Durch die Vielzahl an Kanälen und Endgeräten wird der Entscheidungsprozess der User bei der Suche nach Produkten und Marken immer komplexer. Damit wird auch die Analyse der Customer Journey für Werbungtreibende umfangreicher und anspruchsvoller. Im Performance-Onlinemarketing steht der Klick (noch) auf dem Siegerpodest – er gilt immer noch als nahezu alternativlose Messeinheit. Die meisten Customer Journeys fangen tatsächlich mit dem ersten Klick an. Aber was ist mit den Nutzern, die Werbung sehen und wahrnehmen, trotzdem nicht klicken und später doch kaufen? Marie-Claire Raden, Gründerin und Geschäftsführerin der Berliner Onlinemarketing-Agentur Tectumedia, ist davon überzeugt, dass diese sogenannten Post-View Conversions oft unterschätzt werden, obwohl sie eigentlich von großer Bedeutung sind.
In ihrem Gastbeitrag bei HORIZONT erklärt die gebürtige Französin, warum die Wirkungsmessung in der Online-Werbung andere Erfolgskriterien entlang der Customer Journey braucht.
Post-Click Conversions
In der Analyse der Leistung von Werbemitteln unterscheidet man zwischen zwei Ansätzen: dem Post-Click- und dem Post-View-Modell. Dem Klick wird oft mehr Bedeutung als dem View zugeordnet, weil der User aktiv sein Interesse für ein Produkt beziehungsweise eine Marke bekundet. Allerdings ist nur eine geringe Anzahl von Nutzern auch „Klicker“. Viele User klicken nicht auf die Werbung, sondern bevorzugen es, direkt über ihren Browser die URL der Webseite einzugeben (Direct Type-in) oder bei Google nach dem Markennamen zu suchen. Das Post-Click-Abrechnungsmodell ist also ungenau, da es andere Conversion-Möglichkeiten ausklammert, die allerdings einen entscheidenden Beitrag an dem gesamten Kampagnen-erfolg haben können. Post-View Conversions
Bei dem Post-View Modell werden auch die Werbeeinblendungen berücksichtigt. Dabei wird ein sogenanntes View-Cookie während des Anzeigens eines Werbemittels lokal auf dem Gerät des Nutzers gesetzt, damit die spätere Conversion auf der Seite des Werbungtreibenden bewertet werden kann. Post-View Conversions leiden jedoch unter einem schlechten Image, weil sie im Rahmen von Cookie-Dropping (oder Cookie-Spamming) oft missbraucht beziehungsweise manipuliert werden. Es werden sehr viele View- Cookies gesetzt, damit möglichst viele Conversions dem Post-View Traffic zugeordnet werden. Jost von Brandis
"Es ist Zeit, mit dem bisherigen Verständnis der Customer Journey aufzuräumen"
Es gilt als eines der neuen Wundermittel im Marketing: ausgefeilte Customer-Journey-Modelle, die dafür sorgen sollen, dass die Verbraucher zum richtigen Zeitpunkt mit der richtigen Mobile-Werbung erreicht werden. Aber: Wie gut sind diese Modelle wirklich? ...
Das liefert dann statistische Ergebnisse, die nicht immer etwas mit der Realität zu tun haben. Beispielsweise werden beim Lesen der E-Mails im Browser fünf Werbeanzeigen eingeblendet und damit auch fünf Post-View Cookies auf dem Gerät des Users platziert. Doch werden sie alle wahrgenommen? Wahrscheinlich nicht. Denn die Aufmerksamkeit des Users richtet sich primär auf seine E-Mails. Das erfolgreiche Setzen solcher Cookies bedeutet also nicht automatisch, dass der User die Anzeige wahrgenommen hat. Hier sprechen wir von der sogenannten Banner Blindness.
Wahrnehmung von Werbung
Laut IAB (Interactive Advertising Bureau) und MRC (Media Rating Council) gilt eine Werbung als gesehen, wenn sie mindestens eine Sekunde lang zu 100 Prozent im sichtbaren Bereich eingeblendet wird. Es wird angenommen, dass bei einer solchen Viewable-Ad-Impression eine Sichtkontakt-Chance besteht. Dabei stellt sich allerdings die Frage, ob diese Definition der Sichtbarkeit für eine Wahrnehmung ausreicht. Der Nutzer liest sich gerade einen Artikel durch und nimmt den Werbebanner außerhalb des Contents gegebenenfalls nicht wahr. Dementsprechend sollte man die Awareness von Werbeplatzierungen intensiver analysieren.
Post-Awareness Conversions
Sind Post-Awareness Conversions eine effektive Lösung? Post-Awareness Conversions könnten eine neue spannende Kenngröße darstellen. Hier müssten Conversions gemessen werden, die nach der tatsächlichen Wahrnehmung einer Werbung erfolgen. Der Nutzer hat also den Content eines Werbemittels „in Kenntnis genommen“ und danach eine Aktion auf der Webseite der entsprechenden Marke durchgeführt (Registrierung, Kauf …).
Die Mehrheit der digitalen Werbungtreibenden berücksichtigt Post-Awareness Conversions nicht, obwohl der Wert der Wahrnehmungen wesentlich ist. Er stellt bis zu 40 Prozent der Post-Click Conversions dar. Für eine sinnvolle Kampagnenauswertung ist es also unabdingbar, den Wert dieser Wahrnehmungen zu berücksichtigen. Zudem wäre eine effizientere Zuordnung des Budgets gewährleistet, wenn auch solche Anzeigen, die erst im späteren Verlauf der Customer Journey zu einer Conversion führen, berücksichtigt werden.
Real Time Ad Awareness ist die Zukunft
Die Onlinemarketing-Branche befindet sich in puncto Attribution in einer Sackgasse. Im Performance-Bereich muss zwar alles genau quantifiziert werden, paradoxerweise steht aber noch keine technische Lösung zur Verfügung, um den Wert der Wahrnehmungen zu messen. Die gängigen Attributionsmodelle beruhen auf Klicks und ordnen spezifische Klick-Touchpoints innerhalb der Werbekanäle einer Conversion zu. Schnell kann ein wesentlicher Teil der Conversions (Umsatz, Registrierungen ...) falsch zugeordnet werden und zu falschen Budget-Entscheidungen führen.
Die Onlinemarketing-Branche befindet sich in puncto Attribution in einer Sackgasse. Im Performance-Bereich muss zwar alles genau quantifiziert werden, paradoxerweise steht aber noch keine technische Lösung zur Verfügung, um den Wert der Wahrnehmungen zu messen.
Marie-Claire Raden
Zum Beispiel: Der Nutzer besucht die Amazon-Webseite und eine Bonprix-Werbung mit Jeans wird eingeblendet. Der User nimmt die Werbung wahr und findet sie per se nicht uninteressant. Er surft aber weiter auf Amazon. Zu einem späteren Zeitpunkt erinnert er sich an die Jeans, besucht die Bonprix-Webseite, kauft aber nicht. Daraufhin wird ihm mittels Retargeting die gleiche Jeans-Werbung noch mal auf einer anderen Seite gezeigt. Jetzt kauft er das Produkt. Welcher Touchpoint hat die wichtigste Rolle für seine Entscheidung gespielt? Welchem Kanal nun die Conversion zugeordnet wird, kann noch nicht ausreichend gemessen und definiert werden.
Eye-Tracking als Alternative?
Sogenannte Eye-Tracking-Studien sind schon einen Schritt voraus, da sie darauf abzielen, die Augenbewegungen zu analysieren und dabei herausfinden, welche Platzierungen für Banner am besten geeignet sind und wo der Blick der Nutzer länger bleibt. Eyetracking-Analysen sind daher hilfreich, wenn sie sich in eine größere Projektplanung integrieren lassen, wie zum Beispiel in einem Website-Redesign, oder um sich punktuell ein Bild über die User-Wahrnehmung zu bestimmten Kampagnen beziehungsweise über das Surfverhalten zu machen. Eyetracking- Analysen im Labor sind allerdings kein skalierbares Modell für die Auswertung laufender Kampagnen, da sie in der Regel nur einmalig durchgeführt werden, aufwendig zu planen und auszuwerten sind.
Die zukünftige Herausforderung besteht also darin, ein Echtzeit-Tracking-Verfahren für eine Ad-Awareness-Messung zu entwickeln. Denn so viel ist klar: Der Klick hat ausgedient und der View allein bietet auch keine Zukunftsperspektive.