ADC-Kongress Design Experience

"Werbung war gestern, Design ist Gegenwart"

Mutabor-Chef Heinrich Paravicini und Telekom-Chef-Designer Philipp Thesen
Mara Monetti
Mutabor-Chef Heinrich Paravicini und Telekom-Chef-Designer Philipp Thesen
Am 5. Oktober startet in Stuttgart der zweitägige ADC-Kongress "Design Experience". Das Programm ist ambitioniert, die Ankündigung markig: "Design", so der ADC, sei "Deutschlands letzte Chance, dem Silicon Valley und China Paroli zu bieten". International führende Designer wollen "disruptive Impulse" liefern. Kurz vor dem Kongress plädieren Mutabor-Chef Heinrich Paravicini und Telekom-Chef-Designer Philipp Thesen, die beiden Initiatoren der Veranstaltung, für ein neues Verständnis ihrer Disziplin: "Design treibt die digitale Innovation." Auszüge aus dem Gespräch mit HORIZONT.
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Heinrich Paravicini und Philipp Thesen über …

… "Design disrupts Design", das Motto der ADC-Konferenz:

Paravicini: Der Begriff "Design" hat sich verbraucht. Wir suchen etwas Neues. Und wir wollen wissen: Wer treibt heute die Innovation? Die Ingenieure oder die Designer? Und: Wie verhalten sich Kreative zu Ingenieuren? Darüber werden wir auf der Konferenz diskutieren.

…das Verhältnis von Designern und Ingenieuren:

Paravicini: Ingenieure haben ein ausgeprägtes Empfinden für Qualität und sind in technischen Belangen kreativ, keine Frage. Aber für designorientierte Strategien und Softwaregeschäftsmodelle zeigen sie eher weniger Gespür.

Thesen: Die Ingenieure waren in der Vergangenheit für die physischen Produkte und die Infrastruktur zuständig und haben deshalb in den Unternehmen hohe Positionen in der Hierarchie eingenommen – und die Designer nachrangige. Das ändert sich momentan.

… die Rolle von Designern in deutschen Unternehmen:

Paravicini: Hierzulande findet Design kaum im Wirtschaftsteil einer Zeitung statt, sondern bestenfalls in der Randspalte des Feuilletons. In Korea dagegen ist der Automobildesigner Peter Schreyer überall präsent. Kein Wunder, er entwickelt die Gestaltung der Marke Kia, zudem die von Hyundai, und ist Kia-Firmenpräsident sowie im Managementboard der gesamten Hyundai Kia Group. Das Beispiel zeigt, dass in anderen Ländern Designer Ansprechpartner auf C-Level sind, also auf Chef-Ebene. Wir brauchen Chief Design Officer (CDO) in deutschen Unternehmen! Aber es geht nicht um die Visitenkarte. Es geht um das Rollenverständnis und um die Wertschätzung.

Thesen: Wir sagen: Design from day one on! Denn Designer haben eine vermittelnde Rolle. Sie sind in der Lage, Technologie zu verstehen, Business zu verstehen und mit Gestaltung eine Brücke zum Menschen zu bauen.

…Design und Verantwortung

Thesen: Designer sind befähigt – das erlebe ich täglich bei der Telekom –, sich in die Kundenperspektive zu versetzen. Zudem können sie die Unternehmenskultur definieren. Folglich sollten Designer bemächtigt werden, ganz im Sinne von Empowerment, also der Übertragung von Verantwortung. Designkompetenz auf höchster Ebene hilft, ein Unternehmen strategisch zu steuern. Bei der Telekom setzen wir Design ein, um in einer sich rasant verändernden Welt Innovationsführer zu bleiben. Es geht viel verloren, wenn das Design unten im Maschinenraum arbeitet und erst dann gefragt ist, wenn die Weichen bereits gestellt sind.

Paravicini: Wir übernehmen die Rolle von Strategen, wenn wir mit Unternehmen gemeinsam Werte definieren, um am Ende eines langen Prozesses deren Identitäten zu finden und in echte Lösungen zu überführen. Wir übernehmen dabei die Moderation. 

…die Rolle der Designer im Zeitalter der Digitalisierung:

Paravicini: Ich wünsche mir, dass Designer nicht länger als kreative Magier mit schwarzen Hornbrillen gelten. Designer sind weder Zaungäste noch Hofnarren. Doch für die meisten Menschen außerhalb unserer Profession hat Design etwas mit hübschem Dekor zu tun, mit schnittigem Styling und Möbeln, die richtig viel Geld kosten und obendrein noch unbequem sind. Das ist der falsche Design-Begriff.

Thesen: Durch die digitale Transformation erleben wir eine fundamentale Verschiebung. Zwei Beispiele: Der Fahrservice Uber hat kein einziges Taxi, der Vermietungsservice Airbnb kein einziges Hotel. Beide Unternehmen aber sind extrem erfolgreich. Und warum? Weil sie das Erlebnis, das Design vermitteln kann, in den Vordergrund rücken. Wir nennen das "Design Experience". Der Wert einer Erfahrung hängt im digitalen Zeitalter weniger vom physischen Produkt ab, sondern eher von Erlebnissen, die mit seiner Nutzung verbunden sind. Nutzen statt besitzen: Das ist das Motto. Das wird mit der digitalen Transformation eingelöst. Deshalb sind Designer auch die richtigen Ansprechpartner, wenn es darum geht, die User Experience zu verbessern. Denn die entscheidet heutzutage über die Kundenzufriedenheit, die Wiederverkaufsbereitschaft und natürlich über die Weiterempfehlung eines Produktes oder eines digitalen Dienstes.
Ich wünsche mir, dass Designer nicht länger als kreative Magier mit schwarzen Hornbrillen gelten.
Heinrich Paravicini

…den Aufkauf von Designagenturen durch Unternehmensberatungen:

 Paravicini: Das ist ein Thema unseres Kongresses. Unternehmensberatungen sind ja selber in strategische Prozesse involviert. Da ist es logisch, dass sie es auf Spezialisten abgesehen haben, die Strategien sichtbar machen, also visuelle Strategien entwickeln. 

Thesen: Design ist eine Transfer-Disziplin, die sich an den Rändern anderer Wissenschaften bewegt. Jeder gute Designer ist auch ein Stück weit Berater und Stratege. Das erklärt das vitale Interesse der US-Beratungsfirmen, analytische Problemlösungskompetenz aus möglichst vielen Bereichen in sich aufzunehmen. 

…Design und Ökonomie:

Thesen: Design ist sicherlich kein Garant für ökonomischen Erfolg. Aber Design zu vernachlässigen, ist ein Garant für Misserfolg. 

Paravicini: Wer nicht in strategisches Design investiert, hat von vornherein keine Chance, zu den Gewinnern zu zählen.

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