Ein T.Rex-Skelett erinnert Google-Mitarbeiter in Mountain View an die Vergänglichkeit von Macht
In den guten alten TV-Zeiten haben sich nicht nur Politiker, sondern vor allen Dingen auch Werber gerne in der Toskana zurückgezogen, um bei gutem Rotwein das nächste kreative Highlight auszutüfteln. Doch Toskana ist out, Silicon Valley ist in. Vom Innovationsfieber in Kalifornien will auch der Art Director Club profitieren. Lohnt ein Ausflug nach Mountain View?
Seit Jahren probt der Technik-Konzern Google den Schulterschluss mit dem ADC. Sei es, dass Google von Agenturen als strategischer Partner zur Entwicklung von Kampagnen mit ins Boot geholt wird. Sei es, dass Google seit geraumer Zeit mit dem Kreativclub kooperiert. Da bietet sich ein Kurztrip ins Silicon Valley an, dachte sich Oliver Rosenthal, Industry Leader Creative Agency bei Google Deutschland, und organisierte den "Mountain View Summit". Brüder im Geiste: Stephan Vogel, Oliver Rosenthal (r.)
Lohnt ein Ausflug ins Zentrum der Internet-Industrie? Ja, er lohnt, wenn man sich frei macht von der vergeblichen Hoffnung, die Idee für das nächste Unicorn zu bekommen. Was man aber lernen kann, ist, welcher Bausteine es bedarf, um von Innovationen nicht nur zu träumen, sondern sie auch anzugehen. Digitale Disruption hat zerstörerische Kernelemente, aber sie braucht auch und vor allen Dingen Kreativität. Ein Interview mit ADC-Chef Stephan Vogel zum Verhältnis von Kreation und KI.
Der ADC besucht Google in Mountain View. Was können Kreative von "Techies" lernen? Radikales Denken können wir lernen. Wir konnten in Mountain View einen Blick in die Zukunft werfen. Eine Zukunft, in der Maschinen sich rasend schnell entwickeln und viele Funktionen des Menschen übernehmen – vom Callcenter über die Radiologische Diagnostik bis zur Finanzberatung. Maschinen werden uns in Zukunft nicht nur in Schach und Go schlagen, sondern auch auf vielen Gebieten, die heute noch menschliche Expertise und Experten brauchen. Das wird unsere Gesellschaft verändern. Die letzte, entscheidende Schlacht, die humane Intelligenz gegen artifizielle schlagen wird, wird auf dem Feld der Kreativität ausgetragen.
ADC-Besuch: So sieht es bei Google im Silicon Valley aus
Schlagen AI und Programmatic irgendwann die exzellente Idee? Es geht hier um mehr als kreative Kommunikationsideen und clevere digitale Mediadistribution. Artificial Intelligence wird unsere Welt im nächsten Jahrzehnt komplett verändern. Nach Berechnungen der Singularity University wird es 2028 Computer geben, die die Rechenleistung und -geschwindigkeit des menschlichen Gehirns haben. Die Urgroßenkel von Siri, Alexa und Google Home werden unsere ständigen und engen Begleiter werden. Schon in den 80ern konnte nondirektive Psychotherapie perfekt auf Computern simuliert werden, so weit, dass die Patienten eine persönliche "Beziehung" zu der Maschine aufbauten, sich von ihr "verstanden" fühlten. Deshalb werden aus meiner Sicht Menschen in Zukunft enge Bindungen zu ihren digitalen Begleitern aufbauen. Wir müssen uns nur vor dem Tag fürchten, an dem eine Maschine die andere fragt:"Wozu brauchen wir eigentlich noch Menschen? Die brauchen Schlaf, Urlaub, werden krank und sind manchmal emotional instabil. Können wir Maschinen unsere Reproduktion, Wartung und Energieversorgung selbst organisieren ohne die?"
Das klingt alles schwer nach James Camerons Terminator – nur dass hier nicht Arnold Schwarzenegger, sondern der ADC als letzter Kämpfer gegen Skynet auftritt. Aber, um im Bild zu bleiben: Ich würde eher Schwarzeneggers Nahkampf-Erfahrung vertrauen als der des ADC-Vorstands. Wo waren die Superhelden, wo waren Arnold Schwarzenegger und Bruce Willis, als die Flugzeuge in die Twin Towers einschlugen? Das hier ist keine Hollywood-Inszenierung, das wird sehr schnell Realität – für uns alle. Der ADC, das sind 700 Kreative, die in der Realität ihre Frau, ihren Mann stehen, um Marken kreativ zu differenzieren – über emotionale Kommunikation, einzigartiges Design, spektakuläre räumliche Inszenierungen, Produkt- und Service-Ideen, digitale Plattformen und Interfaces. Solange die Konsumenten noch Menschen sind, wird die Wirtschaft, werden die Unternehmen menschliche Kreativität brauchen, um ihre Produkte zu differenzieren.
Die Urgroßenkel von Siri, Alexa und Google Home werden unsere ständigen und engen Begleiter werden.
Stephan Vogel
Der ADC ist nach wie vor ein Club klassischer Kreativer. Wann kommt der Generationswechsel? Mit Verlaub, das ist ein Vorurteil, das auch durch seine ständige Wiederholung nicht wahrer wird. Zeigen sie mir die innovative Kommunikation in der deutschen digitalen Medienlandschaft, bei der nicht eines der 700 ADC-Mitglieder seine Finger im Spiel hatte.
In Japan, so die Kolportage, wurden Roboter schon zu Kreativdirektoren ernannt. Wann wird es den ersten digitalen ADC-Präsidenten geben? Ein Schritt nach dem anderen. Wir werden in den nächsten Jahren sicher neue Mitglieder aufnehmen, die einen technologischen Background haben. Denn innovative Kommunikation wird in Zukunft mehr und mehr eine technologische Komponente haben. Wenn in den nächsten zwanzig Jahren Maschinen so etwas wie Bewusstsein entwickeln – und davon gehe ich als Emergentist aus –, sind sie potenziell auch als ADC-Mitglied denkbar und wählbar. Und wenn eine dieser Maschinen dann die Psychologie von einigen Hundert kreativen Big-Egos versteht und damit sensibel umgehen kann, wird diese Maschine der beste ADC-Präsident, die beste ADC-Präsidentin aller Zeiten. Oder greifen wir auch grammatisch in die Zukunft: das beste ADC-Präsident.