Interview Annette Winkler

„Ich kann auch mal ungemütlich werden“

Annette Winkler, Smart
Jeannette Petri
Annette Winkler, Smart
Als Geschäftsführerin des väterlichen Bauunternehmens wurde Annette Winkler 1992 „Unternehmerin des Jahres“, als Smart-Chefin wählte sie der ADC 2015 zur „Kundin des Jahres“. Dazwischen liegt eine Top-Karriere in männerdominierten Branchen. Von Frauenquoten hält die 58-Jährige nicht viel. Sie macht lieber den Lkw-Führerschein, um sich durchzusetzen. Seit 2010 steht Winkler im Daimler-Konzern an der Smart-Spitze. Zuvor leitete die promovierte Betriebswirtin unter anderem die Kommunikation für Mercedes-Benz und das Global Business Management & Wholesale Europe bei Daimler.
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In nahezu allen Porträts und Berichten über Sie schwärmen Journalisten in den höchsten Tönen von Ihnen. Uns ist das, bei allem Respekt, fast schon ein bisschen suspekt. Ihnen auch? Ehrlich gesagt ist mir das noch gar nicht aufgefallen.

Doch wenn es tatsächlich so sein sollte, ist mir das nicht suspekt, sondern dann freut es mich natürlich. Ich will ja in meinem Leben und insbesondere in meinem Beruf etwas Gutes machen und dementsprechend die Werte einbringen, die mir wichtig sind.

Welche Werte wollen Sie im Job denn einbringen?

Mein größter Fokus liegt immer auf den Menschen, für die und mit denen wir etwas tun. Ich habe schon sehr früh im Rahmen eines beruflichen Praktikums vom damaligen Finanzchef des Unternehmens den einfachen Satz gelernt: „Wirtschaft wird von Menschen für Menschen gemacht.“ Für mich bedeutet das: Letztendlich geht es immer darum, dass ich Menschen dafür begeistern muss, etwas zu tun, das dann wiederum andere Menschen begeistert.

Das haben Sie jetzt schön gesagt.

Natürlich steht in der Wirtschaft immer auch Geld hinter allem, was wir tun. Und leider ist Geld in der Wirtschaft bislang ja die ausschließliche Währung, mit der wir den Erfolg unserer Werte messen können. Gerne zitiere ich in diesem Kontext auch einen Satz von Robert Bosch, der mal gesagt hat: „Lieber Geld verlieren als Vertrauen.“ Was mich sehr stark antreibt, ist, Mitarbeitern zu helfen, ihre Talente zu entdecken und diese richtig einzusetzen.

Apropos antreibt: Sie haben ein ziemlich heftiges Arbeitspensum, reisen ständig um die Welt. Was kickt Sie an Ihrem Job am meisten?

Vor allem, dass ich leidenschaftlich von Smart begeistert bin. Smart ist eine sehr werteorientierte Marke. Es geht nicht nur einfach darum, ein Auto zu bauen, sondern um ein ganzheitliches Mobilitätskonzept. Unsere Vision ist es, das Leben der Menschen in den Städten zu verbessern. Es ist doch so: Egal in welchem Beruf – nichts gibt einem so viel Kraft wie die Begeisterung für eine Sache. Das gilt für Pianisten genauso wie für Marathonläufer oder eben für die Chefin von Smart. Allerdings möchte ich betonen: Es ist nicht nur Smart, wovon ich begeistert bin.

Sondern?

Der wichtigste Teil in meinem Leben ist meine Ehe. Zeit mit meinem Mann zu verbringen, mit ihm zu wandern oder beispielsweise zu kochen, Konzerte zu besuchen und vieles andere mehr, ist für mich und mein Leben essenziell. Außerdem stehe ich jeden Morgen sehr früh auf und gehe Joggen, denn es ist wichtig, sich mal rauszunehmen, um Zeit für Reflexion, Kreativität und Geistesblitze zu haben. „Ein Musikinstrument tönt nur deshalb, weil es leer ist.“ Das merke ich jedes Mal, wenn ich mir solche Freiräume schaffe, dann kommt etwas zum Klingen.

Allerdings heißt es über Sie auch, dass Sie beim täglichen Joggen gern viele neue Ideen entwickeln, die Sie dann sofort per E-Mail oder SMS mit Ihren Mitarbeiter teilen müssen. Warum muss das sein?

Das ist völliger Unsinn. Ich schreibe meinen Mitarbeitern niemals während des Joggens irgendwelche Textnachrichten. Und dementsprechend erwarte ich schon gar nicht, dass auf E-Mails sofort reagiert wird, es sei denn, ich habe ausdrücklich vermerkt, „dass es brennt“.

Annette Winkler, Smart
Jeannette Petri
Annette Winkler, Smart
Und wenn dann nicht prompt reagiert wird, so kann man über Sie lesen, werden Sie schon mal ungemütlich. Wie muss man sich eine ungemütliche Annette Winkler vorstellen?

Natürlich kann ich auch mal ungemütlich werden, wenn es sein muss. Das ist wie bei einem Dirigenten, was ich im Übrigen auch sehr gerne geworden wäre. Wenn Sie zum Beispiel mit einem erstklassigen Orchester mit vielen hochbegabten Musikern die Jahrhundert-Aufnahme einer Symphonie gestalten wollen und einer der Musiker immer wieder Dissonanzen erzeugt, weil er nicht genug geübt hat, muss der Dirigent dafür sorgen, dass sich das ändert. Sonst werden alle anderen, die alles für die gemeinsame Sache geben, demotiviert. So ähnlich ist das auch in unserem beruflichen Miteinander.

Und dann werden Sie laut?

Dann werde ich fordernd. Allerdings werde ich auch mir selbst gegenüber sehr oft ungemütlich und fordernd, wenn ich beispielsweise eine konkrete Lösung noch nicht gefunden oder eine bestimmte Sache noch nicht gut genug draufhabe.

Das Wort ehrgeizig würde Sie also ganz gut treffen.

Zielorientiert ist vielleicht noch zutreffender. Und von mir aus können Sie mir auch noch eine gewisse Dickköpfigkeit zuschreiben. Es ist einfach so: Wenn ich ein Ziel vor Augen habe, dann will ich da auch wirklich hin. Zur Not nehme ich zwar Umwege und Rückschläge in Kauf, das Ziel aber bleibt konsequent bestehen.

Das kann man an vielen Stellen Ihres Lebenslaufs in der Tat gut ablesen. Ein schönes Beispiel: Als Daimler Sie, vor Ihrer Zeit bei Smart, von der Kommunikationschefin zur Niederlassungsleiterin in Braunschweig machte, haben Sie innerhalb von neun Tagen den Lkw-Führerschein gemacht. Hat’s geholfen?

Absolut. Die Braunschweiger Niederlassung von Daimler hatte sehr viele Lkw-Kunden, und da war der Führerschein eine tolle Chance. Es hat sich schnell herumgesprochen, dass sich die neue Niederlassungsleiterin sofort bemüht hat, sich möglichst schnell die entsprechende Kompetenz anzueignen, denn schließlich ist so ein Lkw-Führerschein ja vor allen Dingen auch ein Crashkurs in Lkw-Technik. Darauf habe ich intern wie extern äußerst positive Resonanz bekommen.

Aber warum mussten Sie den Lkw-Führerschein unbedingt in nur neun Tagen machen?

Ich hatte gehört, dass der Benchmark zuvor bei zehn Tagen lag. Da war es für mich fast so ein bisschen sportlicher Ehrgeiz, es in neun Tagen zu schaffen.

Reicht ein Lkw-Führerschein aus, um sich als Frau in der männerdominierten Automobilwelt durchzusetzen?

Es ging mir, wie gesagt, vor allem um das fachliche Know-how. Ich bin kein großer Fan davon, zwischen den Anforderungen an männliche und weibliche Führungskräfte zu unterscheiden. Meiner Meinung nach ist das keine Frage des Geschlechts.

Von Karrierenetzwerken ausschließlich von und für Frauen, wie beispielsweise dem von Douglas-Chefin Tina Müller mitgegründeten Merton-Kreis, halten Sie dann vermutlich auch nicht viel?

Ich persönlich mag deutlich lieber gemischte Veranstaltungen, weil sie für mich einfach inspirierender sind. Aber grundsätzlich finde ich Frauennetzwerke trotzdem gut. Letztlich sind Netzwerke ja nichts anderes als eine Möglichkeit, neue Menschen kennenzulernen, Kontakte zu pflegen und daraus ganz neue Impulse und Ideen zu bekommen. Und wenn es Frauen gibt, die dafür lieber unter sich bleiben oder der Meinung sind, dass diese Netzwerke sie selbst besser ans gesteckte Ziel bringen, kann ich das verstehen und finde das völlig in Ordnung.

Viel wird in diesem Kontext auch über Quoten gestritten. Wie wird das Thema bei Daimler gesehen?

Nach meiner Information liegt der Frauenanteil in leitenden Führungspositionen heute bereits bei gut 16 Prozent, bei einem Ziel von 20 Prozent bis 2020. Für Führungsarbeit braucht es Erfahrung und eine gewisse Reife. Gerade in unserem Unternehmen gibt es eine stetig wachsende Gruppe äußerst talentierter junger Frauen mit einem sehr guten Selbstbewusstsein. Es werden deshalb in einem ganz natürlichen Prozess ständig mehr weibliche Führungskräfte nachziehen.

Spätestens auf Vorstandsebene aber wird die Luft für Frauen dann wieder dünner. Besagte Tina Müller hat in einem Interview jetzt eine Frauenquote auch für Vorstände gefordert. Wie finden Sie den Vorschlag?

Bei Daimler ist der Vorstand bereits zu einem Viertel mit Frauen besetzt. Aber natürlich verstehe ich die Argumente der Menschen, die sagen, wir brauchen eine Frauenquote. Meiner Meinung nach, und ich kenne viele Frauen mit Führungsverantwortung, die das ähnlich sehen, gibt es auch gute Gründe, das eher skeptisch zu sehen. Niemand möchte unter dem Generalverdacht stehen, eine Verantwortung nur übertragen bekommen zu haben, damit ein angestrebter Prozentsatz erfüllt wird. Es müssen die besten Talente nach oben, gleich, welcher Kultur, welchen Alters und welchen Geschlechts. Sonst besteht die Gefahr, dass man schlussendlich die Falschen fördert.

Die WirtschaftsWoche titelte 2015 über Sie: „Nächste Station Daimler-Vorstand“. Sie wurden als Nachfolgerin von Vertriebs- und Marketingvorstand Ola Källenius gehandelt. Den Job hat dann allerdings Britta Seeger angetreten. Wie bitter war das für Sie?

Seit mein beruflicher Traum in Erfüllung gegangen ist und ich Chefin von Smart wurde, habe ich immer gesagt, dass ich in der Automobilindustrie nichts anderes will als genau diese Aufgabe. Ich führe eine Marke, die ich liebe. Ich habe die Verantwortung für Entwicklung, Produktion und Vertrieb, darf die Kooperation mit Renault mitgestalten, was auch deshalb so gut passt, weil ich Frankreich und die Menschen dort sehr mag. Also warum sollte ich jetzt irgendetwas anderes im Daimler-Konzern übernehmen wollen? Ich bin in einer Unternehmerfamilie groß geworden, für mich war immer die Gesamtverantwortung wichtig. Ich glaube, der bekannte Satz „Lieber Bürgermeister in einer Stadt als Minister im Land“ trifft auf mich ganz gut zu.

Also keinerlei Ambitionen auf einen Vorstandsposten bei Daimler?

Richtig.

Ab 2020 wird Smart ausschließlich auf E-Mobilität setzen. Das heißt: Schon in drei Jahren wollen Sie keine Benziner mehr verkaufen. Ganz schön wagemutig, oder?

Gegenfrage: Sind Sie schon einmal einen E-Smart gefahren?

Annette Winkler, Smart
Jeannette Petri
Annette Winkler, Smart
Nein.

Aha. Dann werden Sie jetzt von mir zu einer Testfahrt mit dem E-Smart verpflichtet. Wenn Sie spüren, was für ein großartiges Fahrgefühl der E-Smart vermittelt, werden Sie unsere Entscheidung deutlich besser verstehen.

Aber an Argumenten wie mangelnder Lade-Infrastruktur, ungeklärter Ökobilanz und hohem Kaufpreis ändert das nichts. Die Menschen sind beim Autokauf echte E-Muffel. Also doch eine ziemlich mutige Entscheidung?

Natürlich ist es eine mutige Entscheidung. Aber Smart war immer mutig, Smart war immer Pionier. Es gibt drei Gründe, warum sich E-Mobilität bei Smart durchsetzen wird. Erstens: Unsere Kunden fahren im Durchschnitt 30 bis 40 Kilometer am Tag. Bei einer Reichweite des E-Smart von 160 Kilometern pro Ladung ist das also kein Thema. Zweitens: Wir haben mit dem E-Smart ein hochattraktives Preisangebot in der Kategorie der E-Autos, zusätzlich befördert durch die Kaufprämien, die in diversen Märkten gezahlt werden. Drittens: Die Infrastruktur für Ladestationen wird sich in den nächsten drei Jahren massiv verbessern. Einmal durch die mittlerweile sehr günstige und einfache Installation einer eigenen Wallbox zu Hause und genauso im öffentlichen Bereich durch Investitionen von Kommunen und Ländern, die Ladestationen in Parkhäusern und bei Einkaufszentren schaffen – ebenso wie auch immer mehr Gastronomen.

Trotzdem: Nicht alle Kunden dürften Ihrer Argumentation folgen. Vielleicht werden wir am Anfang tatsächlich den einen oder anderen Käufer verlieren. Aber ich bin sicher, dass wir vor allem auch viele neue Kunden hinzugewinnen werden. Beispielsweise werden viele den Smart Electric Drive als Zweit- oder Drittfahrzeug erwerben, um damit umweltfreundlicher in die Stadt zu fahren.

Aber es lief doch seit Einführung der neuen Smart-Modelle 2014 gerade ziemlich gut für Sie. 2016 hatten Sie mit plus 21 Prozent bei den Neuzulassungen einen Verkaufsrekord. Also warum jetzt die Eile und das vollständige Verbannen von Benzinern schon in drei Jahren?

Weil wir natürlich auch wirtschaftlich denken und arbeiten müssen. Ab dem Moment, in dem es glasklar wurde, dass die Zukunft von Smart elektrisch ist, machte es einfach keinen Sinn mehr, auch noch weiter in konventionelle Antriebe zu investieren. Der Smart als ideales Fahrzeug für den urbanen Raum bringt – und davon sind wir überzeugt – die besten Voraussetzungen mit, sich als das E-Auto durchzusetzen.

Müssen Sie nicht auch deshalb beim E-Smart Gas geben, damit Daimler ab 2020 im Sinne eines konzernweiten Ablasshandels insgesamt eine bessere CO2-Bilanz erreicht?

Mit Ablasshandel hat das überhaupt nichts zu tun. Zunächst einmal bringt ja auch Mercedes in Zukunft viele neue elektrifizierte Modelle auf den Markt, und wenn der Smart dazu beisteuert, dass Daimler insgesamt einen besseren CO2-Wert erreicht, würden wir uns darüber sehr freuen.

Wie gerade schon gesagt: 2016 hatten Sie einen Verkaufsrekord. 2017 allerdings liegt Smart in den drei ersten Quartalen rund 7 Prozent im Minus. Ist der Boom der Benziner ohnehin schon wieder vorbei?

Nein. Der Rückgang ist leicht zu erklären, da wir 2017 ja mit den Rekordzahlen aus 2016 vergleichen.

Der Rückgang macht Sie also nicht nervös?

Nein, wir sind mit den Zahlen absolut zufrieden. Sie entsprechen unseren Planungen, und es sind Top-Gesamtwerte im Vergleich der letzten zehn Jahre.

Dennoch: Gehen Sie davon aus, bis Jahresende noch eine Schippe drauflegen zu können und das Minus wieder etwas abzuschwächen?

Sie wissen doch, wir äußern uns grundsätzlich nicht zu Prognosen. Interview: Anja Sturm




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