Oliviero Toscani

"Werbeagenturen produzieren schlechte Arbeit"

Skandalfotograf und Vorbild: Oliviero Toscani
Contrasto/LAIF
Skandalfotograf und Vorbild: Oliviero Toscani
Er gilt als Enfant terrible der Fotografie. Vor allem seine Kampagnen für das Modelabel Benetton ließen die Welt auf Oliviero Toscanis Arbeit blicken. Behinderte Kinder, Homosexuelle, Organe und Kriegsopfer – Toscanis Motive rüttelten auf und strapazierten gelernte Rollenbilder. HORIZONT hat Toscani in London getroffen, wo er den Next Photographer Award des D&AD jurierte.
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Herr Toscani, gibt es in Ihren Augen denn genug talentierte Fotografen? Ein Fotograf ist heutzutage nichts Besonderes. Jeder kann Bilder schießen. Es gibt ja auch nicht mehr gute Autoren als vor zwei, drei, vier Jahrzehnten, nur weil heute jeder schreiben kann. Schauen Sie sich an, wie viel Müll durch all die Computer produziert wird, von denen die Leute ihre Augen nicht mehr wegbekommen. Es ist schwierig, dazwischen etwas Gutes zu finden, denn selbst wenn etwas gut riecht, ist es oft schlecht. Den Unterschied machen nur echte Poeten, Menschen, die die Dinge sehen wie niemand sonst.


Sie selbst haben mit vielen Motiven einen Unterschied gemacht. Vor allem Ihre Aufnahmen für Benetton sorgten für Aufsehen und sind heute noch bekannt. Was bedeuten Ihnen diese Bilder heute? Jeder kennt sie, weil in diesen Kampagnen viel Geld steckte. Für mich war das zu diesem Zeitpunkt eben meine Arbeit. Was ihren Stellenwert in der Werbung angeht, kann ich nur immer wieder sagen, wie verlogen ich diese ganze Branche finde. Werbeagenturen produzieren schlechte Arbeit. Es laufen dort nur Leute herum, die der Allgemeinheit gefallen wollen und total durchschnittlich sind. Deshalb arbeite ich nicht mit ihnen zusammen. Es gibt bestimmt immer mal wieder Leute mit Talent und guten Absichten, auch in Agenturen. Die geben aber viel zu schnell auf und arbeiten nur noch, um bezahlt zu werden und ihre Budgets nicht zu verlieren.
Werbung ist dumm. Sie versucht, dir weiszumachen, dass du aussehen kannst wie Claudia Schiffer, wenn du ein bestimmtes Parfüm benutzt.
Oliviero Toscani
Dass es in Unternehmen am Ende nur ums Geld geht und nicht um Kunst, Kultur oder Ethik, haben Sie in einem früheren Interview schon einmal kritisiert. Bei Benetton haben Sie ethische und kulturelle Grenzen zumindest ins Wanken gebracht. Wie war das möglich? Weil Benetton damit reich und mächtig geworden ist. In dem Interview, von dem Sie sprechen, sagte ich, dass sie als Künstler nichts zu tun haben, außer ihren Kunden reich zu machen. So schafft man sich Freiräume, das zu machen, was man gerne machen möchte.

Werbung ist für Sie also immer noch das berühmte „lächelnde Aas“ – wie Sie es für einen Buchtitel Mitte der 90er ausgedrückt haben? Werbung ist dumm. Sie versucht, dir weiszumachen, dass du aussehen kannst wie Claudia Schiffer, wenn du ein bestimmtes Parfüm benutzt. Oder wie George Clooney, wenn du einen Kaffee trinkst. Eines Tages werde ich die Nürnberger Prozesse gegen Werber veranstalten: Lassen Sie uns all die Artdirektoren und Marketingexperten zusammenholen und damit konfrontieren, wie viel Schaden sie bei jungen Menschen angerichtet haben. Was glauben Sie, wie viele Mädchen wegen Bildern in der Werbung magersüchtig werden!

Es gibt Werbekampagnen, die genau dagegen ankämpfen. Doves Initiative „Real Beauty“ zum Beispiel. Finden Sie die auch verlogen? So etwas ist rassistisch. Dove hat keinen Charakter. Warum sehen die Frauen, die sie abbilden, gut aus und andere nicht? Jeder ist schön, dafür brauche ich keine besondere Seife. Es gibt keine hässlichen Menschen! Interview: Julia Bröder

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