hat, zeigen User, welche Produkte sie nur dank Inspiration durch TikTok gekauft haben, zahlreiche Fehlkäufe eingeschlossen. Der Hashtag demonstriert also einerseits die Macht der Plattform in Bezug auf Kaufentscheidungen, gleichzeitig aber auch die große Willkür, mit der diese in der Flut an Beiträgen oft getroffen werden. Johnson bringt es mit dem simplen Satz auf den Punkt: "Wenn etwas leicht zu erwerben ist, werden die Leute es auch kaufen" – vorausgesetzt, sie wurden vorher durch den richtigen Creator dazu angeregt.
Denn die Creator - das betonen neben Johnson auch der Strategic Partner Manager von TikTok,
Charles Bahr, und
Jörn Mecher, CCO der Intermate Group, in einem anderen Vortrag immer wieder - sind das Herzstück von TikTok und damit von essentieller Bedeutung für den Markenerfolg.
Creator darf sich erst mal jeder nennen, der irgendetwas auf der Plattform postet. Doch für Marken sind natürlich in erster Linie jene mit großer Reichweite interessant, um diese für Kooperationen und die Bewerbung eigener Produkte zu gewinnen. Wichtig hierbei: "Ihr müsst sie früh an Bord holen, auf ihre Meinung vertrauen und ihnen die Möglichkeit zur kreativen Entfaltung geben, denn sie selbst müssen die Marke lieben und feiern", sagt Bahr. Alle Macht den Creators also. Als Marketer sollte man ihnen mindestens ein großes Mitspracherecht bei der Kreation des jeweiligen Werbekonzepts einräumen, wenn nicht gar sich selbst eher von ihnen beraten lassen als umgekehrt, plädieren Bahr und Mecher.
Zudem dürften drei Elemente laut Bahr in den Kurzvideos nie fehlen: Text (beispielsweise Hashtags, ergänzende Infos oder eins-zu-eins-Wiedergabe des Gesprochenen), Video Footage und Sound beziehungsweise Musik. Auf TikTok erfolgreiche Marken würden dies stets beherzigen.
Auch müssten sich Marken von dem durch andere Social Media geprägten Gedanken verabschieden, dass die Followerzahl die wichtigste Kennzahl für den Erfolg auf TikTok sei. Stattdessen komme es auf die monatlich generierten Videoaufrufe an, vor allem, wenn sie durch den For You Feed entstehen. Dieser Feed bezeichnet die Startseite, auf der dem User beim Öffnen der App in einer endlosen Folge Videos abgespielt werden, die zu seinen Interessen passen. Bis zu 90 Tage kann ein Video in diesem Feed verbleiben, wodurch er für Ad-Platzierungen große Reichweite erzeugen kann.

Verschenktes Marketingpotenzial
Diese Top-Marken haben keine Präsenz auf TikTok
Obwohl die Kurzvideo-Plattform TikTok seit Jahren als place-to-be für Marken beschworen wird, haben sich noch längst nicht alle Top-Unternehmen diesem Trend angeschlossen. Wie eine Analyse von mehr als 300 der weltgrößten Marken durch In Video jetzt ergab, haben 40 Prozent von ihnen keinen eigenen TikTok-Account, darunter auch Audi, Ikea und Nestlé. ...
Aus der Masse an Content hervorzustechen, bleibt für Marken eine Herausforderung und erfordert in vielen Fällen neben etwas Glück und Trendgespür vor allem auch viel Arbeit und Zeit. Denn um zu wissen, was in der TikTok-Welt gerade gefragt ist und wie man es dort am besten präsentieren soll, muss man logischerweise einen Überblick über möglichst viele Inhalte gewinnen. Oder wie Bahr es ausdrückt: "Stellt jemanden ein, der den ganzen verdammten Tag durch TikTok scrollt."
Wirklich große neue Marketing-Erkenntnisse ergaben sich aus keinem der beiden Panels. Aber sie verdeutlichten einmal mehr, dass TikTok als Werbeplattform gerade in Europa noch nicht ernst genug genommen wird und weiterhin viel Potenzial brach liegt. Gerade, weil auch das Erstellen von locker-flockigen Unterhaltungsinhalten mit größtmöglicher Authentizität Budget, Kreativität und vor allem Mut erfordert. Um das Credo von Bahr und Mecher für Marketing via TikTok auf den Punkt zu bringen: Einfach machen. Und besser heute als morgen.
hmb