Jean-Baptiste Rudelle, Criteo
Datenschutz-Debatte

Europäer sollten die richtigen Schlachten schlagen

Die digitale Welt wird von den USA aus umklammert, was nicht zu Unrecht zu allerlei Unbehagen im Rest der Welt führt. Deshalb ist der Schutz der persönlichen Daten ein dringenderes Thema denn je, findet Jean-Baptiste Rudelle, Chairman und Gründer von Criteo. In seinem Gastbeitrag bei HORIZONT Online erklärt er, warum es höchste Zeit ist, dass die Europäer die richtigen Schlachten schlagen.
Teilen
Geht es um den Schutz unserer persönlichen Daten, sind wir Europäer seit jeher besonders empfindlich. In der heutigen Zeit, in der das Internet eine zentrale Rolle in unserem Leben einnimmt, entwickelt sich der Schutz der Privatsphäre zu einem gesamtgesellschaftlichen Anliegen. Wenige amerikanische Tech-Giganten – die berühmt-berüchtigten GAFA (Google, Apple, Facebook und Amazon) – gewinnen zunehmend Kontrolle über unsere persönlichen Daten.

Mit der im Mai in Kraft tretenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bekommt Europa endlich ein modernes Werkzeug für den Datenschutz. Die Verordnung sorgt für einheitliche Regeln in ganz Europa und somit für die Möglichkeit, bei Vergehen Strafen auszusprechen, die bis zu 4 Prozent des jährlichen weltweiten Umsatzes einer Firma betragen können. Europa ist sich der Dominanz der Amerikaner in diesem Feld durchaus bewusst und hat daher sorgfältig darauf geachtet, dass diese Regeln für alle Unternehmen gelten, die Daten europäischer Bürger auswerten – ungeachtet dessen, ob sie von innerhalb oder außerhalb der EU operieren.

Das kann nur zu unser aller Vorteil sein! Ganz allgemein gesprochen: Ich unterstütze jedes universelle Regelwerk, das dem Einzelnen die Freiheit lässt zu entscheiden, wie persönliche Daten verwendet werden sollen. Auch ist es meiner Meinung nach an der Zeit, dass wir uns unsere digitale Souveränität im Angesicht der Dominanz der GAFA zumindest teilweise zurückholen und zusammenstehen gegen jeglichen Missbrauch persönlicher Daten. Ich nenne hier als Beispiel Amazons Versuch, Produktpreise auf Basis von Nutzerprofilen anzupassen, was einen riesigen Aufschrei zur Folge hatte.
Mit der im Mai in Kraft tretenden Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) bekommt Europa endlich ein modernes Werkzeug für den Datenschutz.
Jean-Baptiste Rudelle
Ironischerweise enden gut gemeinte regulatorische Initiativen manchmal darin, die Dominanz der GAFA noch weiter zu stärken. Werfen wir einen Blick auf den digitalen Werbemarkt, um dies zu veranschaulichen! Wir Europäer sind, beeinflusst durch amerikanische Lobbyisten, in eine selbstgemachte Falle getreten. Wir diskutieren darüber, ob wir die Privatsphäre unserer Mitbürger schützen oder die wirtschaftliche Entwicklung digitaler Services "Made-in-Europe" fördern sollten. Diese Fragestellung ist falsch und bedeutet ein Verlustgeschäft sowohl für die Bürger als auch für unsere Wettbewerbsfähigkeit.

Criteo hat schon 2009 gezeigt, dass es auch ohne amerikanische Lobbyisten geht: Damals hatte ich es zur Voraussetzung gemacht, dass jeder Nutzer alle persönlichen Surfdaten löschen und eine erneute Verwertung mit gerade einmal zwei Klicks unterbinden kann. Das haben wir damals ohne Richtlinie umgesetzt, denn der Datenschutz der Nutzer war uns stets heilig. Bei den Internetnutzern kam dieser Ansatz sehr gut an. Manche Nutzer wollen einfach nicht, dass Daten von ihnen gesammelt werden, auch wenn das bedeutet, dass sie Werbung nach dem Zufallsprinzip ohne Relevanz für sie zu sehen bekommen; das gilt es zu respektieren. Die Mehrheit der Nutzer bevorzugt – wenn sie denn so oder so Werbeanzeigen sehen – dass diese auch relevant sind. Transparenz ist hier das Schlüsselwort, das Vertrauen in personalisierte Werbung stiftet. Die vielen Millionen Klicks auf unsere Werbebanner jeden Tag sind ein deutlicher Beleg dafür, dass sie als nützlich empfunden werden.

Die eigentliche Herausforderung also liegt darin, die Zustimmung des Nutzers zu erhalten. Hier werden Europäer von den mächtigen amerikanischen Konzernen geradezu übers Ohr gehauen. Der Ansatz, dass jede Website die Zustimmung des Nutzers zur weiteren Verwendung der Surfverhaltensdaten auf der Seite einholen muss, ist grundsätzlich gut, hat allerdings zwei unbeabsichtigte Folgen.

Zum einen kann diese Anforderung unbequeme Nebeneffekte für Nutzer verursachen. Bei jedem Besuch einer neuen Seite sehen sie sich einem Banner gegenüber, das sie fragt, ob sie der Sammlung ihrer Daten zustimmen oder nicht. Zum anderen profitieren von diesem Ansatz die vornehmlich amerikanischen und von den GAFA angeführten Tech-Giganten. Ein Service, den ich täglich nutze, erkennt mich automatisch und braucht mich daher nicht jedes Mal nach meiner Zustimmung zu fragen. Ein spezialisierter Blog hingegen, den der Nutzer nur ein paar Mal im Jahr besucht, muss dies bei jedem Besuch tun. Das führt unweigerlich dazu, dass Internet Traffic auf ein paar wenige große Webumgebungen zusammenlaufen wird. Viel schlimmer noch: Facebook-Anhänger, die ihre Seite zehnmal am Tag zu besuchen, lassen selbst eine exorbitante Nutzung ihrer persönlichen Daten zu. Das bedeutet, je häufiger der Service genutzt wird, umso essentieller sind der Wert und die Rolle von Zustimmungen.
Gerechter und effektiver wäre es, wenn Internetnutzer ihre Entscheidung zentral treffen könnten. Nutzer müssten dann nicht mehr jedes Mal auf einen Banner klicken, wenn sie eine neue Website besuchen. Stattdessen wäre ihre Wahl für jede besuchte Seite gleichermaßen gültig. Sie würden dem Prinzip personalisierter Werbung zustimmen oder dieses ablehnen, mit der Option, ihre Entscheidung jederzeit wieder zu ändern. Lehnen sie ab, beträfe das alle Webseiten, kleine wie große. Alle müssten diese Entscheidung respektieren und niemand könnte seine marktbeherrschende Stellung ausnutzen, um die Zustimmung der Nutzer zu ihrem eigenen personalisierten Advertising einzuholen. Dies würde zu mehr Chancengleichheit zwischen kleinen unabhängigen Webseiten und den Giganten führen. Doch: Wenn wir keine amerikanische Digitalkolonie werden wollen, müssen wir schnell handeln! Den GAFA ein Quasi-Monopol für personalisierte digitale Werbung zuzugestehen, bedeutet nicht nur, ihnen die Schlüssel zu unserer digital‑wirtschaftlichen Souveränität in die Hände zu legen; vielmehr riskieren wir die Unabhängigkeit und Vielfalt europäischer Medien.

Gäbe es einen Award für Wettbewerbsverzerrungen, die das System zugunsten amerikanischer Firmen manipulieren, müsste er an Apple gehen. Unter dem Vorwand, die Privatsphäre seiner Nutzer zu schützen, hat Apple kürzlich eine Website-Hierarchie für alle seine Nutzer eingeführt, die den GAFA klar in die Hände spielt. Unter dem wohlklingenden Namen Apple „Intelligent Tracking Prevention”, oder kurz ITP, kann Apple nun entscheiden, gesammelte Daten unterschiedlich zu behandeln, je nachdem, auf welcher Website die Daten gesammelt wurden. Für integrierte Media-Sites mit einer eigenen personalisierten Werbetechnologie wird ITP kaum einen Unterschied machen. Das schließt vor allem Google, Facebook und Amazon ein. Die große Mehrheit unabhängiger Seiten aber hat keine Ressourcen, diese hochkomplexen Werbetechnologien selbst zu entwickeln. Sie arbeiten stattdessen mit einem spezialisierten Partner wie Criteo zusammen.

Genau diesen Seiten ohne eigene Werbetechnologie verwehrt Apple nun automatisch das Sammeln von Daten. Aus Nutzersicht ergeben sich keinerlei Vorteile dadurch, nach Art der Website zu unterscheiden. Was die Sache noch schlimmer macht: Dies ist nicht nur eine automatisch aktivierte Grundeinstellung des Apple-Browsers, auch Websites, die eine eindeutige Willensbekundung des Nutzers nach Vorgabe der DSGVO vorliegen haben, können Apples einseitige Entscheidung nicht ändern. Diese starre Maßnahme beschränkt die Freiheit der Internetnutzer nach Apples Lust und Laune und straft unabhängige Medienseiten ab, die auf Werbeerlöse unabdingbar angewiesen sind. Hinzu kommt, dass Apple diese neue Maßnahme nur auf seinen Webbrowsern anwendet, nicht aber in der mobilen App-Umgebung, in der die Dominanz amerikanischer Giganten ganz zufällig umso deutlicher auffällt. Diese unterschiedliche Behandlung verstärkt den Eindruck noch, dass der Schutz des Nutzers nicht das Ziel dieser Initiative ist.
Gäbe es einen Award für Wettbewerbsverzerrungen, die das System zugunsten amerikanischer Firmen manipulieren, müsste er an Apple gehen.
Jean-Baptiste Rudelle
Die Deadline für den Entwurf der e-Privacy-Verordnung steht kurz bevor. Bei diesem Entwurf sollte der europäische Gesetzgeber nicht zu schnell einen zentralisierten Ansatz umsetzen, der am Ende den US-Riesen in die Hände spielen könnte. Nochmal: Wir müssen uns auf ein Konzept universeller Zustimmung für die Datennutzung konzentrieren, das einen faireren und effektiveren Weg zur Regelung des digitalen Ökosystems bereitet. Die Debatte zur Netzneutralität ist eine weitere Gelegenheit, unsere Gefühle zum Ausdruck zu bringen. Netzneutralität ist unabdingbar für die Meinungsfreiheit, die Kommunikation und den Zugang zu Informationen – in den Vereinigten Staaten ist sie aktuell aber stark unter Beschuss. Noch scheint sie in Europa sicher zu sein, allerdings ist ihr Geltungsbereich auf Internet Service Provider bislang zu stark eingeschränkt. Würde der Geltungsbereich der Netzneutralität jedoch auf Webbrowser ausgeweitet, ein weitgehend von Amerikanern dominiertes Feld, könnten wir einen Riesenschritt machen hin zu einem faireren europäischen digitalen Ökosystem, in dem jeder nach den gleichen Regeln spielt.

Wir Europäer müssen aufhören, so naiv und unschuldig zu sein! Unsere digitale Souveränität ist untrennbar mit dem Schutz der Internetnutzer verbunden. Verteidigt werden sie in strategischen Entscheidungszentren, die nicht in den Vereinigten Staaten liegen. Um dies zu erreichen ist es unabdingbar, dass wir über die grundlegenden Prinzipien unserer Verordnungen hinausgehen und nicht unbeabsichtigt ein paar wenigen dominierenden amerikanischen Unternehmen in die Hände spielen. Sonst riskieren wir das komplette Gegenteil von dem, was wir eigentlich vorhaben.
stats