Wie heiß ist die im Januar in Deutschland gestartete neue Group-M-Agentur Essence? Immerhin: Es gibt keine Mediaagentur, die so eng mit Google verbandelt ist - möglicherweise ein echtes Asset. In seinem ersten Interview mit HORIZONT Online gibt Deutschlandchef Christian Leipacher erste Einblicke.
Der Start ist recht bescheiden: Gerade mal 20 Leute arbeiten bisher für Essence in Deutschland (weltweit: rund 1.100). Auch mit forschen Wachstumsplänen hält Christian Leipacher sich erst einmal zurück. Tatsächlich aber verfolgt der Mutterkonzern WPP/Group M ehrgeizige Pläne mit der Ende 2015 übernommenen Agentur. Eine entscheidende Rolle könnte dabei die große Nähe zu Google spielen. Google ist nicht einfach ein wichtiger Kunde, sondern pflegt mit Essence eine "symbiotische Partnerschaft", wie Leipacher sagt. Die Agentur profitiert von dem technologischen Know-How Googles, etwa bei Programmatic. Die Frage ist natürlich, wie offensiv Essence diese Karte ausspielen will. Im Gespräch mit Horizont Online hält Leipacher sich dazu noch bedeckt.
Leicht wird es nicht werden, im hart umkämpften deutschen Markt schnell Erfolge einfahren zu können. An fehlender Leidenschaft wird das Projekt sicherlich nicht scheitern. Leipacher: "Essence wird eine sehr intensive Agentur sein, wir suchen intensive Beziehungen, denen wir uns mit Haut und Haaren verschreiben können."
Vor seiner Berufung zum Deutschlandchef von Essence war Leipacher Kopf der Mediaagentur Maxus, die Anfang des Jahres mit MEC zu Wavemaker fusioniert wurde.
"Ich will hier eine Agentur aufbauen, die wirklich Maßstäbe setzt"
Herr Leipacher, wie ist der Stand der Dinge - ist Essence schon voll im Betrieb oder noch damit beschäftigt, Möbel einzuräumen und sich zu sortieren? Wir haben im Januar unsere Agenturräume in Düsseldorf bezogen und arbeiten für zwölf Kunden. Es ist ja nicht das erste Mal, dass ich eine Agentur aufbaue. Das passt schon alles.
Wie viele Leute haben Sie an Bord? Ich habe ein Gründungsteam aus 20 Mitarbeitern zusammengestellt. Das sind alles Leute mit digitaler Expertise, tiefgreifender Kundenerfahrung und der absoluten Leidenschaft, die es für den Aufbau einer neuen Agentur braucht. Ich will Mitarbeiter, die bereit sind, über Grenzen zu gehen und Verantwortung zu übernehmen.
Ihre Kollegen sind alles ehemalige Maxus-Leute? Ja, fast. Aber wir screenen den Markt natürlich gerade auch nach neuen Talenten.
Haben Sie eine genaue Vorstellung, wie groß Essence bis zum Ende des Jahres sein soll? Nein, es gibt keinen genauen Plan, was das betrifft. Mich treibt nicht die Eitelkeit, die Mitarbeiterzahl innerhalb eines Jahres zu vervielfachen. Wenn wir am Jahresende 60 Leute sind, ist es gut, wenn wir 35 sind, sind wir eben 35. Mein Ziel ist ein stabiles, nachhaltiges Wachstum. Ich will hier eine Agentur aufbauen, die wirklich Maßstäbe setzt.
Lassen Sie uns über Ihre Kunden sprechen. Wir haben zehn nationale Kunden und mit Google und DAZN zwei weltweit agierende Unternehmen, die bisher von London aus betreut wurden.
Bei den nationalen Accounts handelt es sich um ehemalige Maxus-Kunden? Ja. Das sind alles Unternehmen, die sehr digital sind, ein hohes Wachstumspotenzial haben und zu denen ich auch persönlich eine sehr enge, vertrauensvolle Beziehung habe. Dazu zählen Kunden wie Subway, Discovery, Bandai Namco und seit ein paar Monaten das Fintech-Start-up Friday.
Gab es bei der Zusammenlegung von MEC und Maxus zu Wavemaker Streit darüber, wer welche Kunden übernimmt? Nein, überhaupt nicht. Sebastian Hupf von Wavemaker, Tino Krause von Mediacom und ich sind die Kundenliste in Ruhe durchgegangen, unser Group-M-Chairman Jürgen Blomenkamp hat die Gespräche moderiert. Am Ende entscheiden aber ohnehin die Kunden, zu welcher Agentur sie möchten. Mir werden hier jedenfalls keine Steine in den Weg gelegt, im Gegenteil. Alle bei Group M haben den Wunsch, dass Essence in Deutschland sehr erfolgreich ist. Das spüre ich vor allem bei Jürgen Blomenkamp.
Wie läuft es mit den beiden internationalen Accounts, also vor allem Google? Essence betreut Google seit zehn Jahren, weltweit sind 500 bis 600 Mitarbeiter allein für diesen Kunden tätig. Das ist schon eine besonders enge und intensive Partnerschaft. In Europa werden bisher alle Kunden von London aus betreut. Jetzt geht es darum, weitere europäische Standorte aufzubauen. Deutschland macht den Anfang, weitere große Märkte könnten folgen.
Maxus hat in Deutschland immer ein ziemliches Eigenleben geführt und unterschied sich teilweise sehr stark von anderen Märkten. Bei Essence wird das anders sein? Ja, bei Essence ist das Ziel eines weltweit konsistenten Angebotes absolut zentral. Das liegt natürlich auch an Google, das auf die proprietären Systeme von Essence setzt und Unterschiede in den einzelnen Märkten nicht akzeptieren würde. Eine unserer Hauptaufgaben in Düsseldorf besteht darin, unsere Technologie und die Prozesse mit London zu harmonisieren. Das ist zu einem guten Teil auch schon erfolgt.
Wie eng ist denn die Beziehung zwischen Google und Essence genau? Es ist schon eine sehr enge, fast symbiotische Beziehung. Wir sind eng verzahnt und bekommen als Agentur priorisierten Zugang zu Beta-Versionen.
Essence ist ja nicht irgendeine neue Agentur, sondern soll eine wichtige Rolle im Group-M-Network spielen. Wie stark spüren Sie den Druck, der auf Ihnen lastet? Wer mich gut kennt, weiß, dass ich keinen Druck von außen brauche. Ich bin leidenschaftlich, ich bin fokussiert, ich bin ein akribischer Arbeiter, der große Lust auf Erfolg hat. Da braucht es keinen zusätzlichen Druck von außen. Jürgen Blomenkamp und Kelly Clark, der vor seiner Zeit als Group-M-Chef Maxus geführt hat, kennen mich sehr gut und wissen, warum Sie mir die Aufgabe anvertraut haben, Essence in Deutschland aufzubauen.
Was ist Ihr Anspruch, wie groß soll Essence in Deutschland werden? Sie wollen unbedingt Zahlen hören - wie viele Mitarbeiter, wie viele Billings, welcher Umsatz? Mein Ziel ist es aber zunächst einmal, super zufriedene Kunden zu haben und Mitarbeiter, die glücklich sind und sich entfalten können. Essence wird eine sehr intensive Agentur sein, wir suchen intensive Beziehungen, denen wir uns mit Haut und Haaren verschreiben können. Wir wollen Kunden, die ein fortwährendes Interesse daran haben, sich weiterzuentwickeln. Und die Daten mit uns teilen, mit denen wir gemeinsam die Business-KPIs optimieren können.
Auch wenn Sie das nicht gerne hören: Die Branche wird natürlich sehr genau beobachten, wer in Deutschland besser vorankommt, die neue Omnicom-Mediaagentur Hearts & Science oder eben Essence. Ab wann sind Sie bereit, zu Pitches anzutreten? Wir wollen jetzt erst einmal zu 100 Prozent Essence werden und Erfahrungen machen. Danach werde ich Ihnen auch genauer sagen können, wie schnell wir in Deutschland wachsen wollen. Und was Pitches betrifft: Natürlich sind wir bereit dafür und natürlich wollen wir Pitches gewinnen. Und das schon in diesem Jahr, das ist doch klar. Und nicht zu vergessen: In unserem Büro in London sitzen 500 Leute - da bekommen wir jede zusätzliche Unterstützung, die wir brauchen.
Lassen Sie uns ein bisschen über Sie persönlich sprechen. Wie hart war es für Sie, als Group M entschied, Maxus aufzulösen und mit MEC zu Wavemaker zu fusionieren? Das war am Anfang ein echter Schock, schließlich hatte ich sehr viel Herzblut, Leidenschaft und Energie in den Aufbau von Maxus gesteckt. Ich hatte auch unglaublich viele Freiheiten, alles so zu gestalten, wie ich es wollte. So etwas finden Sie in einem großen Network höchst selten.
Ich liebe es einfach, mit großem sportlichen Ehrgeiz etwas Neues aufzubauen.
Christian Leipacher
War schnell klar, dass Sie Geschäftsführer von Essence werden? Im Grunde ja, auch wenn ich anfangs natürlich nicht öffentlich darüber sprechen konnte. Ich glaube, aufgrund meiner Historie war Jürgen Blomenkamp und den Essence-Gründern sehr frühzeitig klar, dass ich der richtige Mann für die Aufgabe bin. Ich liebe es einfach, mit großem sportlichen Ehrgeiz etwas Neues aufzubauen. Außerdem schätze ich es sehr, wenn es in einem Unternehmen familiär und menschlich zugeht. Ich hätte Ihnen als Maxus-Chef über jeden meiner 85 Mitarbeiter zehn Minuten Persönliches erzählen können - was für eine Musik er hört, wohin er in den Urlaub fährt, was ihm wichtig ist.
Und das wird bei Essence auch so sein? Zu den Punkten, die Essence so besonders machen, gehört für mich auch der Werte-Kosmos der Agentur. Es gibt hier ein eigenes Kultur-Team und einen Kultur-Chef im weltweiten Board. Das finde ich sehr gut.
Haben Sie eigentlich ein persönliches Vorbild als Unternehmer? Ja, Götz Werner, den Gründer und Aufsichtsratschef von dm. Der ist mein absolutes Vorbild als Geschäftsführer.
Mit dieser Antwort hätte ich jetzt nicht gerechnet. Wie Götz Werner bin ich ein überzeugter Anthroposoph, meine Kinder gehen auf die Waldorf-Schule, das ist mir sehr wichtig. Wie Götz Werner bin ich der Überzeugung: Man muss Menschen nicht anschieben, man muss sie mitreißen. Und das kann ich, glaube ich, ganz gut.
Letzte Frage: Welche der vielen Themen, über die die Branche aktuell kontrovers diskutiert, beschäftigt Sie gerade am intensivsten? Was ich sehr interessant finde, ist die Tendenz bei vielen Werbungtreibenden, Funktionen wie zum Beispiel Programmatic inzusourcen. Wer das nur macht, um Kosten zu sparen, wird scheitern, davon bin ich überzeugt. Generell finde ich diese Entwicklung im Gegensatz zu den meisten Agenturchefs aber absolut positiv! Die Unternehmen können die digitale Transformation nicht an Dienstleister outsourcen.
Auch wenn das bedeutet, dass Mediaagenturen Geschäft verlieren? Ich glaube nicht, dass das bei Essence der Fall sein wird. Auch Unternehmen, die jetzt viele Funktionen selbst in die Hand nehmen, brauchen einen starken, kompetenten Sparringspartner. Wir bieten unseren Kunden Beratung, Strategie, Expertise und Kreativität. Ich sehe das vollkommen positiv. Wir freuen uns einfach, wenn wir mit Leuten reden, die fachlich stark sind.