Baron war als Chef von Mindshare viele Jahre einer der wirkungsmächtigsten Vertreter der deutschen Mediaagentur-Branche. Seit diesem Sommer verantwortet er den Bereich Media beim französischen Pharmakonzern Sanofi.
Seine wichtigste Thesen
Christof Baron kritisiert "digitale Besoffenheit" der Werbeindustrie
Drittens: Programmatic Advertising ist die Kunst, mit nicht werthaltigem Inventar viel Geld zu verdienen.
Viertens: Im digitalen Raum lässt sich vieles nicht mehr kontrollieren - beziehungsweise nur mit gigantischem technischen Aufwand zu sehr hohen Kosten. Baron: „Das Risiko des Kontrollverlustes steigt.“Bewegtbildgipfel 2017
Sechstens: Die (Media-)Agenturen verfügen nicht über die nötigen Kapazitäten, um die Komplexität der neuen Werbewelt noch abbilden zu können und werden „zum Teil nur noch als Mitspieler geduldet“. Baron: „Die Spielregeln werden im Silicon Valley und in Seattle festgeschrieben.“ Auch für die Vermarkter wird es eng:„Die Silicon Valley Giants sind nicht mehr zu bremsen. Die Kommunikationsindustrie fokussiert ihre Investments immer stärker auf deren Plattformen und macht sie somit immer mächtiger. Der Rest ist eben der Rest und muss schauen, was übrig bleibt.“
Die ausführliche Version der Thesen ist nachzulesen in der aktuellen Printausgabe von HORIZONT. HORIZONT Online sprach mit Baron über seine aktuelle Streitschrift. "Die Silicon Valley Giants sind nicht mehr zu bremsen"
Branding funktioniert in klassischen Medien die TV und Print besser als Online, einverstanden. Wie massiv wird diese Stärke aber durch sinkende Netto-Reichweiten relativiert? Rich Lehrfeld von American Express sagte vor kurzem: „We need to run two weeks of digital to get the reach of one day of broadcast”. Es ist aufgrund der massiven Angebots-Fragmentierung tatsächlich extrem schwierig, in kurzer Zeit und zu vertretbaren Kosten vergleichbare Reichweiten über digitale Kanäle zu erzielen. Die vor kurzem veröffentlichte ARD / ZDF Online-Studie 2017 zeigt aber auch deutlich, welch herausragende Bedeutung Digital mittlerweile hat. Vor allem in jungen Zielgruppen sehen wir uns inzwischen mit einer Medienrealität konfrontiert, die sich deutlich von der der Über-30-Jährigen unterscheidet. Hier stellen sinkende Reichweiten eine immense Herausforderung dar.
Eines der zentralen Argumente für digitale Werbung lautet, Streuverluste massiv reduzieren zu können. Übertreibt es die Branche mittlerweile mit einem zu engen Targeting? Es gibt nicht viele Produktbereiche, die wirklich trennscharfe Zielgruppen aufweisen. Klar, wenn jemand unter Heuschnupfen leidet, ist das eine klare Indikation. Und die Mercedes S-Klasse kann auch nicht jeder kaufen. Dagegen verteilen sich die Käufer der Marke Nike über alle sozialen Schichten und soziodemographischen Segmente. Natürlich gibt es Käufer- oder Verwender-Schwerpunkte, aber gerade in Massenmärkten haben wir es mit sehr diffusen Strukturen zu tun. Und dann ist es im Zweifel eher schädlich, Zielgruppen zu eng zu fassen und wertvolle Streuverluste „abzuschneiden“. Dadurch werden Potentiale verschenkt, die sich nicht nur positiv auf die Bekanntheit der Marke auswirken, sondern ihr auch neue Käufer zuführen.
Sie sprechen in Ihren Thesen von einem Kontrollverlust in der digitalen Werbewelt. Das ist ein hartes Wort. Wie chaotisch sind die Verhältnisse aus Ihrer Sicht? Unübersichtlichkeit trifft es besser als Chaos. Die „Landscape“ an technischen Lösungen ist zu einem undurchdringlichen Dickicht geworden. Die Frage „Woher kommen die Daten für die Zielgruppenprofilierung, wie wurden sie generiert, wie alt sind die Informationen, wer steuert welche Daten bei, wem gehören die Daten“ ist eine Wissenschaft für sich. In der gesamten Prozesskette – vom Bidding bis zur Auslieferung und Kontrolle – gibt es eine Reihe von Schwachstellen, dazu kommt der Mangel an Transparenz. Die einzig denkbare Lösung, um dieser Komplexität Herr zu werden, sind hochskalierbare und standardisierte Lösungen.
Hat sich die Werbebranche in ihrer Begeisterung für Big Data, Automatisierung und Künstliche Intelligenz in eine Situation manövriert, die genau das Gegenteil dessen produziert, was die „Digital-Evangelisten“ unermüdlich versprechen: nämlich maximale Transparenz und höchste Effizienz? Ja, die Werbebranche hat – getrieben durch die großen Digital Player – unreflektiert Dinge adaptiert, ohne sich wirklich darüber im Klaren zu sein, wie man strategisch damit umgeht und welche Komplexität damit verbunden ist. Diese Herausforderungen wurden definitiv unterschätzt. Gleichzeitig sehen wir uns mit neuen Wettbewerbern konfrontiert, die technologisch und kapitalseitig in einer anderen Liga spielen. Die großen Umwälzungen stehen aber noch bevor. Derzeit befinden wir uns in einer Anpassungsphase mit den entsprechenden Geburtswehen und Schmerzen.
Die Media-Networks reklamieren die Rolle des zentralen Beraters für sich - und Sie sagen, die haben das gar nicht drauf, weil es ihnen an den nötigen Ressourcen und Fähigkeiten fehlt. Woran hakt es denn genau? Einspruch. Ich sage, die Mediaagenturen können nur einen Teil des Geschäfts abbilden. Sie haben Datenkompetenz und ein ausgeprägtes Wissen über Märkte, Zielgruppen sowie die Wirkung von Medien und Werbeinvestitionen. Darüber hinaus sind sie die wichtigste Schnittstelle zu den Medien. Sie haben aber auch Interessenskonflikte, die ein neutraler Berater wie Accenture oder Deloitte so nicht hat. Es liegt mir fern, den Mediaagenturen zu unterstellen, dass sie per se subjektiv handeln. Zentrale Kommunikationsberater sind sie aber nicht. Und die Media-Networks sind auch keine Tech-Companies, auch wenn sie über hochspezialisierte Einheiten verfügen. Um dieser Rolle gerecht zu werden, müssten sie massiv in Leute investieren. Die letzten Börsenberichte der Agentur-Networks sprechen eine deutliche Sprache: Konsolidierung oder Re-Organisation ist das Gebot der Stunde.
Werden die bisher so profitablen Mediaagenturen auch wirtschaftlich in Bredouille kommen? Die Margen der Vergangenheit werden kaum zu retten sein, wenn man kompetitiv zu Technologie-Unternehmen und Consultancy-Companies agieren möchte. Dafür sind hohe Investitionen notwendig. Das Commodity-Geschäft in den klassischen Medien ist unter Druck und kaum noch optimierbar. Die großen Pitches der vergangenen Jahre waren nicht wirklich darauf ausgelegt, den Erlös der Agenturen zu mehren. Und das Trading-Geschäft ist nun auch endlich – und nicht alle digitalen Player spielen hier auch mit.
Noch zwei Grundsatzfragen zum Schluss. Erstens: Wie wird sich die Verteilung der Media-Budgets in den kommenden Jahren entwickeln? Wird Digital in Teilbereichen unter Druck kommen und verlieren? Die Digital-Investments werden weiter steigen – in hochentwickelten Märkten wie US und UK mit geringeren Zuwachsraten. Dies gilt auch für Märkte wie Deutschland, in denen rund 30 Prozent in Digital investiert werden – inklusive Google, Youtube, Facebook und sonstige Kanäle und Werbeformen, die nicht erfasst werden. Das allein schon deshalb, weil der untere Teil des Sales-Funnels weiter forciert wird und es noch eine Reihe von Industrien gibt, die sich gerade erst in Richtung Digital aufmachen. Ein gutes Beispiel hierfür ist der Gesundheitssektor. Andererseits de-investieren andere, klassische Branchen in der Werbung, wodurch es zu einer Verschiebung der Medienshares kommt.
Zweitens: Wie groß ist die Übermacht von Google, Facebook und Amazon? Und wie bedenklich - oder eben nicht bedenklich - ist diese Übermacht aus Ihrer Sicht? Kommerziell und technologisch betrachtet sind es mächtige Konglomerate, die zunehmend eine Reihe von Märkten dominieren. Festzuhalten bleibt, dass sie großartige technische und konzeptionelle Leistungen erbracht haben und erst dadurch diese herausragende Position erreichen konnten. Google und Facebook sind in ihren Märkten absolut dominant, sofern sie nicht wie in China politische Restriktionen daran hinderten. Die alte Regel, dass eine bessere technische Lösung diese Unternehmen vom Markt fegen kann, ist nicht mehr haltbar. Aufgrund ihrer Kapitalkraft sind sie in der Lage, sehr agil auf Herausforderungen reagieren und in zukunftsweisende Technologien investieren zu können. Facebook ist das beste Beispiel dafür, wie man auf potentielle Konkurrenten reagiert. Die Silicon Valley Giants sind nicht mehr zu bremsen. Zudem fokussiert die Kommunikationsindustrie ihre Investments immer stärker auf deren Plattformen und macht sie somit immer noch mächtiger. Der Rest ist eben der Rest – und der muss schauen, was übrig bleibt.