Nicolai Andersen, Deloitte
KI-Debatte

Warum wir uns mit allzu starren Regulierungen Chancen verbauen würden

Brauchen wir aufgrund Künstlicher Intelligenz eine neue Ethik? So lautet das Thema, über das Deloitte-Manager Nicolai Andersen auf den Digital Marketing Days 2019 von HORIZONT (3. und 4. Juli in Hamburg) sprechen wird. Andersen ist Leader Innovation und Head of The Garage bei Deloitte und sagt: "Es kommt darauf an". Im Gastbeitrag stellt er klar: "Der Mensch bleibt in der Verantwortung".
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Die Digitalisierung stellt uns Menschen vor jede Menge neuer Herausforderungen. Aber das bringt technischer Fortschritt so mit sich: Während des Aufkommens der ersten Dampflokomotiven gab es eine große gesellschaftliche Debatte darüber, welche Langzeitfolgen diese neuen Geschwindigkeiten für Körper und Seele des Menschen haben würden.


Heute empfinden wir es ganz klar als Errungenschaft, in vier Stunden die Strecke Berlin–München umweltfreundlich mit dem Schnellzug zurücklegen zu können – über physische und psychische Folgeschäden schnellen Zugfahrens haben sich vermutlich die wenigsten von uns je Gedanken gemacht.

HORIZONT Digital Marketing Days

Digital Marketing Days 2019 Logo
dfv
Am 3. und 4. Juli 2019 finden die HORIZONT Digital Marketing Days 2019 statt. Unter dem Motto KI, Voice, Social – glänzende Zukunft für digitales Marketing? treffen sich Marketingentscheider und Player der Branche in Hamburg. 
Folgende Themen stehen auf der Agenda:

  • Künstliche Intelligenz: Treiber von Digitalisierung und Marketing
  • Social Media: Treiber von Content und Commerce
  • Voice Commerce: Treiber von Branding und Service
  • Money & Media:  Treiber des digitalen Investments
  • Start-ups, CMOs und CDOs: Treiber von Innovation und Erfolg

Auf der Bühne sind u.a. dabei: Lufthansa, Mercedes-Benz, Volkswagen, Deutsche Telekom, Bahlsen, Seat, Shell, Prizeotel, Geberit und weitere.

Alle Informationen unter: www.dfvcg.de/DMD19

Auch wenn es selbstverständlich klingt, müssen wir uns im Angesicht der Digitalisierung bewusst machen: Technischer Fortschritt hat Folgen. Manchmal ist die Veränderung kleiner und nur für wenige spürbar, manchmal hat die neue Technologie immensen Einfluss auf das Leben von unzähligen Menschen. Die Entwicklungen, die die Digitalisierung mit sich bringt, gehören größtenteils eher zur zweiten Kategorie. Das macht Technikfolgenabschätzung so wichtig. Dieser zunächst sperrige Begriff ist der Schlüssel, um informiert zu beurteilen, welche Veränderungen wir als Gesellschaft wünschenswert finden und wo wir Grenzen setzen wollen.

Technikfolgenabschätzung ist nicht schwarz oder weiß

Doch schaut man sich konkrete Beispiele an, wird schnell klar: Es gibt alle Abstufungen zwischen Schwarz und Weiß. Die Antwort auf "Darf Technologie das?" muss oftmals "Es kommt darauf an" lauten: Viele Menschen möchten beispielsweise, dass ein Chatbot beim Hören als Maschine erkennbar ist, weil sie die Vorstellung vielleicht unangenehm finden, beim Anruf bei einer Servicehotline nicht zu wissen, ob sie mit einem Menschen oder mit einer Maschine reden. Man könnte nun also gesetzlich festlegen, dass eine Maschine nicht wie ein Mensch klingen darf. Aber damit verhindern wir auch Chancen, die diese Technologie mit sich brächte.

In der Pflege, beispielsweise von Demenzkranken, ist man beispielsweise gerade noch dabei, herauszufinden, welche Art von Pflegeroboter sinnvoll ist. Forscher wie der Wirtschaftsinformatiker und Ethiker Oliver Bendel glauben, dass ein Pflegeroboter mit einer eher kindlichen Computerstimme – wie der sogenannte "Companion Robot" Pepper – von Patienten nur schwer als Vertrauens- und Respektsperson akzeptiert werden könne. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass eine besonders menschlich klingende Stimme den sogenannten Uncanny-Valley-Effekt auslösen und auf uns unheimlich wirken kann. Um hier eine gute Lösung zu finden, braucht es praktische Erfahrung. Voreilige Verbote verhindern jedoch, dass wir diese überhaupt sammeln können.

Digitale Verantwortung statt regelfreien Fortschritts-Anarchismus

Technikfolgenabschätzung ist hochkomplex und genau deshalb sollten wir uns nicht mit allzu starren Regulierungen Chancen verbauen. Was auf den ersten Blick als ethisch richtige Entscheidung erscheint, zieht oft ein größeres Dilemma nach sich. Bleiben wir beim Pflegebeispiel: Intuitiv ist man vermutlich der Meinung, dass es ethisch problematisch ist, einem Demenzpatienten menschlichen Kontakt "vorzugaukeln", wenn er es in Wirklichkeit mit einer Maschine zu tun hat, den Unterschied aber selbst nicht mehr erkennt. Die bisherigen Erfahrungen mit sozialen Robotern wie Paro bestätigen allerdings positive Effekte bei den Patienten. So kann man sagen: Die Illusion von sozialem Kontakt ist besser als gar kein Kontakt. Bevor man hier für strenge Regeln plädiert, sollte man sich fragen, ob man selbst Zeit mit der dementen Großmutter verbringen kann, um ihr echten sozialen Kontakt zu ermöglichen.

Trotzdem ist das hier kein Plädoyer für einen regelfreien Fortschritts-Anarchismus. Der Mensch bleibt in der Verantwortung. Wir müssen uns sehr wohl Gedanken darüber machen, wie wir unsere ethischen Grundsätze auf die digitale Welt übertragen können. Es geht nicht darum, alles umzusetzen, was technisch möglich ist. Aber wir müssen auch akzeptieren, dass wir hier größtenteils in Grauzonen unterwegs sind. Um vernünftige Entscheidungen darüber treffen zu können, welche Art von digitalem Fortschritt wir wollen, müssen wir die Technologien hinter der Digitalisierung besser verstehen.

Es geht nicht darum, dass wir alle nebenbei noch eine Runde Informatik studieren. Unternehmen müssen ihre "Corporate Digital Responsibility" wahrnehmen und ihren Kunden, ihren Mitarbeitern und auch dem Regulator die Wirkungsweise ihrer Technologien erklären. Der einzelne Mensch muss nachvollziehen können, wie und nach welchen Kriterien beispielsweise ein Algorithmus entscheidet, er muss ihn nicht selbst nachrechnen können. Unternehmen können hier als Enabler für Politik und Gesellschaft dienen. Wir brauchen eine digitale Mündigkeit – damit wir irgendwann den digitalen Schnellzug statt der Pferdekutsche nehmen können.

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