JvM-Vorstand Jean-Remy von Matt und Facebook-Stratege Nico Westermann im HORIZONT-Doppelinterview
Er hätte sich eine Krawatte umbinden sollen, meinte Jean-Remy von Matt, Co-Gründer von Jung von Matt, beim gemeinsamen HORIZONT-Interview mit Facebook-Mann Nico Westermann. Schließlich sei der Anlass des Gesprächs ein historisches Ereignis: Die Rückkehr der Kreativität nach jahrelanger Durststrecke. Von Matt erläutert, welchen wichtigen Anteil Facebook daran hat, während Westermann Einblicke über den intelligenten Algorithmus des Social Networks gibt, der exzellentes Storytelling auf besondere Weise belohne. HORIZONT Online präsentiert einen Auszug aus dem Doppelinterview.
Ihre Agentur arbeitet sehr intensiv mit Facebook zusammen. Was begeistert Sie an dem Medium? Jean-Remy von Matt: Die Wertschätzung von Kreativität hat im letzten Jahrzehnt gelitten, denn jeder technologische Quantensprung drängt Kreativität zunächst in den Hintergrund. Im Vordergrund steht die Faszination der neuen Technologie und ihrer Möglichkeiten. Als das erste Automobil präsentiert wurde, hat keiner gesagt: Scheiß-Design!, sondern war begeistert, dass es fuhr. Doch heute, wo Technologie bei Autos weitgehend austauschbar ist, sind Design und Kreativität die Erfolgstreiber. Und genauso wird es in unserer Branche kommen. Facebook trägt mit seinem Algorithmus stark dazu bei, dass Kreativität in Zukunft wieder die entscheidende Rolle spielt.
Das klingt arg pathetisch. Wie kann ein Algorithmus die Welt verändern? Nico Westermann: Vereinfacht gesagt, schaut sich der Algorithmus zunächst das historische Verhalten der Menschen an. Wenn eine Ad dann online geht, lernt der Algorithmus in Echtzeit, wie die Menschen darauf reagieren und entscheidet daraufhin, was für den Einzelnen interessant sein könnte und was nicht. Er versucht also zu verstehen, welche Inhalte für den einzelnen Menschen spannend und relevant, und welche langweilig oder sogar nervig sind. So wird Kreativität zum Effizienzhebel: Besonders interessante Inhalte haben letztendlich günstigere Verbreitungskosten als irrelevante.
Nico Westermann und Jean-Remy von Matt
Finden Sie es nicht merkwürdig, sich bei der Steuerung einer Kampagne auf einen Algorithmus zu verlassen, den keiner ganz genau durchdringen kann? Von Matt: Man muss das gar nicht im Detail verstehen, denn entscheidend ist das große Ganze: Facebook belohnt gute Kreation und bestraft schlechte. Hinter dem Algorithmus verbirgt sich eine Logik, auf die übrigens das Schweizer Fernsehen schon vor 50 Jahren kam: Damals wählten die Zuschauer jeden Monat ihre Lieblingsspots. Und diese wurden dann im Verlauf des Wettbewerbs wieder und wieder ausgestrahlt. Die Fernsehzielgruppe bekam also das öfter zu sehen, was sie gerne sah und der Auftraggeber musste dafür nicht extra bezahlen. Das gleiche Prinzip wie jetzt bei Facebook.
Naja, so ähnlich. Von Matt: Nein, im Ernst: Man muss sich doch wirklich wundern, dass es im digitalen Zeitalter so lange gedauert hat, bis jemand auf die Idee kam, gut gemachte und richtig adressierte Markenkommunikation zu honorieren. In einer Ära, in der die Konsumenten mehr denn je selbst bestimmen, was sie sehen wollen und was nicht, ist es doch logisch, nicht nur redaktionellen, sondern auch werblichen Content zu kuratieren.
Westermann: Das Wort Algorithmus hört sich so technisch an, aber letztlich befriedigt er ein tief menschliches Bedürfnis, nämlich das Interesse, spannende Inhalte zu entdecken.
Facebook trägt mit seinem Algorithmus stark dazu bei, dass Kreativität in Zukunft wieder die entscheidende Rolle spielt.
Jean-Remy von Matt
Das klingt zwar alles recht plausibel und einfach und doch gibt es wenige große Erfolgsgeschichten von reinen Facebook-Kampagnen aus Deutschland. Woran liegt das? Westermann: Wir haben eine lange Liste von Erfolgsgeschichten – zwei davon sind zusammen mit Jung von Matt entstanden. Für Vodafone und Bonprix wurden zielgruppenspezifische Kampagnen entwickelt, die ausschließlich auf Facebook gelaufen sind. Hier habe wir extrem robuste Beweise dafür, dass diese Kampagnen funktioniert haben. So konnte Vodafone mehr als 8 Millionen Millennials und Bonprix über sechs Millionen Frauen erreichen. Bei beiden Kampagnen konnten durch starkes, auf die Marke fokussiertes Storytelling nachweislich die Wahrnehmung verbessert und darüber hinaus der Abverkauf signifikant gesteigert werden. Für uns sind das Paradebeispiele dafür, dass kreative Markenkommunikation auf Facebook funktioniert.
Woher kommen die Werbewirkungsnachweise? Wenn sie so valide sind, dann wären die Cases doch prädestiniert für den Effie. Westermann: Die Kennzahlen kommen von renommierten Marktforschungsinstituten wie GfK, Nielsen und TNS, die auch andere Mediengattungen untersuchen.
Von Matt: Und zur Effie-Frage: Klar reichen wir das ein. Als führende Agentur im Effie-Ranking seit Bestehen des Wettbewerbs haben wir schließlich einen Ruf zu verteidigen.
Westermann: Bleibt nur die Frage, ob die Effie-Jury mutig genug ist, eine reine Facebook-Kampagne auszuzeichnen. Hinter den Zahlen müssen wir uns jedenfalls nicht verstecken!
Von Matt: Digitale Medien sind doch grundsätzlich leichter berechenbar und bieten nicht so viel Schummel-Spielraum wie etwa Printmedien, wo Auflagezahlen und sonstige Daten gerne mal etwas freier interpretiert werden. Mein Vertrauen in digitale Plattformen ist jedenfalls deutlich höher.
Digitale Medien sind doch grundsätzlich leichter berechenbar und bieten nicht so viel Schummel-Spielraum wie etwa Printmedien, wo Auflagezahlen und sonstige Daten gerne mal etwas freier interpretiert werden.
Jean-Remy von Matt
Das war aber nicht immer so. Ich erinnere an Ihr legendäres Zitat „Blogs sind die Klowände des Internet“. Das war vor neun Jahren. Damals gab es Facebook in Deutschland noch gar nicht. Heute hat dessen Wall zuweilen aber durchaus Ähnlichkeit mit einer Klowand. Von Matt: Nein, ganz und gar nicht, denn Facebook funktioniert ja praktisch nur mit Klarnamen. Mit meinem Zitat war das Denunzieren und Diffamieren im Schutze der Anonymität gemeint, das man bei Kommentaren in Blogs und Foren erlebt. Und wenn dieser Satz keinen Nerv getroffen hätte, wäre er nicht sogar in der „New York Times“ zitiert worden. Facebook ist aber alles andere als eine Klowand, eher der Schminkspiegel des Internets.
Exklusiv für Abonnenten
Das vollständige Interview mit Jean-Remy von Matt und Nico Westermann lesen HORIZONT-Abonnenten in der aktuellen Ausgabe 14/2015 vom 2. April, die auch auf
Tablets oder - nach einmaliger Registrierung - als
E-Paper gelesen werden kann. Nicht-Abonennten können
hier ein HORIZONT-Abo abschließen.