Big Data, künstliche Intelligenz und Programmatic Advertising - das sind derzeit die Mega-Trends im Marketing. Doch sind es auch Allheilsbringer? David Eicher, Geschäftsführer bei Territory Webguerillas, glaubt das nicht. In seinem Gastbeitrag für HORIZONT Online bricht er eine Lanze für eine traditionelle Stärke von Werbeagenturen - die überraschende und charmante Ansprache von Konsumenten.
Künstliche Intelligenz und natürlich Big Data − im Marketing ist es aktuell das, was die Zahl 42 im Film „Per Anhalter durch die Galaxis“ ist: die Antwort auf alles. Was der Algorithmus hergibt, muss schließlich richtig sein. Ein Irrglaube, aber zugleich eine bequeme Lösung auf all die gestiegenen Anforderungen im digitalen Marketing. Einfach die Verantwortung an den virtuellen Zahlenknecht delegieren. Wird schon stimmen. Und so setzen immer mehr Werbungtreibende auf die gleichen Mechanismen und Tools, um die ultimative Gewissheit zu erlangen, was der Verbraucher wirklich will: Wer eine Reise bucht, ist an einem Mietwagen interessiert, wer die 40 überschritten hat, muss ein Interesse an Koffein-Shampoo haben, und wer nach einem Bürostuhl sucht, kann sicher auch einen Schreibtisch gebrauchen. Kurzum: Je präziser das User-Profil, desto enger das Angebot – und desto kalkulierter die Ansprache.
Big Data schränkt unseren Blickwinkel ein und macht uns engstirniger. Das kann nicht Aufgabe und Ziel von Kommunikation sein.
David Eicher
Doch wenn Content berechenbar ist, ist er vorhersehbar. Wenn er vorhersehbar ist, ist er langweilig. Er kann bestenfalls einen Nutzen stiften und damit ein Konsumbedürfnis befriedigen. Er kann aber kein neues wecken. Weil die Maschine uns kennt und es gut mit uns meint, zeigt sie nur Dinge, die uns scheinbar interessieren. Je genauer sie weiß, was uns in der Vergangenheit interessierte, desto schwieriger wird es, dass wir in Zukunft über etwas Neues stolpern, unseren Horizont erweitern, Unvorhergesehenes entdecken. Big Data bestätigt uns stattdessen in unseren Urteilen, Vorurteilen und Shoppinggewohnheiten. Es schränkt unseren Blickwinkel ein und macht uns engstirniger. Das kann nicht Aufgabe und Ziel von Kommunikation sein – auch nicht von kommerzieller.
Nicht falsch verstehen: Wenn etwa die Google-Software AlphaGo den Südkoreaner Lee Sedol, einen der besten Go-Spieler weltweit, besiegt, so zeigt dies, welche atemberaubende Fortschritte KI gerade macht. Nur kann man diesen Mechanismus 1:1 auf unsere Branche übertragen? Es ist eben doch etwas anderes, eine Software mit tausenden von Partien zu füttern und analysieren zu lassen als während eines kurzen Stromausfalls beim Superbowl blitzschnell das Motiv „Don’t dunk in the dark“ rauszuhauen. Headlines, die man erinnert, Kampagnen, über die man spricht, Aktionen, die sich viral im Netz verbreiten – alles kein Ergebnis von Künstlicher Intelligenz, sondern von Intuition, Bauchgefühl und menschlicher Kreativität. So wie die Bild-Headline „Wir sind Papst“, die Sixt-Werbung oder die drei
Mädels, die singend im Auto Hits imitieren. Ob eine solche Leistung je eine Software vollbringen wird, kann keiner realistisch vorhersehen.
Es ist deshalb an der Zeit, den Nutzen von Big Data und KI realistisch einzu- und nicht zu überschätzen (wozu wir bei technischen Innovationen leider immer neigen). Unbestritten ist dabei: Die Menge an Daten – richtig aggregiert und analysiert - hilft uns, Konsumenten besser kennenzulernen und ihre Bedürfnisse exakter einzuschätzen. Aber die letzte Lücke im Content Marketing wird sie nicht schließen können – nämlich die der ebenso überraschenden wie charmanten Ansprache.