Christian Waitzinger trägt die kreative Verantwortung für die Ende 2016 fusionierte Agentur Sapient Razorfish
Nach der Fusion von Sapient und Razorfish hat Executive Creative Director Christian Waitzinger die kreative Verantwortung für die deutschsprachigen Niederlassungen des Digitalnetworks übernommen. Die bisherige Razorfish-Kreativchefin Preethi Mariappan wird ein Team auf EMEA-Ebene leiten, das sich mit dem Thema Emerging Experiences beschäftigt. Im Exklusiv-Interview mit HORIZONT prangert Waitzinger, der den größten Teil seiner Karriere in den USA verbracht hat, die mangelnde Risikofreude der Deutschen an und erklärt, was sich hierzulande ändern muss, damit Deutschland in Sachen digitale Kreation wettbewerbsfähig bleibt.
Christian Waitzinger über…
… das Innovationsdefizit der Deutschen: Als ich damals in die USA gegangen bin, sind mir sehr viele Menschen begegnet, die Deutschland wegen seiner Design-Historie bewundern. Die Amerikaner schätzen die deutsche Bildsprache und lieben Berlin für seinen hippen Style. Kreative Power ist hierzulande also durchaus vorhanden. Wir leben diese Kraft nur leider viel zu selten aus und sind häufig reaktiv. Das gilt tatsächlich vor allem im Innovationsbereich. Hier verhalten wir uns wie Copycats: Lieferando ist ein Abklatsch von Grubhub, Zalando von Zappos, Mytaxi von Uber, Wimdu von Airbnb. Die Deutschen sind immer auf Risikominimierung aus. Deshalb ahmen wir nach, was woanders schon erfolgreich publiziert wird.
… agiles Arbeiten: Wir müssen wieder stärker über langfristige Partnerschaften nachdenken. In einer engen, vertrauensvollen Konstellation kann man auch mal etwas ausprobieren, testen und Haken schlagen – selbst wenn wir von vornherein nicht zu 100 Prozent garantieren können, dass jede einzelne Idee funktionieren wird. Mithilfe von Data und Analytics können wir sehr schnell Insights generieren und bei Bedarf Veränderungen vornehmen. Diese Möglichkeiten werden aber häufig gar nicht ausgeschöpft. Da müssen wir deutlich flexibler werden. Ein solches agiles Arbeiten funktioniert besser in einer festen Partnerschaft. Dazu gehört auch, dass wir gemeinsam mit dem Kunden viel stärker zentriert digital denken. Hierzulande hangeln sich Agenturen oft von einer Kampagne zur nächsten. Wir müssten uns stattdessen viel öfter die Devise "Always-On" bewusst machen.
… vernetztes Denken und Hybridkreative: Die Deutschen denken immer noch sehr in klassischen Kreativrollen, ob das nun ein Texter, Art Director oder Motion Designer ist. Ich habe in den USA festgestellt, dass gerade junge Kreative gar nicht mehr in solchen Schubladen stecken wollen. Da gibt es den Informationsarchitekten, der auch Strategien macht und codieren kann, sich aber ebenso für Bewegtbild interessiert. Für genau solche Leute wollen wir bei Sapient Razorfish eine Kultur schaffen. Ich glaube an die Idee des Connected Thinking, das in den USA tatsächlich schon viel weiter verbreitet ist.
… Emerging Experiences: Wir sehen das nicht als Lab oder Think Tank, sondern als Ergänzung zu unserem bisherigen Portfolio. Es geht darum, den Innovationsgedanken noch stärker in unser tägliches Kundengeschäft einzubauen. Preethi und ihr Team werden sich beispielsweise sehr intensiv damit auseinandersetzen, was künstliche Intelligenz für die Gestaltung von Produkten bedeutet.
… den kreativen Nachholbedarf seiner eigenen Agentur: Kreation war bei uns in der Vergangenheit nicht das leitende, sondern ein begleitendes Element. Deshalb haben wir uns bisher auch von dem ganzen Award-Zirkus ferngehalten. Diesbezüglich hat sich unsere Einstellung schon ein wenig verändert. Wir wollen nicht nur weiterhin im Kreativranking mitspielen, sondern auch nach oben klettern. Aber wir werden sicherlich keine Units gründen, die nur dafür da sind, Award-Ideen zu entwickeln. Alles, was wir machen, sollte einen Mehrwert für das Business unserer Kunden liefern. Für mich ist es ganz wichtig, die Kreation mit Leuten wie Thomas Junk (der seit kurzem am Standort Köln mit an Bord ist) weiter auszubauen und Kreativität zu einem der Kernwerte unserer Agentur zu machen.
bu