Nachruf auf Lothar Leonhard

Ein Großer seiner Zunft

Lothar Leonhard (1942 - 2020)
GWA
Lothar Leonhard (1942 - 2020)
Lothar Leonhard, früher noch mit "S." für Siegfried im Namen, war einer der bekanntesten und prägendsten Manager der deutschen Werbeszene in den 1990er und 2000er Jahren. Und das nicht nur, weil er lange Zeit erfolgreich den hiesigen Ableger der Networkagentur Ogilvy führte und gleich mehrfach an der Spitze des Branchenverbands GWA stand, sondern weil er mit seiner menschlichen und überparteilichen Art auch jenseits der eigenen Reihen hohe Anerkennung genoss.
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Der 1942 in Dresden geborene Leonhard hatte nichts mit dem Klischee- und Abziehbild des coolen, intellektuell aber eher leichtgewichtigen Werbefritzen zu tun. Im Gegenteil, mit ihm konnte man auch tiefschürfend über Themen reden, die nichts mit Werbung zu tun hatten. Dabei merkte man dem früh nach Westdeutschland gekommenen späteren Agenturchef an, dass er statt oder zusätzlich zu seiner Ausbildung zum Werbekaufmann, die er Anfang der 1960er Jahre in Köln begonnen hatte, gern auch studiert hätte.

Auf seine Zunft hatte er einen eindeutigen Blick. Werbung war für ihn nie - wie etwa für den fast gleichaltrigen Michael Schirner - eine Kunstform, sondern Wirtschaftskommunikation, die einen klaren Zweck zu erfüllen hatte: Produkte und Dienstleistungen bekannt machen und verkaufen. Nicht zuletzt deswegen war Leonhard auch für einflussreiche Industriekapitäne ein geschätzter Gesprächspartner und Ratgeber.

Zwar wusste er um die Bedeutung guter Kreation für seine Arbeit, wirklich ernst nehmen konnte er die Kollegen aus dem Kreativ-Department aber nur bedingt. Für ihn war Kreation Mittel zum Zweck. Gern sprach er von der "Abteilung Neurose". Das war auch, aber eben nicht nur, scherzhaft gemeint.

Lothar Leonhard hat es seinem Gegenüber nicht immer leicht gemacht, zu unterscheiden, was Spaß und was Ernst war.
Mehrdad Amirkhizi, HORIZONT
Ohnehin hat er es seinem Gegenüber nicht immer leicht gemacht, zu unterscheiden, was Spaß und was Ernst war. Seinen trockenen Humor und seine lakonisch-beiläufige Art musste man kennen, um zu verstehen, was er meinte. "Wer ihn zum ersten Mal erlebt, könnte den Verdacht hegen, seine Aufgaben würden ihn nur am Rande interessieren. So als gäbe es nun wirklich wichtigere Sachen im Leben. Aber: falsch", hieß es in einem vor 20 Jahren erschienenen HORIZONT-Porträt über Leonhard.

In der Tat war er mit vollem Einsatz und viel Herz bei der Sache. Meist betont nüchtern und sachlich, konnte er sehr emotional werden, wenn er eine Äußerung beleidigend oder ungerecht fand. Dann war es vorbei mit den ironischen Seitenhieben, mit denen er sonst bei kleineren Vergehen – zum Beispiel wenn ein Wettbewerber mal wieder Phantasie-Umsatzzahlen präsentierte – seine Missbilligung zum Ausdruck brachte. Wie direkt der "Gentleman with brain" sein konnte, zeigt ein Vorfall aus dem Jahr 2013: Als Starwerber Amir Kassaei die eigene Branche wiederholt mit scharfen Worten als oberflächlich und schlecht ausgebildet kritisierte, schoss Leonhard heftig zurück und zog sich damit den ewigen Unmut des damaligen DDB-Kreativchefs zu.

Auch bei Illoyalität konnte Leonhard sehr streng werden. Für diejenigen, die er mochte oder wenigstens als Teil seines Teams sah, hatte er dagegen immer ein offenes Ohr – auch wenn es um Rat und Hilfe bei Themen jenseits des Agenturgeschäfts ging. In der deutschen Ogilvy-Gruppe, wo er seit 1976 tätig war und die er ab 1990 als Chairman führte, war er lange Zeit nicht nur oberster Entscheider, sondern – positiv verstanden – Patriarch, der sich um alles kümmerte.

Kurzer Einschub: Es hat ja etwas Befremdliches, wenn Journalisten in Nachrufen zu viel von sich selbst und ihrem guten Draht zu dem Verstorbenen berichten. Im Mittelpunkt soll nicht der Autor, sondern der Verblichene stehen. Aber – so viel persönliche Note sei gestattet – vieles von dem, was der Verfasser dieser Zeilen über das Agenturgeschäft gelernt hat, erfuhr er in Gesprächen mit Leonhard. Gleichzeitig durften gut gemeinte Tipps nicht fehlen, gern gesundheitlicher Natur. Wenn er einen bei einschlägigen Branchenveranstaltungen mit einer Zigarette in der Hand sah, kam schnell die Aufforderung: "Junger Mann, hören Sie auf damit, Sie machen sich kaputt!"
Bei Ogilvy war er nicht nur oberster Entscheider, sondern - positiv verstanden - Patriarch, der sich um alles kümmerte.
Mehrdad Amirkhizi, HORIZONT
Dabei hatte er selbst eine Schwäche für gefährliche Hobbys: schnelle Autos und Motorräder. Gegenüber der Presse gestand er mal ein, früher oft mit 260 km/h über die Autobahn gerast zu sein. Einige Leute hätten seinen Fahrstil als "etwas aggressiv" beschrieben, erzählte Leonhard. Im Alter wurde er in dieser Hinsicht etwas ruhiger, legte sich nach dem Verkauf seiner Motorräder aber trotzdem einen hochmotorisierten Porsche 911 zu. Mit dem "typischen Werberauto" hatte er sich zuvor lange Zeit schwergetan.

Die Kehrseite seiner Kümmerer-Mentalität war, dass Leonhard nicht gut loslassen konnte. Diese Neigung hat ihm nicht immer zum Vorteil gereicht. So bedurfte es einiger Überredungskünste seiner Kollegen, ihn von dem Vorhaben abzubringen, 2013 erneut als GWA-Präsident zu kandidieren. Zwei Jahre zuvor hatte er sich in einer für den Verband schwierigen Situation noch einmal zur Verfügung gestellt und hätte wohl gern weitergemacht, statt den Weg für einen jüngeren Nachfolger freizugeben.

Nach seinem endgültigen Ausstieg aus dem aktiven Berufsleben war Leonhard als Marken-Coach und Berater tätig. Zudem stand er an der Spitze des HORIZONT-Stiftungsrats. Bereits im Jahr 2000 wurde er von HORIZONT zum "Agenturmann des Jahres" gekürt – wegen seiner Verdienste um Ogilvy, aber auch für sein Wirken als GWA-Präsident. In seiner damaligen Amtszeit hatte er es geschafft, die abtrünnigen Mitglieder BBDO und Springer & Jacoby wieder an Bord zu holen. Später kehrte auch TBWA wieder zurück in den Verband.

Im Preisträgerinterview wurde Leonhard gefragt, was es zur Führung einer Agentur brauche. Seine Antwort, die bis heute Gültigkeit hat: "Soziales Talent, glaubwürdige Fachkompetenz, Stehvermögen, schauspielerische Fähigkeiten und auch Glück. Mit Fleiß und Ehrgeiz allein ist das nicht zu machen." Typisch Leonhard. Genau wie seine Antwort auf die Frage, was er noch erreichen wolle: "Ich habe mein Leben immer auf später verschoben. Ich hoffe, irgendwann einzusehen, dass dieses Später bald beginnen muss."

Am 3. August 2020 ist dieses Später zu Ende gegangen. Lothar Leonhard starb im Alter von 78 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls, den er im September 2016 beim Fahrradfahren erlitten hatte. mam



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