BVDW-Whitepaper

Funktioniert Content Marketing nur mit Paid Media?

Newcast-Chef Ingo Kahnt
Publicis Media
Newcast-Chef Ingo Kahnt
Das Tolle an Content Marketing ist, dass die Unternehmen sich die horrenden Media-Kosten sparen, die bei bei klassischer Werbung fällig werden. Oder stimmt das alles gar nicht? In einem jetzt veröffentlichten Whitepaper des Digitalverbands BVDW steht der bemerkenswerte Satz: „Die organische Reichweite ist meist nicht ausreichend, um die Produktion von hochwertigem Content zu rechtfertigen.“
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HORIZONT Online sprach mit Ingo Kahnt, stellvertretender Vorsitzender der BVDW-Fokusgruppe Content Marketing und im Hauptberuf Managing Director der Publicis-Agentur Newcast, über das Whitepaper, dessen Mitautor er ist. Im Interview erklärt Kahnt, warum bezahlte Reichweite auch bei Content Marketing immer wichtiger wird und die Disziplin ihre besten Tage noch vor sich habe: „Wir sehen ja alle, dass sich in der Industrie gerade ein massiver Wandel Richtung Content Marketing vollzieht. Der Trend ist ungebrochen.“


Herr Kahnt, Sie haben gerade zusammen mit anderen Autoren ein Whitepaper zu Content Marketing veröffentlicht. Darin geht es erstaunlich oft um Paid Media. Wir stellen fest, dass bezahlte Reichweite eine immer größere Rolle im Content Marketing spielt. Die Werbungtreibenden wollen mit ihren Botschaften in einem definierten Zeitraum eine bestimmte Anzahl von Konsumenten erreichen - und das funktioniert in der Regel eben vor allem mit Mechaniken, wie wir sie aus der klassischen Werbung kennen.

Bisher galt Content Marketing als Gegenmodell zu klassischer Werbung: Für das eine muss man bezahlen, das andere rezipieren die Menschen freiwillig. Und jetzt heißt es doch wieder Push statt Pull? Nicht in jedem Fall. Wenn ich eine neue Marke einführe, die vor allem junge Zielgruppen adressiert, kann das sehr wohl auch ohne oder mit wenig Paid Media funktionieren. Insgesamt ist das Pull-Potenzial aber limitiert, was natürlich auch daran liegt, dass immer mehr Unternehmens-Content produziert wird. Um aber in einem begrenzten Zeitraum definierte Marketing-Ziele zu erreichen, ist bezahlte Reichweite heute meist unumgänglich. Darin sind sich alle in der Fokusgruppe Content Marketing im BVDW einig. Und es ist ja schon sehr bemerkenswert, wie jetzt auch klassische Content-Agenturen das Thema Reichweite für sich reklamieren. Da gerät gerade viel in Bewegung.
Um in einem begrenzten Zeitraum definierte Marketing-Ziele zu erreichen, ist bezahlte Reichweite heute meist unumgänglich.
Ingo Kahnt
Wenn ich bei Content Marketing genauso wie bei Display-Werbung Reichweite kaufen muss, stellt sich für Unternehmen die Frage, wie sie ihre Media-Budgets verteilen. Dafür braucht es vergleichbare KPIs. Ja, absolut, die Kunden wollen Vergleichbarkeit und einheitliche Metriken. Wobei es dann doch nicht ganz so trivial ist. Einer der großen Unterschiede zwischen den beiden Werbeformen besteht darin, dass Content Marketing auf Langfristigkeit angelegt ist. Die Inhalte einer Display-Kampagne verschwinden nach ein paar Wochen, während der Content viel länger im Netz sichtbar bleibt und prinzipiell eine wichtige Rolle bei den Customer Journeys der Konsumenten spielt. Was aber sicherlich stimmt, ist, dass die Unternehmen Content vergleichbar gut steuern können wollen wie klassische Werbung. Daher wird auch das Thema Skalierbarkeit absehbar massiv an Bedeutung gewinnen.

Um wirklich groß zu werden, muss Content Marketing also skalierbar und in der Wirkung vergleichbar sein mit klassischer Werbung. Wie weit ist man da heute schon? Natürlich wäre es wünschenswert, native Flächen nach den gleichen Regeln befüllen zu können, wie man es aus dem Display-Geschäft kennt. Davon sind wir sicher noch ein gutes Stück entfernt. Die Entwicklung geht aber bereits ganz klar in diese Richtung. Bei Newcast, der Agentur, für die ich arbeite, haben wir ein eigenes natives Werbeformat, an das 2.000 Publisher angeschlossen sind. Das ermöglicht es uns, Content-Kampagnen zentral zu steuern. Was das betrifft, nähern sich Displaywerbung und Content Marketing zweifellos immer mehr einander an.

Und was ist mit den KPIs - genügt es, die Kennziffern, die man aus der Digitalwerbung kennt, einfach auf Content Marketing zu übertragen? Wenn man nur auf die gängigen, Performance-orientierten KPIs wie Cost per Click schaut, können Content-Kampagnen in der Regel kaum mit Display konkurrieren. Wir wissen aber auch alle, wie schockierend schlecht Display oft funktioniert, wenn es etwa darum geht, wie lange die User auf einer Landing-Page bleiben. Deshalb plädieren wir dafür, auch qualitative Faktoren wie eben die Verweildauer in die Betrachtung einzubeziehen. Wir stellen fest: Content Marketing kann dann hervorragend funktionieren, wenn das Targeting stimmt, wir die richtigen Inhalte haben und diese Inhalte kundengerecht aufbereiten. Es gibt Native-Advertising-Formate mit einer durchschnittlichen Verweildauer von 100 Sekunden - das sind Werte, wie ich sie von Landing-Pages mit werblichen Charakter so nicht kenne.

Qualitative Faktoren wie Verweildauer oder Involvement sind aber schwer zu gewichten, oder? Der Trend geht in Richtung Attributionsmodelle, wo untersucht wird, welchen Beitrag ein Werbemittel am Ende zum Erfolg einer Kampagne beiträgt. Die Unternehmen setzen ja nicht auf Werbung oder Content Marketing, worum es geht, ist der optimale Mix. Und da sind wir ganz klar der Überzeugung, dass inhaltsreiche Kommunikation noch deutlich an Gewicht gewinnen wird.

Content Marketing bleibt also absehbar eine Wachstumsstory? Davon gehen wir absolut aus. Und wir sehen ja auch alle, dass sich in der Industrie gerade ein massiver Wandel Richtung Content Marketing vollzieht. Der Trend ist ungebrochen.

Das digitale Werbegeschäft wird immer stärker von Google und Facebook dominiert. Wird es bei Content Marketing genauso laufen - the winner takes it all, und die Gewinner sind die großen US-Plattformen? Natürlich fließt viel Geld in diese Richtung, aber ich bin überzeugt, dass auch die anderen Publisher noch ein großes Wachstumspotenzial haben, insbesondere bei nativen Werbeformen. Allerdings, und das ist ein Thema, das wir in unserem Whitepaper sehr deutlich herausstellen: Am Ende geht es beim Thema Content Marketing ganz zentral um das Thema Qualität. Das betrifft sowohl Phänomene wie Ad Fraud und Brand Safety, aber auch Kennzeichnungspflicht und die Inhalte selbst. Wenn der Leser hinter vollmundigen Teasern doch nur wieder den klassischen Schweinebauch findet, machen wir Content Marketing ganz schnell wieder kaputt. Das darf nicht passieren. Ich glaube, wir sind tatsächlich gerade an einem Punkt angekommen, an dem die ganze Industrie darüber entscheidet, wie sich Content Marketing in den nächsten Jahren entwickelt. Das formulieren wir in dem White Paper auch ganz klar in Richtung aller Marktteilnehmer.

Lautet Ihr Appell eher „Lasst uns vernünftig bleiben!“ oder „Es läuft gerade etwas gewaltig schief, wir sind dabei, Content Marketing kaputt zu machen“? Nein, so weit ist es noch nicht, wir sind noch nicht an dem Punkt, wo es heißt „do or die“. Aber wir müssen uns schon sehr darüber bewusst sein, dass wir die hervorragenden Ergebnisse, die wir bei Content-Kampagnen immer besser nachweisen können, gefährden, wenn sich die Marktteilnehmer nicht vernünftig verhalten und bestimmte Spielregeln nicht einhalten. Wir müssen da sehr aufpassen, dass sich die Dinge nicht in die falsche Richtung entwickeln. Das gilt nicht zuletzt für den Bereich Influencer Marketing.

Wenn der Leser hinter vollmundigen Teasern doch nur wieder den klassischen Schweinebauch findet, machen wir Content Marketing ganz schnell wieder kaputt.
Ingo Kahnt
Wo ja bisweilen chaotische Zustände herrschen… Auch diese Art der Kommunikation wird sich weiter professionalisieren, da bin ich sehr zuversichtlich. Viele Influencer sind sehr jung und agieren bisweilen recht unbedarft, zugegeben. Aber das ändert sich gerade. Die Disziplin Influencer Marketing wird in nächsten Jahren große Fortschritte machen, was Plan- und Buchbarkeit betrifft.

Die meisten Publisher halten die Spielregeln dagegen heute schon einigermaßen gut ein? Ja, doch, schon im eigenen Interesse. Schließlich geht es um ihren guten Ruf und den journalistischen Leumund, das setzt man nicht leichtfertig aufs Spiel. In unserem Whitepaper machen wir noch einmal sehr deutlich, wie unabdingbar eine Kennzeichnung von Native-Formaten ist. Wir empfehlen darüber hinaus, stets auch den konkreten Absender explizit zu nennen. Aus der Praxis wissen wir, dass sich journalistische und bezahlte Inhalte hinsichtlich ihrer Akzeptanz kaum unterscheiden - jedenfalls dann nicht, wenn der Inhalt gut und seriös ist. Letztlich profitieren Publisher nicht nur monetär von Content Marketing, sondern auch bei der Reichweite. Ich bin überzeugt, dass Native Advertising hilft, weiterhin guten Journalismus zu ermöglichen.

Wie sehen Sie dem Trend, dass Unternehmen verstärkt in eigene News-Desks investieren? Viele halten diese Entwicklung inzwischen für ziemlich überhitzt. Wir sehen gerade einen starken Trend zum Insourcing, keine Frage. Wir haben aber auch schon in anderen Bereichen festgestellt, dass es oft zu Wechselbewegungen kommt. Werden den Unternehmen die Kosten zu hoch, werden solche Aufgaben oft auch wieder outgesourct. Grundsätzlich finden wir es im Verband aber erst einmal sehr positiv, dass die Unternehmen mehr Geld in Content Marketing investieren und der Disziplin insgesamt immer mehr Beachtung schenken. Davon profitieren wir letztlich alle. js

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