Uwe Vorkötter
Abschied von der Aldi-Tüte

Ein Nachruf auf den Plastikbeutel, den einfach jeder braucht(e)

Aldi Süd und Aldi Nord machen Schluss mit ihren kultigen Plastiktüten. Ab Oktober sollen die Beutel durch umweltfreundlichere Mehrweg-Taschen ersetzt werden, die zu 80 Prozent aus Recycling-Materialien bestehen. Das bedeutet das Ende einer Ära. "Gab es je ein Produkt, das unserer demokratischen Gesellschaft mehr entspricht als dieses?" Ein Nachruf von HORIZONT-Chefredakteur Uwe Vorkötter .
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"Ich fahr in Urlaub mit ner Aldi Tüte / Nur ne Stulle und ne Capri Sonne / Ich hau jetzt ab von diesem Scheiß, ich will was sehen." Sido, der Rapper, dichtete diese schlichten Zeilen über den Traum vom einfachen Leben in der Ferne. Aber jetzt: Aus der Traum. Gewöhnliche Stullen gibt’s bei keinem Bäcker mehr, Capri Sonne nur noch auf Englisch – und Aldi macht Schluss mit der Tüte. Mit DER Tüte. Ach, der Fortschritt.


Gab es je ein Produkt, das unserer demokratischen Gesellschaft mehr entspricht als dieses? Die Dame aus besseren Kreisen benutzt sie, auch wenn sie das Discounter-Logo dezent hinter dem Prada-Täschchen verbirgt. Die türkische Großmutter trägt ihre Lebensmittel-Beute in bis zu acht Exemplaren an beiden Händen stolz nach Hause. Roma-Familien verwenden Aldi-Tüten und nichts sonst als praktisches Reisegepäck auf ihren unermüdlichen Touren quer durch Europa. Studentische Wohngemeinschaften ziehen ihren kompletten Hausrat darin um. Und wie soll der passionierte Trinker seine Branntwein-Flaschen künftig den neugierigen Blicken der Passanten entziehen?

Der Maler Günter Fruhtrunk, ein Experte der geometrischen Formen, schuf 1970 die berühmteste aller Plastiktüten für Aldi Nord, mit weißen Streifen auf blauem Grund. Leider machte ihn der kommerzielle Erfolg nicht glücklich. "Ich habe gesündigt", beichtete er seinen Studenten an der Münchner Kunstakademie. Für Aldi einen Werbeträger zu gestalten, das tat man damals nicht. Später hat er sich das Leben genommen.
Eine Ikone des Designs, dazu ein über Jahrzehnte bewährtes Marketing-Instrument – muss das wirklich weg?
Uwe Vorkötter
Ein Beutel aus Polypropylen, 20 Gramm leicht, aus rohem Erdöl gewonnen, energiearm produziert, belastbar (nun ja, alles in Grenzen, immer ist es die Flasche Wein, die den Henkel reißen lässt, immer auf der Treppe, kurz vor der Wohnungstür). Aber insgesamt doch ein Produkt mit offenkundigem Nutzen, außerdem eine Ikone des Designs, dazu ein über Jahrzehnte bewährtes Marketing-Instrument – muss das wirklich weg?

Tja, das muss wohl weg. Gerade weil es so unverwüstlich ist, Jahrhunderte im Meer überlebt, riesige Müllhalden bildet, Meeresschildkröten und Robben tötet, Korallen das Licht nimmt ... Trotzdem schade. Sido und Säufer mit Öko-Jutebeutel, das ist nun die Zukunft. Es wird nicht alles besser. uv

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