Christian Rechmann, For Sale
Wenn man sich die jüngsten Kampagnen von Google, Facebook oder Youtube anschaut fällt auf, dass ausgerechnet die Online-Riesen in den vergangenen Monaten vor allem auf Werbung in klassischen Medien gesetzt haben. Ganz offensichtlich haben Plakate, Anzeigen, TV- und Radiospots Vorteile, die auch die großen Onlineplayer überzeugen. Christian Rechmann von der Werbeagentur For Sale erklärt in seinem Gastbeitrag für HORIZONT Online, welche das sind.
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Ende 2018 konnte man den Kampagnen der großen Onlineplayer kaum entgehen – wohlgemerkt den Offline-Kampagnen: auf Plakaten, Anzeigen, Prospekten, im Radio und im Fernsehen. Netflix wirbt für seine Programm-Highlights. Youtube macht seinen neuen Musik-Streamingdienst bekannt, Facebook versucht das angeschlagene Vertrauen wiederherzustellen und Google wetteifert mit Amazon um die Vorteile ihrer Sprachassistenten.


Imagekampagne: Mit diesen Motiven wirbt Facebook um Vertrauen

Seit einigen Jahren erklären Online-Unternehmen die klassischen Medien für tot. Print sei tot, weil die Auflagen zurückgehen, TV liege im Sterben, weil Streaming an Bedeutung gewinnt, die Tageszeitung gilt bereits als beerdigt und Beilagenwerbung sei ein auslaufendes Modell. Solche und ähnliche Behauptungen werden verstärkt immer dann in die Welt gesetzt, wenn es darum geht, den Online-Anteil im Werbemix zu erhöhen.

Wenn es so wäre, dass die klassischen Medien keine oder nur überteuerte Reichweite brächten, wohingegen einzig Onlinekanäle effiziente Kontakte erzeugen würden, dann lautet die Frage doch: Warum entscheidet sich Amazon, Facebook, Google, Netflix und Youtube verstärkt für die Nutzung klassischer Medien?

Für die Antwort auf diese Fragen braucht es einen ehrlichen Blick auf die Stärken und Schwächen der jeweiligen Kanäle.

Youtube bewirbt seine Musik-App in Out of Home
Christian Rechmann
Youtube bewirbt seine Musik-App in Out of Home

Klassik kann Reichweite, online kann Conversion

Weil Interesse unsere Wahrnehmung steuert, gelingt es guten Onlinemedien sehr erfolgreich, ein einmal geoutetes Interesse, aufzunehmen und weiterzuführen. Einem Nutzer jedoch, der online gerade mit etwas völlig anderem beschäftigt ist, kann die Werbung für denselben Sprachassistenten kaum greifen.

Amazon weiß, wie schwierig es ist, Menschen auf ein Thema zu führen, wenn sie sich gerade nicht dafür interessieren. Google kennt die durchschnittliche Klickrate einer Bannerkampagne: Sie liegt bei circa 0,4 Prozent, mit einer Bouncerate von 50 Prozent - das bedeutet, nur vier von 1.000 erreichten Kontakten klicken auf ein Banner, zwei davon absichtlich. Die anderen 996 Personen hatten nicht etwa einen beiläufigen Kontakt, sondern nehmen die Bannerfläche gar nicht wahr - man spricht von "Banner-Blindness".

Hier liegt ein großer Unterschied zu Plakatflächen, Anzeigen, TV- und Radio-Spots. Anzeigen und Plakate werden auch beim Überblättern oder Vorbeifahren gesehen. In den durchschnittlich zwei Sekunden beiläufiger Wahrnehmung kann eine Grundidee von Marke und Angebot vermittelt werden, die über eine wiederkehrende Wahrnehmung zu einer positiven Grundstimmung der Marke gegenüber führen. Diesen als "Mere-Exposure" bezeichenten psychologischen Effekt kann man für Banner kaum und für Textanzeigen gar nicht reproduzieren. Ebenfalls beiläufig schleicht sich Radiowerbung in unsere Wahrnehmung. Da wir zwar aktiv wegschauen, aber nicht absichtlich weghören können, wird ein Radiospot immer wahrgenommen, solange er technisch zugestellt wird – ein Fakt, den Online-Werbeflächen mit Pop-Ups und Overlay-Ads nachzuahmen versuchen, dabei jedoch lediglich die Nutzung von Adblockern in die Höhe treiben.

Vertrauen ist der Anfang von allem

Wenn Facebook und Amazon verstärkt in Werbung in Printmedien investieren, so tun sie das aus einem weiteren Grund: Sie suchen Vertrauen. Im Falle von Facebook geht es darum, verloren gegangenes Vertrauen wiederherzustellen, Amazon will das Vertrauen in Alexa stärken, die bereits für "permanentes Mithören" in der Kritik stand. Beide Marken bewegen sich daher in die Medien, deren Inhalten das größte Vertrauen entgegengebracht wird. Printmedien liegen laut aktueller Ergebnisse von Best4Planning (b4p) auf Platz eins unter den als "sehr vertrauenswürdig" eingestuften Quellen (76 Prozent der Befragten halten Printmedien für sehr vertrauenswürdig). Gerade der Vergleich zu den Werten digitaler Dienste zeigt, wie gut eine Marke daran tut, sich in dieses vertrauensvolle Umfeld zu begeben. Wenn über ein Ereignis in Print und in sozialen Medien sehr unterschiedlich berichtet würde, dann verlassen sich 60 Prozent der Befragten Nutzer auf Zeitungen und Zeitschriften, wohingegen nur 7 Prozent digitalen Diensten wie Facebook oder Twitter Glauben schenken (Quelle: b4p Trends, 2018).

Amazon trommelt für seinen smarten Lautsprecher - in Print
Christian Rechmann
Amazon trommelt für seinen smarten Lautsprecher - in Print

Man wünscht sich Fords 50 Cent zurück

Über die Effizienz der (damals ausschließlich klassischen) Werbung wird gestritten, seitdem Henry Ford die Hälfte seiner Werbung als "hinausgeworfenes Geld" bezeichnete. Wenn er auch nicht wisse, welche Hälfte. Onlinevermarkter und Werbeagenturen sind mit dem Versprechen angetreten, dieses "50-Prozent-Dilemma" mithilfe von Cookies und Targeting aufzulösen. Die Messbarkeit von Views und Klicks hat dazu geführt, die Wirkung von Onlinemedien überzubewerten. Dass dieses Wirkungsversprechen nicht erfüllt wird, wissen wir spätestens seitdem Procter & Gamble Ende 2017 die Summe von 100 Millionen Dollar an digital investierten Werbegeldern reduziert hat, ohne einen Absatzrückgang zu bemerken. Bei so einem Ergebnis sehnt man sich fast nach dem zur Hälfte richtig investierten Dollar von Henry Ford zurück.

Online-Reichweite überschätzt?

Nicht nur die Wirkung von Online wurde über die letzten Jahre ungeprüft großgeredet, auch ihre Reichweite wird überschätzt. Zu jedem Jahresende stellt Youtube die beliebtesten deutschen Werbeclips für das vorangegangene Jahr vor. Die Top Ten der erfolgreichsten Clips 2018 haben es auf insgesamt etwas mehr als 100 Millionen Views gebracht. Jeder der 10 Top-Spots wurde also im Erhebungszeitraum eines Jahres durchschnittlich 10 Millionen Mal angesehen. Was auf den ersten Blick nach hoher Reichweite klingt, relativiert sich, sobald man es gegen TV-Kampagnenwerte legt: ein einzelner, prominent platzierter TV-Spot vor Fußball- oder Formel-1-Übertragungen erreicht ähnliche Werte bei einer einzigen Ausstrahlung und nicht erst im Laufe eines Jahres.

Und bis auf sehr wenige Ausnahmen sind die Werbespendings hinter den "erfolgreichsten Youtube-Spots" nicht geringer, als die Investitionen für eine vergleichbare TV-Reichweite, nur nennen wir die Spendings dort "Seeding".

Wirkung ist nicht gleich Wirkung

Es geht nicht darum, Online oder Offline als die bessere Strategie zu bewerten. Vielmehr geht es darum, den Medien im Sinne einer Customer Journey die richtige Relevanz und Reihenfolge in einer Kampagne zuzuordnen.

Wer heute erfolgreich seine Zielgruppen ansprechen will, kommt um einen medienübergreifende Marketingmix nicht herum. Jede Werbewirkungsstudie belegt aufs Neue, dass Mix-Pläne mehr aus den investierten Werbegeldern herausholen, als es monomedial geplante Kampagnen vermögen. Und für einen guten Mix muss man die Leistungen der jeweiligen Medien kennen.

Aus den geballten Werbeauftritten von Facebook, Google und Co lässt sich ableiten, wie jene Firmen, die über das beste Datenmaterial ihrer Nutzer verfügen und besser als die meisten mit diesen großen Daten umzugehen wissen, auf den größten Return für ihre investierten Euros hoffen. Mit großen, klassischen Kampagnen erzielen sie Reichweite und greifen dann gezielt die dadurch generierten Interessenten ab. Denn es sind Online-Werbemittel, die ein Interesse optimal zur gesuchten Produktinformation führen können - aber vor allem Offline-Kanäle, die in der Lage sind, Interesse zu wecken.

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