Schattenboxen mit Rosé
Die Steine über die nun Jung von Matt bei den Cannes Lions gestolpert sind, sind Teil eines viel größeren Problems: Beim Rattenrennen um Punkte im Kreativranking ist inzwischen fast jedes Mittel recht. Mehr noch, mit regulären Arbeiten scheint es kaum noch möglich, sich in der internationalen Spitze zu behaupten. Denn nicht nur Jung von Matts Stolpersteine sind eine Goldidee, auch viele andere Arbeiten wirken eher nach Gimmick-Kommunikation die extra für Kreativ-Wettbewerbe gezimmert wurde, wie zum Beispiel Serviceplans Star-Wars-Musikwalze für Lego.
Besonders kritisch wird es, wenn es um Social-Arbeiten geht - wie die Funkspots für Johanniter Unfallhilfe (ebenfalls Serviceplan) oder die mit Media Gold ausgezeichnete Arbeit für die Deutsche AIDS-Stiftung von Kemper Trautmann. Natürlich sind das auch alles schöne Ideen, aber in erster Linie dürfte es hier nicht um Nächstenliebe gehen, sondern um Eigennutz.
Schaut man sich das Ergebnis insgesamt an, Deutschland ist auf Platz 3 in der Nationenwertung, könnte man meinen: Wir leben hier im Kreativ-Paradies, wo sich jedes Unternehmen mit Witz und Einfallsreichtum allergrößte Mühe gibt, einen für seine Sache einzunehmen. Die Realität sieht leider trister aus. Natürlich ist es toll, wenn Serviceplan einen Geschäftsbericht für Austria Solar entwickelt, der nur bei Sonnenlicht lesbar ist und den gleich mehrfach einreicht. Welche weitergehende Aussagekraft aber hat es, wenn die Agentur dafür einen Grand Prix und zweimal Gold gewinnt und obendrein noch Direct Agency of the Year wird?
Ich kann mich eigentlich an keine einzige Serviceplan-Kampagne erinnern, die mir jüngst in der Realität begegnet wäre und mir nachhaltig in Erinnerung geblieben ist. Und Direct Agency of the Year, das wird man eben, wenn man vor allem sehr viel in der Kategorie einreicht, in der Goldideen am kostengünstigsten umzusetzen sind - und das ist zweifellos die Kategorie "Direct".
Viel aufwendiger sind natürlich die Einreichungen in der Königskategorie Film. Zwar hat Deutschland insgesamt 85 Löwen gewonnen, aber keinen bei Film. Dabei ist Film immer noch die harte Währung; nur dass ein Film auf Cannes-Niveau eben viel schwieriger zu produzieren ist als eine Lego-Walze.
Klickt man sich auf der Website der Cannes Lions durch, wird schnell deutlich, dass nur eine gewisse Masse von Einsendungen am Ende auch sicherstellt, dass etwas hängen bleibt. Die mangelnde Trennschärfe der Kategorien lädt ganz bewusst dazu ein, Arbeiten mehrfach einzureichen. Gleich mehrere deutsche Agenturen haben mehr als 100 Arbeiten eingereicht, Serviceplan sogar fast 200, Jung von Matt mehr als 300. Aus den Einsendegebühren für die unterschiedlichen Kategorien ergibt sich ein Durchschnittswert pro Einsendung von 531,50 EUR. Da lässt sich ganz einfach ausrechnen, welches finanzielle Engagement allein die Einreichungen für die Agenturen bedeuten. Rechnet man die ganzen anderen Award Shows hinzu, die für das Jahresranking zählen, wird die Zahl noch deutlich größer.
Und warum der ganze Aufwand? Weil Agenturen in den letzen zehn Jahren erkannt haben, wie wichtig es für ihre Aktionäre und ihr Neugeschäft ist, wenn man in der kreativen Leistungsschau gut dasteht. Dafür werden weder Kosten noch Mühen gescheut und extra Teams engagiert, die das ganze Jahr nichts anderes machen als Schattenboxen. Für die großen Networks geht es dabei noch um mehr: Die öffentlich ausgetragenen Streitereien zwischen Omnicom-Juroren vs. WPP-Juroren drehen sich am Ende um nichts anderes als den Shareholder Value. Worum ging es eigentlich nochmal in Cannes?
Es ist lobenswert, wenn DDB-Kreativchef Amir Kassaei die Bedeutung unserer Branche als kreative Unternehmensberater herausstellt. Allerdings frage ich mich auch, wie glaubwürdig wir sind, wenn wir gleichzeitig Wasser predigen und Rosé trinken? Wenn Cannes die Kreativbörse ist, dann befinden wir uns wohl gerade an dem Punkt, an dem die Finanzbörsen schon länger angelangt sind: Gier, Maßlosigkeit und purer Egoismus haben das System gefleddert und ad absurdum geführt. Ideelle Werte finden nur noch als taktisches Lippenbekenntnis statt. Ärgerlich ist das vor allem auch für all diejenigen, die ihren Löwen mit einer realen Auftragsarbeit gewonnen haben. Denn die gibt es ja trotzdem immer noch. Deren Leistung ist ungleich höher.
Aimaq von Lobenstein zählt übrigens nicht dazu. Wir haben zwar dieses Jahr wieder eingereicht - und zwar sieben Mal, aber keine der Arbeiten hat am Ende das Rennen gemacht. Vielleicht weil die Ideen nicht gut genug waren oder weil die Casefilme noch besser hätten sein können, ich weiß es nicht. Ich weiß nur eines: Wir werden uns wieder anstrengen und auch im nächsten Jahr etwas einreichen, wenn wir etwas haben. Allerdings werden wir für keinen Kreativwettbewerb extra Runden drehen. Was die anderen machen, weiß ich nicht. Ich gehe natürlich erst mal davon aus, dass sie es genauso machen werden. Gehört sich ja schließlich auch so.
André Aimaq