Verbandssprecher Tony Petersen rät den Mitgliedern der Sektion Werbung, nicht an Pitches mit Inhouse-Produktionen teilzunehmen
Vor einigen Wochen hatte HORIZONT über
den Vormarsch der Inhouse-Produktionen bei Agenturen berichtet. Fast alle großen Kreativ- und Netzwerkagenturen haben ihre Filmdepartments in den vergangenen Monaten aus- beziehungsweise umgebaut, um dem steigenden Bedarf an Bewegtbild-Content und dem generell erhöhten Kostendruck gerecht zu werden. Die Strategie: mehr selbst produzieren anstatt Dienstleister zu beauftragen.
Es ist wenig verwunderlich, dass die Produzenten und Postproduzenten diese Entwicklung mit Argusaugen beobachten. Mehr noch: Sie könnte zur ernsthaften Bedrohung der partnerschaftlichen Beziehung zwischen Agenturen und Werbefilmproduktionen werden, denn: "Es wird dort faktisch Geschäft mit dem gemacht, was früher bei uns im Hause produziert wurde", so Claudia Mina, Geschäftsführerin von Pirates ’n Paradise, die als Postproduktion sogar schon viel früher mit diesem Problem konfrontiert wurde.
Verbandsmitglied Claudia Mina, Geschäftsführerin von Pirates 'N' 'Paradise war als Postproduzentin schon viel früher vom Trend der Inhouse-Produktionen und -Postproduktionen betroffen als ihre klassischen Werbefilmkollegen
Einerseits räumen die meisten Werbefilmer ein, dass es durchaus sinnvoll ist, wenn Agenturen oder Kunden bestimmte Filmformate selbst produzieren. Das gilt beispielsweise für Online-Content, der unter hohem Zeitdruck und zu niedrigen Budgets hergestellt werden muss. Ungeklärt ist in diesem Kontext jedoch die Frage, ab welchem Anspruchsniveau – kreativ wie budgetär – ein Projekt ausgeschrieben werden sollte. Genau das ist der Knackpunkt: Kaum eine renommierte Produktion will in einer Wettbewerbspräsentation gegen die Inhouse-Filmabteilung einer Agentur antreten. Nur passiert genau das immer häufiger. Dabei sei es "weit jenseits von absurd, wenn ein Wettbewerbsteilnehmer alle Informationen über die Lösungsvorschläge seiner Konkurrenten frei Haus bekommt, inklusive der Preise", sagt
Jan Dressler, Geschäftsführer von Iconoclast.
Er und sein Geschäftspartner
Nils Schwemer haben kein Verständnis für ein solches Vorgehen und würden auch nicht bei einem Pitch gegen eine Inhouse-Produktion antreten. "Eine Ausschreibung, in der einer der Teilnehmer auch der Ausschreibende selbst ist, ist ein Witz. Das müsste eigentlich allen klar sein", so Dressler. Dennoch werde es praktiziert. Für Schwemer ist diese unschöne Entwicklung ein triftiger Grund, nicht mehr so offen mit Informationen umzugehen wie in der Vergangenheit: "Wir überlegen uns tatsächlich immer häufiger, wie viel Expertise wir preisgeben, wenn wir uns im Gespräch mit Agenturen befinden, beziehungsweise wie viele unserer Kontakte wir offenlegen sollen."
Nils Schwemer von Iconoclast glaubt, dass Agenturen mit ihren Inhouse-Produktionen nicht die gleiche Qualität liefern können wie Werbefilmfirmen
Im Grunde empfindet er Inhouse-Produktionen bisher noch nicht als ernsthafte Konkurrenz. Seine Einstellung zeigt aber doch sehr deutlich, dass diese Abteilungen schon jetzt einen negativen Einfluss auf das Miteinander zwischen Agenturen und Produzenten haben. "Wir bekommen vermehrt Fragen von den Agenturkollegen, mit Know-how oder Kontakten auszuhelfen, was wir in dem Fall ablehnen müssen", betont auch
Michael Duttenhöfer, Geschäftsführer von Tony Petersen Film. Für ihn steht fest: "Wenn eine Inhouse-Produktion wirtschaftlich erfolgreich sein soll, muss sie früher oder später auch größere Projekte umsetzen." Diese Aussicht bereitet den Produzenten durchaus Sorgen.
Das führe zu einer Art bipolarer Entwicklung, die davon geprägt ist, dass Agenturen und Produktionen jetzt Partner und Konkurrent in einem sind, sagt
Henning Stamm, geschäftsführender Gesellschafter der Produktionsfirma The Shack. "Ein und derselbe Produzent kann künftig bei einem großen Projekt der Partner sein, der früh involviert werden sollte, und gleichzeitig bei einem kleineren Projekt im Pitch mit der Inhouse-Unit der Agentur stehen. Das ist die Realität. Die Uhr wird nicht zurückgedreht. Wir müssen alle lernen, damit umzugehen."
Der Geschäftsführer von The Shack, Henning Stamm, hat die Seiten gewechselt. Er war vorher bei Kolle Rebbe
Der frühere Digitalchef von Kolle Rebbe hat vor rund einem Jahr die Seiten gewechselt, um bei The Shack stärker unternehmerisch arbeiten zu können. Seine Firma habe bereits spürbar Geschäft durch Inhouse-Produktionen verloren. Die Reaktion darauf: The Shack hat sich ihrerseits ebenfalls breiter aufgestellt. "Wir bekommen seit zwei Jahren viele Anfragen von Kunden, die von uns zusätzlich zur Produktion auch Beratung und ein Konzept haben möchten." Deshalb gibt es unter dem Dach des Unternehmens neuerdings die Bewegtbildagentur The Shack DMC, die zusätzlich zu den bereits existierenden Geschäftsfeldern Film-, Ton- und Audioproduktion auch die Bausteine Beratung und Kreation anbietet. "Mit dieser Aufstellung können wir Bewegtbildprojekte jetzt von A-Z betreuen und alle Beteiligten gewinnen: Wir sind von Beginn an involviert, die Kunden schätzen die schlanke Struktur, die kurzen Wege und die festen Ansprechpartner."
The Shack ist kein Einzelfall. Auch andere Produktionsfirmen überlegen, wie sie sich gegen die Konkurrenz vonseiten der Agenturen positionieren können, ohne diese zu verprellen. Denn noch sind beide Parteien voneinander abhängig. Die beste Antwort auf Inhouse-Produktionen ist immer noch die eigene Qualität. Darauf bauen erfahrene Produzenten mehr denn je. "Für die Herstellung von klassischen TV-Spots, neuen Formaten oder ähnlich angelegtem hochwertigen Content bedarf es einer Kombination besonderer Parameter. Nichts steht über dem Talent. Die Ansammlung exzellenter Regisseure ist es, die eine Produktion zu einem unverzichtbaren Partner macht. Talent muss entwickelt, gefördert und dauerhaft begleitet werden. Dazu bedarf es der Unabhängigkeit von Agenturen, aber der Zugehörigkeit zu Produktionen, denn aus diesem Verhältnis lassen sich Karrieren aufbauen und weiter veredeln", erläutert
Lutz Müller, Chef von Kanu Films.
Lutz Mueller von Kanu Film ist überzeugt, dass Qualität immer noch die beste Antwort auf Inhouse-Produktionen ist
Ähnlich selbstbewusst sieht es auch Schwemer: "Wir werden immer ein spitzeres Produkt und ein schärferes Profil anbieten können als die Produktionsabteilung einer Werbeagentur. Wir pflegen engen Kontakt zu unseren Regisseuren, Fotografen, Künstlern und Musikern, denn diese sind unser Kapital. Wir sind wesentlich attraktiver (für Kunden und Künstler), weil wir unabhängig, schnell und kreativ integer sind, während Inhouse-Produktionen – verständlicherweise – viel eher wie ein weiteres Profitcenter agieren als eine Produktion, die sowieso nur projektbezogen engagiert wird und sich hauptsächlich über die Qualität ihrer Arbeit definieren muss."
Während Iconoclast dem Trend der Inhouse-Produktionen relativ gelassen entgegenblickt, empfinden einige Wettbewerber das als echte Bedrohung für ihr Business. Nicht zuletzt deshalb hat der Verband der Werbefilmer, die Sektion Werbung in der Produzentenallianz, inzwischen auf die veränderten Marktbedingungen reagiert. Gemeinsam mit dem
Forum Creative Services im Gesamtverband Kommunikationsagenturen
GWA wurde eine Handlungsempfehlung für Pitches erarbeitet. Die ausschreibenden Agenturen sind aufgefordert die Produktionen zu informieren, wenn ihre Inhouse-Unit mitpitcht. "Unsere Mitglieder können dann entscheiden ob sie an dem Pitch teilnehmen und werden dies in der Regel nicht tun", stellt Verbandssprecher Tony Petersen fest. Schließlich käme auch kein Architekt auf die Idee, seine Entwürfe und Kostenschätzungen an ein konkurrierendes Architekturbüro zu schicken.
bu