Marco Saal
Telekom predigt Digital Detox

Warum die Antiwerbung in Wahrheit ein Geniestreich ist

Wenn es in Deutschland eine Zeit für den ultimativen Shoppingrausch gibt, dann in den letzten Wochen vor Heiligabend. Dass Weihnachtskampagnen oft vor Produkt- und Preisangeboten nur so strotzen, ist vor diesem Hintergrund kein Wunder. Die Deutsche Telekom geht in diesem Jahr einen komplett anderen Weg - und macht sich für "Digital Detox" - also digitale Enthaltsamkeit - stark. Doch dürfen sich die Wettbewerber angesichts dieser scheinbaren "Antiwerbung" nun die Hände reiben? Eher nicht. Die Telekom dürfte von dem Aufruf zum Smartphone-Fasten sogar profitieren.
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Auf den ersten Blick ist die Strategie der Telekom kaum nachzuvollziehen. Warum bitte sollte ein Konzern Millionenbeträge in die Schaltung eines TV-Spots investieren, der die eigenen Produkte nicht wie sonst üblich mit attraktiven Schnäppchenangeboten feilbietet, sondern - im Gegenteil - dazu aufruft, diese zu boykottieren? Die Frage ist relativ einfach zu beantworten, wenn man bedenkt, dass die Telekom-Werbung inzwischen sehr stark marken- und weniger vertriebsgesteuert ist. Denn dass sich ein Konzern, der sein Geld mit Lösungen für das vernetzte Leben und Arbeiten verdient, für Digital Detox stark macht, wird einen Vertriebler sicher alarmieren. Aus Markensicht ist es aber geradezu ein genialer Schachzug.

Zum einen kann die Telekom damit für sich beanspruchen, dass sie die allgegenwärtigen Sorgen vor Überarbeitung und Burnout ernst nimmt, die Gefahren kennt und sich - pfeif auf den Umsatz - ihrer gesellschaftlichen Verantwortung auch bewusst ist. Eine Botschaft, die nicht nur nach außen, sondern auch in den Konzern hinein wirken dürfte. Zum anderen strahlt der TV-Spot eine ungeheure Souveränität aus, die der Marke Telekom im allgegenwärtigen Wettkampf mit Vodafone, O2 und Co sicher helfen dürfte. Denn wer sich in der umsatzstärksten Zeit der Jahres erlauben kann, auf absatzfördernde Kampagnen zu verzichten und die Kunden dazu aufruft, im eigenen Interesse mal einen Gang runterzuschalten, der wird auch keinen schlechten Eindruck bei den Verbrauchern hinterlassen - auch nicht bei denen, die vielleicht über einen Anbieterwechsel nachdenken.
Der von Stammbetreuer DDB entwickelte TV-Spot mit der Familie Heins ist aber vor allem deshalb ein genialer Schachzug, weil er eben genau eines nicht ist - Antiwerbung. Der von Soup Film produzierte 60-Sekünder zeigt - allen Digital-Detox-Aufrufen zum Trotz - doch vor allem eines: Eine Familie, die - angefangen beim kleinen Anton bis hin zur Großmutter Charlotte - ihren Alltag von morgens bis abends mit Smartphone, Tablet und Internet-TV verbringt - und sich das offenbar auch gar nicht mehr anders vorstellen kann und will. Ganz im Gegenteil: So schwer, wie es den Familienmitgliedern fällt, ihre Geräte am heiligen Abend mal beiseite zu legen, ist der Spot in Wahrheit eine Liebeserklärung an die Produkte der Telekom. mas



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