Umfrage zu Diesel-Gate

"Die gesamte Industrie ist weiter in der Bringschuld"

Dieselgate schlug in den letzten Monaten hohe Wellen
dfv
Dieselgate schlug in den letzten Monaten hohe Wellen
Der VW-Diesel-Skandal hat in den vergangenen Monaten hohe Wellen geschlagen. Inwiefern hat sich Diesel-Gate aber tatsächlich auf die Kommunikation der Hersteller ausgewirkt? Und wie sollten die Autobauer mit einem solchen Thema prinzipiell umgehen? Im Rahmen des aktuellen Automarketing-Report hat HORIZONT Marketingverantwortliche aus der Branche und Krisenmanagement-Experten befragt.
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Holger Böhme, Geschäftsführer Citroën Deutschland

Holger Böhme
Citroën
Holger Böhme
"Natürlich hat die Abgasaffäre viele Autobesitzer und auch unsere Kunden verunsichert. Wir bekamen in der Anfangsphase viele Anfragen dazu, jedoch konnten wir schnell unsere Kunden beruhigen: Denn die im Januar 2016 vom französischen Umweltministerium durchgeführten Tests zur Überprüfung der Konformität der Fahrzeuge im Hinblick auf die Schadstoffemissionen belegten, dass es keine Anomalien bei Fahrzeugen von PSA gibt. Unsere Marketingkampagnen haben wir nicht verändert, denn wenn auch der Dieselmotor in letzter Zeit im Zentrum vieler Diskussionen stand, so ist doch erwiesen, dass Selbstzünder verbrauchsärmer sind und circa 15 bis 20 Prozent weniger CO2 ausstoßen als vergleichbare Benziner. Citroën hat mit seinen Euro-6-konformen Blue-HDi-Motoren als einer der ersten Volumenhersteller in Europa Rußpartikelfilter und SCR-Katalysator in Kombination angeboten, selbst für kleinere Modelle. Wir sind überzeugt, dass die Dieseltechnologie auch auf Jahre hinaus zukunftsfähig ist. Eine Auswirkung auf unseren Absatz in Deutschland haben wir im letzten Quartal nicht erlebt – auch dank einer sorgfältigen und sensiblen Behandlung des Themas durch unser Personal im Handel."

Frédéric Posez, Vorstand Marketing der Renault Deutschland

Frédéric Posez
Renault
Frédéric Posez
"Unsere Vertriebs- und Marketingstrategie orientiert sich an unseren eigenen Zielsetzungen. Die effizienten neuen Renault-Motoren werden von unseren Kunden gut angenommen. Wir registrieren keinerlei Auswirkungen von Dieselgate auf unsere Verkaufszahlen. Dank der neuen Renault-Modelle Kadjar, Mégane und Talisman verzeichnen wir weiterhin ein ungebrochenes Wachstum."

Axel Blazejak, Marketingdirektor Kia Motors Deutschland

Axel Blazejak
Kia
Axel Blazejak
"Kia Motors hat im Jahr 2015 mit 55689 verkauften Kia-Fahrzeugen sein erfolgreichstes Jahr seit dem Markteintritt in Deutschland abgeschlossen. Ebenso haben wir im 1. Quartal ein Wachstum von 3,3 Prozent zum Vorjahr erzielt. Ein Rückgang des Kundeninteresses ist somit nicht zu verzeichnen. Auf vereinzelte Kundenanfragen versicherte Kia, dass in keinem Kia-Fahrzeug eine Software verwendet wird, die das Fahrzeug auf Messständen anders einstellt als im normalen Betrieb und sich an die Prüfvorschriften sowie Methoden hält. Die Notwendigkeit zur Anpassung von Kampagneninhalten gab es nicht."

Udo Becker, Managing Director und Head of Crisis Communications bei Hill+Knowlton Strategies

Udo Becker
H+K Strategies
Udo Becker
"Die VW-Abgasaffäre hat die Kommunikationsabteilungen der Automobilhersteller zunächst zu Recht sehr schmallippig werden lassen. Wenn Vorstände im Konzern nichts von den Diesel-Gate-Vorgängen gewusst haben wollen, lässt sich leicht ausmalen, welche Informationen der Unternehmenskommunikation vorlagen. Ein Informationsdefizit auf Seiten der Kommunikationsabteilung ist bei beginnenden Krisen allerdings eher die Regel als die Ausnahme – VW befindet sich hier branchenübergreifend in illustrer Gesellschaft. Die strategische Leitlinie der VW-Kommunikation infolge der Dieselaffäre ist nachvollziehbar, die Umsetzung und Ausgestaltung vieler Maßnahmen entsprechen klassischen Mustern der Krisenkommunikation. Dazu zählt auch die Ankündigung, den Abgasskandal rasch und transparent aufklären zu wollen. Diesen Punkt sehen viele Kommentatoren nicht erfüllt. Doch wer je in einer Krisensituation kommuniziert hat, der weiß, dass Transparenzbemühungen mitunter klare Grenzen gesetzt werden. Zumeist von involvierten Juristen und selten ohne guten Grund. Deutsche Automobilhersteller sollten die aktuelle Diskussion um Emissionen als Chance begreifen. Jetzt geht es darum, fortschrittliche Technologien und innovative Konzepte im Markt zu positionieren. Nur so wird es gelingen, die Kratzer im Lack der Reputation deutscher Automarken aufzupolieren."

Susanne Marell, CEO Edelman Ergo

Susanne Marell
Edelman Ergo
Susanne Marell
"Der Abgasskandal hat das Vertrauen in die Automobilindustrie geschwächt. Das zeigen die Ergebnisse des Edelman Trust Barometers 2016. Nach dem Bekanntwerden im Herbst 2015 brach das Vertrauen weltweit in 23 von 28 untersuchten Ländern ein – besonders stark in Deutschland. Der Vertrauensvorsprung der einstigen Vorzeigebranche ist weggeschmolzen und das Qualitätslabel ‚Made in Germany‘ hat einen deutlichen Kratzer bekommen. Unternehmen mit Hauptsitz in Deutschland sind weltweit nur noch auf Platz fünf der vertrauenswürdigsten Unternehmen (Vorjahr Platz zwei). Diese Krise zeigt, wie schnell Vertrauen verloren geht. Es wieder aufzubauen dauert lange – aber es ist möglich. Das sieht man an der Finanzbranche: Als Folge der Finanzkrise hinkte sie jahrelang in Sachen Vertrauen hinterher. Seit 2012 konnte sie aber ihren Vertrauenswert kontinuierlich steigern. Speziell im angelsächsischen Raum muss man kulturell bedingt mehr Überzeugungsarbeit leisten. Natürlich kann auch die Automobilbranche ihre Vertrauenskrise mittelfristig überwinden – doch es wird ein hartes Stück Arbeit."

Matthias Michael, Head of Corporate Affairs & Senior Vice President bei FleishmanHillard Germany

Matthias Michael
FleishmanHillard Germany
Matthias Michael
"Krisenmanagement besteht aus fünf Dimensionen: gute Unternehmensführung, Krisenprävention, -handeln, -kommunikation und -evaluation. Volkswagen hat leider aus meiner Außenwahrnehmung die Sache in keinem dieser fünf Bereiche professionell gemanagt. Offenbar hatte die Marke bei der ersten Dimension ein Defizit. Sonst hätte der Skandal in diesem Ausmaß nicht entstehen können. Das Management wird hier die Kultur radikal verändern müssen. Ethische Grundsätze, Streitkultur, Qualitätsstandards, Exzellenzansprüche, Nachhaltigkeitswerte dürfen keine Papiertiger sein, sondern müssen gelebt werden. Die Betrügereien haben Reputation und die Seele von VW getroffen. Zur vierten Dimension, der Krisenkommunikation: In der Abgasaffäre sind nach wie vor zu viele Fragen unbeantwortet. Es dauert zu lange, bis die Fakten, die Verantwortlichkeiten, die fehlerhaften Strukturen und die Lösungen auf den Tisch kommen. Das könnte sich für Volkswagen vor allem in den USA negativ auswirken. Das Unternehmen hat versäumt, zur ersten Quelle von Informationen zu werden. Denn in Krisensituationen ist vordringlich, die Anspruchsgruppen selbst schnell, gründlich, redlich und mithin vertrauensbildend zu unterrichten. Das Ziel sollte sein, die Agenda der Berichterstattung mitzubestimmen, statt nur Gegenstand von Vorwürfen zu werden. Dafür muss Problembewusstsein an den Tag gelegt werden. Und, wenn es um Rechtsbrüche geht: Demut. Auch alle anderen Hersteller und der Automobilverband müssten für die Branche glaubwürdig belegen, dass dies ein betrügerischer Einzelfall ist. Bislang konnte das nach meiner Wahrnehmung nicht vermittelt werden. Die Öffentlichkeit und die Kunden interessiert nicht, ob ein Unternehmen legal handelt. Es geht immer darum, ob es sich legitim verhält. Hier ist die gesamte Industrie weiter in der Bringschuld."

Matthias Glötzner, Senior-Berater Engel & Zimmermann

Matthias Glötzner
Engel & Zimmermann
Matthias Glötzner
"Dass ein Compliance-Fall in diesem Ausmaß dazu führt, dass in der Branche jedes geschriebene Wort, jede Geste und jede Äußerung vor der Kamera einem strengen und kritischen Blick unterzogen wird, ist nicht überraschend. Daher gilt für alle Unternehmen der Automotive-Industrie – Zulieferer eingeschlossen – erhöhte Wachsamkeit. Insbesondere Statements zu ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit bieten eine Steilvorlage für Medien, um sie bei ertapptem Fehlverhalten als plumpe PR-Floskeln zu entlarven. Im Sinne der Krisenprävention sollten daher alle öffentlichen Statements, aber auch alle Äußerungen auf der Homepage oder in Eigenpublikationen auf mögliche Schwachstellen analysiert werden. Auch vor öffentlichen Auftritten von Führungskräften sollten die PR-Verantwortlichen über das kritische Potenzial intensiv nachdenken. Unternehmen mit „Leichen im Keller“, die auch nur im Ansatz der Tragweite von VW entsprechen, tun gut daran, sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen und eine durchdachte Strategie zu entwickeln. Ansonsten könnten sie von einer investigativen Recherche überrascht und zur Reaktion gezwungen werden. Je nach Einzelfall kann auch eine „kontrollierte Sprengung“, das heißt die taktisch wohlüberlegte und proaktive Ansprache eines Schlüsseljournalisten, die richtige Antwort sein."

Frank Roselieb, geschäftsführender Direktor des Krisennavigator – Institut für Krisenforschung

Frank Roselieb
IFK Kiel
Frank Roselieb
"Automobilhersteller können aus dem Dieselgate von Volkswagen im Kern drei Dinge lernen: Erstens sind Automobilkrisen aus Sicht der Kunden keineswegs immer „High-Involvement“-Ereignisse. Während beim anfangs misslungenen Elchtest der A-Klasse von Mercedes-Benz oder beim Gaspedal-Rückruf von Toyota die Kernkompetenz Sicherheit im Mittelpunkt stand, hat der Dieselgate den durchschnittlichen VW-Kunden wenig tangiert. Nicht einmal das Finanzamt wollte eine Nachzahlung wegen höherer Emissionswerte. Zweitens kann eine kommunikative Themenverlagerung in der Krise durchaus gelingen. Sowohl das unbeholfene „Homemade-Firmenvideo“mit dem Statement von Martin Winterkorn zu Beginn der Krise als auch die eher halbherzigen VW-Anzeigen rund um den Wiedervereinigungs-Geburtstag haben dem Unternehmen im Zweifelsfall mehr genutzt als geschadet: Sie waren so unspektakulär, dass man sie zwangsweise übersehen musste – oder wollte. Damit war die Bühne frei für den neuen, emotionalen VW-Spot „Partner fürs Leben“ – mit einer Inszenierung der Marke jenseits des Dieselgate. Und drittens geht die wirkliche Reputationsgefahr im Krisenfall eher von Nebenkriegsschauplätzen aus. So sorgt die Diskussion über weiterhin hohe Vorstands-Boni oder Entschädigungsprämienfür wechselwillige VW-Vorstandsmitgliederin den Aufsichtsrat derzeit für mehr atmosphärische Störungen als so manches VW-Dieselfahrzeug."



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