Stefan Schmidt zur Award-Debatte: "Keiner zwingt uns zum Beschiss!"

Stefan Schmidt
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Die Award-Diskussion nimmt Fahrt auf. Nach dem Teilausstieg von Jung von Matt und dem Komplettverzicht von Scholz & Friends überlegen mehrere Agenturen, wie und in welchem Umfang sie sich künftig an Kreativwettbewerben beteiligen sollen. Für das Gesprächsangebot von Scholz & Friends, gemeinsam nach einer Lösung zu suchen, zeigen sich viele Kreativchefs offen. Gleichzeitig betonen sie, dass weniger die Awards, sondern vor allem die Rankings der (Fach-)Presse das Problem seien. Gegen dieses Argument – und gegen die These, vor allem die Networks hätten wegen internationaler Vorgaben kaum Alternativen zum bisherigen Verhalten – wendet sich der renommierte Kreative Stefan Schmidt. Er appelliert an die Verantwortung der Agenturen, mit echter und beauftragter Arbeit zu glänzen – und nicht mit sogenannten Goldideen.

Keiner zwingt uns zum Beschiss!

Der Goldideen-Wahnsinn ist aus dem Ruder gelaufen. Die deutsche Werbung hat den Tipping Point erreicht. Hier die unmissverständlichen Zeichen: Jung von Matts verschrobene "Alle-zwei-Jahre-in-Ausbildung-Umschichtung", Scholz & Friends' geheimnisvolle "Denkpause". Aber, warum haben (fast) alle deutschen Werbeagenturen diesen Unsinn eigentlich seit vielen Jahren überhaupt mitgemacht? Sie sagen: Wegen der Rankings in der Fachpresse und im "Manager Magazin".

Kunden und Talente suchen sich angeblich ihre Agenturen nach diesen Rankings aus. Bin ich in den Ranglisten nicht zu finden, komme ich auf keine Pitchliste und werde nie Wunscharbeitgeber bei den talentierten Kreativen. Das andere Argument, das eigentlich alle Networkagenturen nennen: Meine Bosse in New York, London oder Paris zwingen mich, im Ranking vorzukommen.

Der Kurzschluss aus beiden Argumenten: Ich muss Goldideen machen, sonst schaffe ich es nicht ins Ranking. Schauen wir uns die Argumente und den Kurzschluss einmal genauer an. Jede Woche lesen wir von Pitchrunden, in denen sicher auch öfter die üblichen Verdächtigen vorkommen. Aber eben auch solche Agenturen, die Auftraggebern offensichtlich aus anderen Gründen als dem Kreativranking aufgefallen sind. Darunter prominente Adressen wie zum Beispiel Aimaq von Lobenstein, die schon seit Jahren auf den angeblich zwanghaft notwendigen Award-Blödsinn verzichtet. Man kann als Agentur also doch auch "for the right reasons" zum Wettbewerb aufgefordert werden.

Argument Nummer 2: "New York fordert das." Sorry, aber das ist Bullshit! New York kennt gar keine Kreativrankings, außer vielleicht den Gunn Report, der dort aber beileibe nicht so deutsch-eng gesehen wird. Was die Bosse fordern ist: in jedem Markt exzellente kreative Arbeit. Damit man von sich r den macht und deshalb öfter ausgewählt wird. Gemeint ist wohlgemerkt echte (!) kreative Arbeit. Denn nur die macht von sich reden. TBWA Chiat Day mit "Gatorade Replay" und "Pepsi Refresh Movement"; Wieden & Kennedy mit "The man your man could smell like", Nikes "Write The Future" und dem allerersten Facebook-Film.

Wow! So macht man von sich reden. Oder haben Sie sich jetzt gefragt, welchen Rankingplatz die verantwortlichen Agenturen hätten, wenn es einen solchen Quatsch in den USA geben würde? Das wahre Problem ist: Wer zu faul ist, eine Frau zu verführen, redet sich die Masturbation schön. Das ist in Deutschland in den letzten zwölf Jahren passiert. The easy Fame. Der schnelle, schmutzige Ruhm. Aber das führt dazu, dass sich keine Mühe mehr gegeben wird bei den echten Aufgaben. Deshalb ist das Gros der Werbung schlechter geworden.

Zu behaupten, nur weil Werbung schlechter geworden sei, hätte man anfangen müssen, Goldideen zu machen, damit man überhaupt noch auf Festivals eine Rolle spielt, ist eine Lüge. Wieden & Kennedy, TBWA Chiat Day – und übrigens auch Heimat in diesem Land! – beweisen: Wenn man sich Scam und Fakes nicht erlaubt, zwingt man die echte Werbung, besser zu werden. Das ist die einzige Konsequenz, die man aus der Misere ziehen muss. Was Jung von Matt und Scholz & Friends jetzt machen, ist halbsteif. Wir brauchen vielmehr eine Haltung, die erwachsen, relevant, kaufmännisch und leidenschaftlich ist. Total, nicht halbsteif. Weil wir sonst Gefahr laufen, den letzten Rest an Ansehen, den die Guten unter uns bei manchen Kunden noch genießen, komplett zu verlieren.

Warum ist die Gefahr so groß? Nun, Goldideen-Agenturen lehren Kunden: Award-Shows zeichnen die beste Arbeit aus. Die Arbeit, die ausgezeichnet wird, haben wir euch umsonst gegeben. Die Idee war umsonst, die Produktion auch. Sogar die Schaltung haben wir Agenturen oft selbst bezahlt. Ergo: Die beste Arbeit dieser Branche muss man nicht bezahlen. Sorry, aber das ist kein Geschäftsmodell! Niemand in New York fordert das von den lokalen Network-Bossen. Es ist ruinös und muss endlich aufhören.

Heißt das, ich finde Awards doof? Überhaupt nicht! Awards gehören zu einer kreativen Branche dazu. Aber niemand braucht eine Sammlung aller Ergebnisse aller Wettbewerbe für ein Ranking. Ich wiederhole noch mal, was mir meine langjährige Erfahrung in einer internationalen Position in einem Network gezeigt hat: Da fordert keiner Rankings! Was wir aber alle brauchen, um uns auszuzeichnen, ist herausragende Arbeit.

Ein Wort noch zu Amir Kassaei: Er sagt, er hört nur auf, seine Goldideen oder Zombie-Kreation – wie er das auch so treffend nennt – zu machen, wenn ein neues Ranking das Award-Ranking ablöst. Ach du lieber Gott, was für eine deutsche Liebe zu Listen er doch hat! Welches unabhängige Konsortium soll denn die von ihm angedachte Agenturbewertung übernehmen? Er müsste doch gerade an den oben beschriebenen US-amerikanischen Beispielen sehen, dass es die große, sensationelle, eine Kultur beinflussende Arbeit ist, die dich in die Köpfe der Kunden und Talente bringt. Wieso denn jetzt ein deutsches "Amt für TÜV-geprüfte Agentur-Listung"?

Der Autor Stefan Schmidt kennt beide großen Agenturmodelle – die unabhängigen und die großen Networks. Er war acht Jahre bei Springer & Jacoby in Hamburg und London, dann fast zehn Jahre in internationaler Position bei TBWA Worldwide und hat vor neun Monaten zusammen mit seinem langjährigen Kreativpartner Kurt-Georg Dieckert die unabhängige Kreativagentur Dieckert Schmidt gegründet.
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