Dass das Thema drängt, macht die neueste Flüchtlingsprognose der Bundesregierung deutlich: Demnach könnten in diesem Jahr bis zu 800.000 Asylbewerber nach Deutschland kommen. Bislang hatte die Bundesregierung mit 450.000 gerechnet. In ganz Europa haben laut dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen Antonio Guterres in diesem Jahr bereits rund 240.000 Migranten und Asylsuchende die Küsten erreicht. Die meisten Menschen, die in Booten über das Mittelmeer kommen, flüchteten vor Konflikten und Verfolgung, wird Guterres von der Nachrichtenagentur dpa zitiert.
Kaum angekommen, wird die Lage für viele Flüchtlinge allerdings kaum besser. Auf der griechischen Ferieninsel Kos etwa sei die Situation aufgrund der vielen Menschen dramatisch, wie lokale Behörden meldeten. Und diejenigen, die es von dort weiter nach Deutschland schaffen, müssen in teilweise überfüllten Notunterkünften leben - und werden nicht selten Opfer von Übergriffen durch Asylgegner. Viele Menschen wollen da nicht länger zuschauen - und engagieren sich entweder gemeinsam mit Arbeitskollegen oder persönlich. Auch aus der Werbebranche packen einige mit an.
© Johannes Arlt/laif/DER SPIEGEL
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Der Spiegel gibt Flüchtlingen ein Gesicht und erscheint mit sechs Covern
Um die Gesichtslosigkeit der Flüchtlinge in der Öffentlichkeit abzumindern, erscheint der Spiegel in dieser Woche mit sechs verschiedenen Titelbildern - jedes davon holt einen Flüchtling aus der Anonymität.
Einer von ihnen ist
Mirko Kaminski. Der CEO der Hamburger Agentur Achtung wurde von einer Kollegin, die sich bereits seit Längerem für in Hamburg gestrandete Flüchtlinge engagiert, in eine von knapp 2000 Menschen bewohnte Notunterkunft mitgenommen. "Ich werd' jetzt auch was tun", schrieb Kaminski nach dem Besuch auf Facebook. Seither spendet er privat Sach- und Geldleistungen, auch die Achtung-Belegschaft stellt Sachspenden zur Verfügung.
Nun überlege man, was man als Agentur noch tun könne, so Kaminski gegenüber HORIZONT Online. "Eine Idee ist, junge Flüchtlinge ein Kurzpraktikum machen zu lassen. Das sind wertvolle Talente, die da im Camp zum Nichtstun verdammt sind. Aber da gibt es so viele Regeln, die solch eine Initiative hemmen. Da steht sich Deutschland leider selbst im Weg." Außerdem regt der Achtung-Chef eine gemeinsame Aktion von Kreativen an, die ohnehin oft genug Cases für NGOs produzierten. "Das meint: Hier in einer Notsituation zu helfen und damit vielleicht sogar einen Award zu gewinnen", so Kaminski.
„Das sind wertvolle Talente, die da im Camp zum Nichtstun verdammt sind.“
Mirko Kaminski
Potenzial wäre sicher da. Auch
Ogilvy Düsseldorf hat bereits einen Beitrag geleistet und zum Schulbeginn in Nordrhein Westfalen Schulranzen für Flüchtlingskinder gespendet. Die Initiative geht zurück auf Management Supervisor
Oliver Hacke, der bei seinen Kollegen Geld eingesammelt hat und damit die Rucksäcke bei Ebay ersteigerte und weiteres Schulmaterial kaufte. Dies führte dazu, dass weitere Mitarbeiter via Facebook in ihrem privaten Umfeld weitere Schulranzen spendeten. "Kleine, wahre Geschichten, die von Willkommensein, Neuanfang, Mithilfe handeln, helfen erstens ein paar Menschen, die dem schlimmsten Alptraum entkommen sind, und werden zweitens weitererzählt. Und drittens können sie auch von Personen, die sich ihrer Position und ihres Verhaltens gegenüber den Flüchtlingen nicht sicher sind, beobachtet, übernommen und weitergesponnen werden", so Hacke.
Als ein Brennpunkt der Flüchtlingsproblematik hat sich Hamburg herauskristallisiert. In der Hansestadt kommen derzeit täglich 200 bis 300 neue Flüchtlinge an. Besonders Hamburger Werbeagenturen sind daher für das Thema sensibilisiert. Zum Beispiel
Philipp und Keuntje. Die 185 Mitarbeiter zählende Agentur hat in den vergangenen Wochen Sachspenden gesammelt - von Bettwäsche über Kleidung bis hin zu Kinderwägen. Die Initiative sei von den Mitarbeitern gekommen, sagt eine Agentursprecherin. Entsprechend groß sei die Beteiligung gewesen - auch die Führungsebene hätte sich nicht lumpen lassen und fleißig gespendet.
Auch
Jung von Matt wird tagtäglich mit dem Flüchtlingsthema konfrontiert. Die Agentur hat ihren Hauptsitz in direkter Nachbarschaft zu den Hamburger Messehallen, wo 1.200 Flüchtlinge untergebracht wurden. Ob Kleidung, Hygieneartikel oder Spielzeug: Der Bedarf an Hilfsgütern ist hoch. Die Agenturmitarbeiter sammeln Sachspenden und versuchen so, die Not zumindest ein wenig zu lindern. Angestoßen hat das Thema Texterin
Ellen Tanumihardja, die mit einigen Flüchtlingen ins Gespräch kam und anschließend die agenturinterne Spendeninitiative startete. Bei Jung von Matt betont man allerdings, dass man ja nur einen kleinen Beitrag leiste. Die Bewohner des angrenzenden Karoviertels haben hingegen eine Bürgerinitiative gestartet,
die in der vergangenen Woche bis zu 500 Anwohner mobilisierte.
Die Mitarbeiter von Jung von Matt sammeln Sachspenden für Flüchtlinge
Bei
Thjnk ist das Flüchtlingsthema derzeit auf zweierlei Weise präsent. Zum Einen hat die Agentur
auf ihrer Facebook-Seite eine entsprechende Themenwoche ausgerufen und postet in Person von Texter Sebastian Plum nützliche Hinweise, wo und wie man Flüchtlingen in Hamburg helfen kann. Außerdem können Fans der Seite auf weitere Hilfsprojekte aufmerksam machen. Die Agenturmitarbeiter selbst engagieren sich in Form von Sachspenden, die an zentraler Stelle gesammelt und dann zu einer der vielen Sammelstellen in der Hansestadt gebracht werden.
Zum anderen hat Thjnk gemeinsam mit
Achtung und
More Than Shelters ein besonderes Projekt entwickelt. Das Hamburger Sozialunternehmen
bringt in Krisenregionen das Zeltsystem Domo zum Einsatz. Dieses trotzt Wind, Wetter und Insekten und soll den Konstrukteuren zufolge besonders langlebig und einfach aufzubauen sein. Seit Anfang 2015 stehen Domo-Zelte in Nepal -
und seit Dienstag als "mobiles Spendenhotel" auch in der Hamburger Hafencity. Interessenten können sich dort für Übernachtungen einbuchen, das so eingenommene Geld spendet More Than Shelters an Menschen in Krisengebieten. Thjnk und Achtung begleiten die Aktion mit Ideen zur Umsetzung der Tour, Fotos, Event-Management sowie Werbe- und PR-Maßnahmen.
ireHamburger, die ebenfalls etwas für Flüchtlinge tun möchten, können sich unter www.hamburg.de/hh-hilft über Gelegenheiten informieren.