Beobachtet die deutsche Start-up-Szene
Mit seinen Magazinen „The 100“ und „BerlinValley" beobachtet der Journalist und Verleger Jan Thomas die deutsche Start-up-Szene. HORIZONT-Chefredakteur Volker Schütz unterhielt sich mit Thomas über die Trends bei deutschen Wachstumsunternehmen.
In den letzten beiden Wochen ist etwas passiert, was in der deutschen Start-up-Szene nicht allzu häufig vorkommt: Erst übernimmt Apple den Münchner Augmented-Reality-Spezialisten Metaio, dann kauft Microsoft 6Wunderkinder. Ist das ein Zufall oder Beweis für die oft unterschätzte Stärke der deutschen Startup-Szene? Ein Hauptproblem für deutsche Start-ups ist, dass es in Deutschland zu wenig Exit-Möglichkeiten gibt. Sie müssen also zwangsläufig in die USA schauen, um zu vernünftigen Bewertungen verkaufen zu können. Ich denke aber, dass es umgekehrt auch den generellen Trend gibt, dass immer mehr US-Unternehmen schauen, was sich in Deutschland tut. Die Scheinwerfer sind auf Berlin gerichtet.
Jan Thomas auf den Digital Marketing Days
Jan Thomas wird einer von zahlreichen Top-Experten bei den HORIZONT Digital Marketing Days (DMD) am 13. Und 14. Juli in Berlin sein. Neben Start-ups, die Thomas vorstellen wird, beschäftigt sich der zweitägige Kongress mit den Schwerpunktthemen Mobile, Social Media, Content Marketing und Agenturen im digitalen Zeitalter. Am zweiten Tag beschäftigen sich Workshops mit den Herausforderungen im Digitalmarketing. Mehr Infos und Anmeldung beim Veranstalter
Conference Group.
Trotzdem gab es im Netz böse Kommentare zum 6Wunderkinder-Deal. Tenor: Wie kann man sein Unternehmen nur an Microsoft verkaufen! Ist das der typisch deutsche Hang zur Miesepetrigkeit, der bei solchen Äußerungen durchschlägt? Genau das ist auch mein Gefühl. Als Gründer geht man jahrelang durch die Hölle. Wenn man dann nach Jahren des Aufbaus das Gefühl hat, ein Unternehmen wie Microsoft ist der richtige Partner, um mein Unternehmen voranzubringen, sollte man zuschlagen. Aber bei uns wird dann nicht die unternehmerische Leistung honoriert, sondern schlechte Stimmung verbreitet. Diese Mentalität ist furchtbar.
Zumal Start-ups ohnehin von Anfang an international denken sollten. Genau. Schau dir die Nutzerstruktur von 6Wunderkinder an – die ist sehr international. Und die Gründer haben immer groß und international gedacht – das ist auch die einzige Chance: Welches deutsche Unternehmen hätte den 6Wunderkinder übernehmen können? Die Dax-30-Unternehmen sind weder organisatorisch noch kulturell darauf eingestellt, junge Tech- oder Wachstumsunternehmen zu übernehmen.
Du beobachtest seit Jahren mit The 100 und dem Szeneblog BerlinValley vor allen Dingen die Start-up-Szene in der Hauptstadt. Was sind denn die Trends derzeit? Was total krass ist, ist der Fintech-Boom. Das konnte man auch auf der Start-up-Konferenz Noah vergangene Woche gut beobachten. Was ebenfalls bemerkenswert ist: Internationale Schlüsselfiguren beschäftigen sich ernsthaft mit dem Berliner Markt. Peter Thiel hat jüngst zwei Investments getätigt. Und Li-Ka Shing, der reichste Asiate, ist beim Jobvermittlungsportal Jobspotting eingestiegen. Berlin hat den Anspruch erfüllt, hinter London die europäische Nummer 2 im Start-up-Bereich zu sein.
Der Berliner Senat will die Stadt zur Nummer 1 in Europa machen. Dazu gehört aber mehr als ein paar nette Worte auf Kongressen. Mir fehlen die politischen Maßnahmen, um dort hinzukommen.
Nicht nur der reichste Asiate hat Deutschlands Tech-Unternehmen entdeckt. Auch ein – global gesehen – mittelständisches Medienunternehmen wie Axel Springer ist aktiv. Ist das die richtige Strategie, um im Digitalbereich voranzukommen? Total berechtigte Frage. Zunächst muss man feststellen: Berlin hätte ohne Rocket Internet und Axel Springer nicht diese starke Stellung. Diese beiden Unternehmen haben für das Ökosystem extrem viel gemacht. Allerdings ist mir noch nicht ganz klar, wohin Axel Springer eigentlich will. Wo Axel Springer in fünf Jahren stehen will, ist mir noch unklar. Vor allen Dingen einige Investments in amerikanische Unternehmen wie Business Insider kann ich nicht klar einschätzen …
Internet-Unternehmer Philipp Westermeyer
"Das Handelsblatt ist total old school"
Philipp Westermeyer ist Startup-Unternehmer und veranstaltet mit den Online Marketing Rockstars eines der wichtigsten Events der Internet-Szene. Im Interview erzählt er, warum der ADC nicht das Maß der Dinge ist und warum er ein deutsches Business Insider vermisst. ...
Vielleicht will Mathias Döpfner aus Axel Springer einen globalen Medienkonzern formen ... Mag sein, aber Axel Springer sucht eigentlich immer nur das digitale Pendant zu dem, was in Print einmal funktioniert hat, beispielsweise Rubrikenmärkte, wo das Unternehmen stark investiert. Das ist mir zu s ehrGießkannen-Prinzip. Das spannendste Investment ist für mich das Engagement in den Kiosk Blendle, wo Nutzer einzelne Artikel kaufen können. Das ist sozusagen ein Angriff auf das eigene alte System.
ist es sinnvoller, wenn ein Medienhaus in Tierfutter investiert? Das ist richtig absurd. Und als absurd würde ich die Strategie von Axel Springer bestimmt nicht bezeichnen.
Du hattest Rocket Internet genannt. Ist CEO Oliver Samwer das große Vorbild der Szene oder agiert er mittlerweile zu abgehoben? Als Oliver Samwer bei Noah auf die Bühne ging, habe ich mich umgeschaut: Die Zuhörer saßen mit offenen Mündern da, als Oliver erzählte, er sei ein Bäcker, der seine Kuchen aus drei Zutaten mixt: Geld, Ideen und Menschen. Da war eine Stille im Raum, wo man eine Stecknadel hätte fallen hören.
Was sind für dich denn die heißesten deutschen Start-up-Unternehmen? Als heißeste Start-ups würde ich im Moment neben den genannten natürlich Research Gate und Delivery Hero, gegebenenfalls Outfittery, aber auch die nächste Generation, beispielsweise Kitchen Stories und Sensorberg sehen.