Ralf Heller, Virtual Identity AG
Viewability

Über Werbung, die keiner sieht, aber trotzdem abgerechnet wird

Fast 800 Millionen Euro werden in Werbung investiert, die keiner wahrnimmt, analysiert Ralf Heller, Gründer und CEO von Virtual Identity. In seinem Gastbeitrag für HORIZONT Online bricht er eine Lanze für eine genauere Abrechnung von Online-Werbung. Die eingesparten Gelder könne man bedenkenlos in etwas Sinnvolleres investieren: Alle Bundesbürger ins Kino einladen oder 50 Millionen Bäume im Amazonas pflanzen.
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Es kursieren viele Studien zur Werbewelt. Neulich ist mir eine begegnet, die mich erstaunt hat: der europäische Viewability Benchmark von Meetrics. Meetrics untersucht die Sichtbarkeit von digitaler Werbung. Im Q2 2017 galt für Deutschland, dass 57 Prozent aller Display Ads für durchschnittlich 26,1 Sekunden für den Benutzer sichtbar sind.


Ich wundere mich, was mit den restlichen 43 Prozent ist. Zum Glück sitzt Oliver neben mir. Er war früher mal in der Geschäftsleitung eines großen Online-Vermarkters und kennt sich mit diesen Themen aus. Er erklärt mir, dass eine Anzeige als sichtbar zählt, wenn 50 Prozent ihrer Fläche für mindestens eine Sekunde im sichtbaren Bereich ist.

Ich frage Oliver, ob denn die messbare Sichtbarkeit eine Auswirkung auf die Schaltungskosten hat. Ja, sagt er. Einige Anbieter haben eine Viewability Garantie. Bucht man sie dazu, wird der TKP teurer. Allerdings zahlt man trotzdem den Standardpreis, auch wenn der Banner gar nicht zu sehen war. Abgerechnet wird nach Ad-Impressions, wenn die Webpage den Banner lädt.

Jetzt kann man vielleicht noch darüber streiten, ob eine Anzeige die nur zur Hälfte sichtbar ist, eine Werbewirkung hat. Ein Banner, das man weniger als eine Sekunde mit weniger als der Hälfte seiner Fläche sieht, hat definitiv keine Werbewirkung. In diese Kategorie fallen laut Meetrics 43 Prozent aller Digitalanzeigen in Deutschland. Und laut Oliver wird ein Großteil dieser von den Werbetreibenden bezahlt.
Bei den meisten Bannern ist es vermutlich eh besser, dass sie nie jemand sieht. Ich fürchte aber, dass dieser durchaus edle Gedankengang bei der Webeplanung eine untergeordnete Rolle spielt. Schließlich werden in Deutschland jährlich 1,8 Milliarden Euro für Display Advertising ausgegeben. Glauben wir den Zahlen von Meetrics heißt das: Fast  800 Millionen Euro werden in Werbung investiert, die keiner wahrnehmen wird. Volkswirtschaftlich betrachtet ist das nicht schlimm. Das Geld ist ja noch da, es hat nur den Besitzer gewechselt.

Die Technologie, um nur wirklich sichtbare Online-Werbung abzurechnen, ist vorhanden. Man müsste sie nur konsequent einfordern und flächendeckend implementieren. Da keine Werbewirkung wegfällt, könnte man die eingesparten Gelder bedenkenlos sinnvollen Verwendungszwecken zuführen: Alle Bundesbürger ins Kino einladen; jedem Kindergarten einen zusätzlichen Betreuer finanzieren; 50 Millionen Bäume im Amazonas pflanzen.

Oder man nutzt die freigewordenen Mittel für innovative Ansätze. Digitalisierung ermöglicht, Markenkommunikation als Service zu gestalten. Als Angebote, die das Leben der Zielgruppen leichter machen. Dann braucht man sich auch nicht um Viewability zu kümmern. Denn: Was hilft, wird - ganz ohne Werbedruck - immer wieder gerne genutzt. 

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