Google, Apple, Facebook und Amazon sowie die chinesischen Unternehmen Baidu, Alibaba und Tencent sind inzwischen fest im Alltag der Konsumenten integriert. Die Folge: Die Neuordnung des stationären Handels ist unausweichlich. Retail- und China-Experte Olaf Rotax, Managing Director der auf digitale Transformation spezialisierten Accenture-Agentur dgroup erläutert die Herausforderung für Händler - und was das Schlagwort "New Retail" in diesem Zusammenhang bedeutet.
Dank umfassender Online-Services haben sich GAFA (Google, Apple, Facebook und Amazon) oder auch das chinesische Pendant BAT (Baidu, Alibaba und Tencent) fest in den Alltag von Konsumenten integriert und Markanteile von Offline nach Online verschoben. Händlern außerhalb dieser Ökosysteme fällt es immer schwerer, ihre Kunden dauerhaft zu binden – eigene Umsätze gehen zurück bzw. die Abhängigkeit von GAFA und BAT steigt. Online ist der Markt realistisch dauerhaft an diese Ökosysteme verloren.
Es ist nun Zeit für stationäre Händler, über ihre verbleibende Offline Zukunft zu entscheiden. Insbesondere in China wird dabei aktuell unter dem Stichwort "New Retail" die Neuordnung des gesamten Handels vorangetrieben – Chance oder Risiko?
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New Retail – was ist das überhaupt?
Durch ein stetig wachsendes Online-Produktangebot und Services wie Amazons Same Day Delivery ist für Kunden ein schneller, unkomplizierter Zugang zu ihren Produkten heute selbstverständlich – das bisherige Differenzierungsmerkmal des Stationärhandels gilt nicht mehr! New Retail versucht eine neue Differenzierung: Durch die Verbindung der Kanäle und nutzerzentrierte Services kommt z.B. der Kunde nicht mehr zum Produkt, sondern das Produkt zu ihm – überall und zu jeder Zeit.
Dabei geht es nicht um Online versus Offline, sondern darum, das Beste beider Welten zu verbinden - um eine neue Form des Retails mit Fokus auf Experience und Convenience. Erste westliche Firmen pilotieren New Retail bereits, so bringt
Nike Live, das neue Nachbarschaftskonzept der Lifestylemarke, vierzehntägig und speziell auf die lokale Zielgruppe zugeschnittene Kollektionen auf seine Fläche.
Alibaba-Video: Wie New Retail alles verändert In China zeigt Alibaba, wie der stationäre Handel der Zukunft aussieht.
Mit zahlreichen Konzepten passt sich der digitale Riese optimal an Kundenbedürfnisse an. Beispiel: das neue
Alibaba Fashion AI Pilot-Konzept. Bei Betreten des Ladens wird der Kunde identifiziert, die Artikel sind mit Sensoren ausgestattet, smarte Spiegel zeigen Produktinformationen und personalisierte Empfehlungen - ein Inspirationsprozess analog zum Online-Shopping. Ausgewählte Artikel werden direkt in die Umkleide geliefert, lästiges Schleppen gehört der Vergangenheit an. Für den Check-Out bietet Alibaba ähnliche Lösungen wie AmazonGo: beim Verlassen des Ladens wird automatisch das Kundenkonto belastet.
Das Pendant zum Lebensmitteleinzelhandel ist
MobyMart, ein autonom fahrender Supermarkt, der zur Zeit in Shanghai pilotiert wird. Das Konzept sieht ebenfalls eine Identifizierung des Kunden per App und einen automatisierten Zahlprozess vor, zudem wird der Kunde durch einen virtuellen Assistenten im Store begleitet. Personal gibt es nicht mehr. Basierend auf den Standortdaten seiner Nutzer optimiert MobyMart seine Strecken und Haltestellen kontinuierlich, die Ware wird dort angeboten, wo sie benötigt wird. Die Ansätze zeigen, dass sich durch die Nutzung der jeweiligen Vorteile von Online und Offline, ein völlig neues Retail-Kundenerlebnis entwickeln lässt.
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Vor welchen Herausforderungen stehen deutsche Händler?
Die hohe Sensibilität deutscher Kunden beim Thema Datenschutz und Verordnungen wie die DSGVO erschweren die Identifikation und das Tracking des Kunden im Einzelhandel. Die Adaption neuer Technologien geht ebenfalls schleppend voran. Die verhaltene Nutzung von Mobile Payment macht es schwierig, stationär einen unkomplizierten Einkaufsprozess analog dem Online Shopping abzubilden. Die starre IT-Infrastruktur macht eine Integration der verschiedenen Kanäle und neuer In-Store Technologie oft unmöglich. Dies ist jedoch unabdingbar, um Technologien wertstiftend zu integrieren und Kundenverhalten über alle Kanäle hinweg zu begleiten.
Eine Modernisierung ist jedoch häufig so aufwendig, dass viele Händler vor diesem Schritt zurückschrecken. Zentrale Logistikzentren mit Prozessen, die auf die Kommissionierung größerer Mengen optimiert sind, können den schnellen Versand von Einzelteilen, z.B. um die sogenannte Endless Aisle (digital verlängerte Ladentheke) umzusetzen, nicht einfach realisieren. Zu guter Letzt sind traditionelle Kennzahlen des Handels (wie Umsatz/m2) im Kontext des sich verändernden Kundenverhaltens und neuer Konzepte nur noch bedingt geeignet. Es gibt zu wenig neue KPI-Ansätze, die den Erfolg von New Retail messbar machen – stattdessen wird dieser mit alten, ungeeigneten Kennzahlen bewertet.
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Was können stationäre Händler auf dem Weg zum New Retail tun?
Der Einzelhandel muss seinen USP und seine Daseinsberechtigung für den Kunden neu definieren. Produkte zur sofortigen Mitnahme bereitzustellen reicht nicht mehr. Stattdessen gilt es, Ware und Marke über die Grenzen de Stores erlebbar zu machen und den Kunden mit mehrwertstiftenden Services zu binden.
So kommt
Nordstrom Local, das neue Konzept des US-Departmentstores, ohne Inventar aus, bietet stattdessen einen Click & Collect-Service für Online-Bestellungen, Saftbar, Spabereich, einen persönlichen Shopping-Assistenten, und einen Änderungsservice. Die US-Supermarktkette
Wholefoods wird 2018 ihr Restaurant-Konzept The Roast launchen, das sich mit Cocktailbar, DJ und Billiard zu einem sozialen Treffpunkt entwickeln soll.
Adidas wiederum bringt Läufer zu lokalen Runner Communities zusammen, die sich zu wöchentlichen Lauftrainings treffen, gemeinsam an Brand Events und Bewegungen wie Run-For-The-Ocean teilnehmen und so selbst zu Brand Ambassadors werden.
Um New Retail umzusetzen, bedarf es vor allem der konsequenten Verknüpfung bestehender Kanäle, zum Beispiel durch die Integration von Online-Zahlarten am PoS (z.B. Kauf auf Rechnung via Paypal). Zudem muss ein zentrales Kundenprofil sicherstellen, dass Händler die bereits gewonnen Kundendaten nutzen können und dürfen, um relevante Produkte zu empfehlen und ein personalisiertes Einkaufserlebnis zu schaffen.
Der Einzelhandel muss seinen USP und seine Daseinsberechtigung für den Kunden neu definieren.
Olaf Rotax
Eine IT-Infrastruktur á la Amazon ist hingegen häufig nicht nötig. Für viele Händler ist IT keine Kernkompetenz und der Weg zu einem rein datengetrieben, digitalisierten Unternehmen lang. Daher lautet meine Empfehlung auf bereits bestehende insbesondere Cloud-Lösungen für New Retail zurückzugreifen und mit Start-Ups zu kooperieren. Dies ermöglicht eine schnelle Umsetzung von New Retail-Elementen mit bereits erprobter Technologie ohne große Vorabinvestitionen. Langfristig empfiehlt sich für die großen Händler der Aufbau einer Plattform-Architektur, um Services Dritter einfach anbinden und neue Technologie-Trends schnell pilotieren zu können und mit entsprechender Agilität am dynamischen Markt mitzuhalten.
Fazit
Es gibt keine allgemeingültige New Retail-Lösung. Vielmehr muss individuell evaluiert werden, welchen Zweck der Handel für den Kunden erfüllen soll - hierbei kann es sich durchaus um eine Nische handeln.
Analog dazu sollte dann die richtige Technologie ausgewählt werden. Händler stehen dabei vor einer Vielzahl von Herausforderungen, begleitet von der Sorge, durch neue Prozesse und Technologien bestehende Kunden zu verlieren. Doch ohne das Testen neuer Ansätze, mit dem Risiko auch einmal falsch zu liegen, wird sich der Handel nicht weiterentwickeln und die Ziel des New Retail, nämlich die Schaffung von Kundennutzen und -erlebnissen über alle Kanäle und Kaufphasen hinweg, bleibt Angelegenheit der großen Ökosystem-Anbieter, die dann im Zweifel auch den Offline Markt uneinholbar neu besetzen!