Julia Peglow
Ich bin raus

Warum ich meinen Chef-Posten schmiss und digitale Nomadin wurde

Die Marketingbranche macht in dieser Woche vor allem mit Abgängen Schlagzeilen. Erst kündigt die Deutsche-Bahn-Marketingchefin Antje Neubauer ihren gut dotierten Job. Und dann verabschiedet sich Amir Kassaei nach fast 16 Jahren in Diensten von DDB. Die Werbebranche und das Angestelltendasein verlassen hat auch Julia Peglow, Geschäftsführerin für internationale Branding- und UX-Agenturen. In ihrem Gastbeitrag für HORIZONT Online erklärt sie, warum sie ihren Chef-Posten gegen die Freiheit eines digitalen Nomaden eingetauscht hat.
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Vor einem Jahr habe ich meinen Chefposten in einer internationalen UX-Design-Agentur gegen die Freiheit eines digitalen Nomaden eingetauscht. Selbständig war ich schon mal eine ganze Weile, zur Jahrtausendwende. Aber diesmal fühlt es sich anders an. Diesmal bin ich Symptom. Diesmal ist es systemimmanent. In unseren Zeiten schaue ich jetzt von außen auf die Unternehmen, ihre Strukturen und die Menschen, die darin Tag für Tag arbeiten und frage mich ernsthaft: Macht es Sinn, dass Unternehmen und Arbeit immer noch so organisiert sind? Warum neigen Unternehmensstrukturen dazu, den Menschen jegliche Eigeninitiative auszutreiben? Dass jede gute Idee zerredet wird? Besonders in Zeiten, in denen es alle Unternehmen nötig hätten, sich neu zu erfinden, ist das doch irgendwie kontraproduktiv.

Die Autorin
Julia Peglow studierte Design in Deutschland und England und arbeitete als strategische Beraterin und Geschäftsführerin für internationale Branding- und UX-Agenturen u.a. für BMW, SAP und Adidas. Vor Kurzem hängte sie ihren Job an den Nagel, um, wie sie sagt, „anders zu arbeiten. Peglow lebt in München, ist verheiratet und hat zwei Söhne.
Ich möchte noch vorausschicken, dass meine persönliche Entscheidung, die Agenturwelt und das Angestelltendasein zu verlassen, meine eigene, subjektive Entscheidung war. Ich erhebe nicht den Anspruch, dass mein Modell, außerhalb der Struktur zu arbeiten, für jeden erstrebenswert oder umsetzbar ist. Andersherum wage ich zu behaupten, dass meine Eindrücke sich wiederum decken mit den Erlebnissen vieler Menschen in der Arbeitswelt. Und dass Unternehmer und Unternehmen über diese Entwicklungen sehr grundsätzlich nachdenken sollten, wenn sie sich selbst erhalten und weiterentwickeln, oder die Generationen, die nachkommen, für sich begeistern wollen. Wäre es nicht toll, Strukturen zu schaffen, in denen man wahrhaft frei und kreativ denken kann? In denen es wieder um die Sache an sich geht?

Vom Nomaden zum Angestellten

Ich mag den Begriff „digitaler Nomade”. Immerhin erinnert er an die Anfänge der Menschheit und die damalige Daseinsform des Menschen: dass er umherzog, leichtfüßig, mit wenig Gepäck, unter freiem Himmel und immer da, wo die Jagdgründe gut waren. Und so, wie der einstige Nomade seine Freiheit aufgab, als er Ackerbauer wurde, gibt der Mensch auch heute etwas auf, wenn er für ein kleines bisschen Sicherheit und Planbarkeit den Großteil seiner Zeit und Arbeitskraft seinem Arbeitgeber zuwendet. Denn fortan ist er Teil eines Systems und Teil einer Struktur.
Wäre es nicht toll, Strukturen zu schaffen, in denen man wahrhaft frei und kreativ denken kann? In denen es wieder um die Sache an sich geht?
Julia Peglow
Das verrückte ist: Systeme und Strukturen neigen dazu, im Laufe der Zeit zum Selbstzweck zu werden. Die Struktur ist permanent damit beschäftigt, sich selbst aufrecht zu erhalten, mit horizontalen Abteilungs-Silos und vertikalen Hierarchien, mit Job-Titeln, Rollen und Gehaltsbändern. Und fortan sind die Leute in diesen Systemen einen Großteil der Zeit damit beschäftigt, ihre Rolle zu bedienen und gemäß dem Leistungsprinzip auf der Karriereleiter weiterzukommen. Der leitende, karrierebewusste Angestellte fragt also nicht: „Wie kann ich die Sache/das Projekt/das Unternehmen voranbringen?” sondern er fragt: „Was wird in meiner Rolle von mir erwartet?”. Oder: „Womit kann ich mich am besten profilieren, um weiterzukommen?”. Und das ist ein gewaltiger Unterschied. Denn die Verhaltensmaxime in hierarchischen Strukturen ist demzufolge, die eigene Rolle zu optimieren, und nicht, Probleme zu lösen oder das Unternehmen voranzubringen.

No good joke survives a committee of six

Die feste Unternehmensstruktur treibt einem sehr schnell jeden individuellen Initiativ- und Innovationsgedanken aus. Wie oft hast du, geschätzter Leser, der du mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit auch Teil einer Struktur bist, das nicht schon selbst erlebt oder bei anderen beobachtet? Als hochmotivierter, neueingestellter Mitarbeiter bist du gekommen, mit klarem Blick von außen, und vielen Vorschlägen, was man anders machen könne. Und wie schnell hat es die Struktur geschafft, dich, den frischen Ankömmling, auflaufen zu lassen, zurechtzustutzen und dein inneres Leuchten auszulöschen.

Wie das passiert? Die Struktur möchte sich selbst erhalten und so müssen natürlich auch störende Elemente eingeschliffen werden. Was nicht passt wird eben passend gemacht. Genau das gleiche gilt für interne Projekte: Wie oft hast du beobachtet, dass gute Initiativen gnadenlos intern zerredet wurden, je mehr Leute „ins Boot” geholt wurden. Es ist wie immer, sobald jemand „was macht” und eine Initiative startet, sind alle damit beschäftigt, dagegen zu sein und sich mit Kritik zu positionieren. Neben dem bekannten, sehr menschlichen „not invented here”-Syndrom steckt auch die Struktur dahinter: Bewohnern der Struktur ist es wichtiger, den eigenen Einflussbereich in der Struktur sichergestellt zu haben, als die Sache/das Projekt/das Unternehmen voranzubringen und die eigenen Interessen hintanzustellen. „Struktur schlägt Innovation”, sozusagen. In Zeiten, in denen die Veränderungsfähigkeit für Unternehmen überlebenswichtig geworden ist, läuft dieses menschliche Verhalten innerhalb der menschengemachten Struktur gegen die Innovation und verhindert sie sogar.
So, wie der einstige Nomade seine Freiheit aufgab, als er Ackerbauer wurde, gibt der Mensch auch heute etwas auf, wenn er für ein kleines bisschen Sicherheit und Planbarkeit den Großteil seiner Zeit und Arbeitskraft seinem Arbeitgeber zuwendet.
Julia Peglow
Ich bin raus. Für mich bedeutete das im Umkehrschluss, dass ich nur wirklich der Sache verpflichtet, innovativ und FREI denken und arbeiten kann, wenn ich außerhalb der Struktur bin. Das trifft nicht nur auf mich als Einzelpartikel zu: Einer Studie von Capital über den Boom der Digital Innovation Units zufolge sind „kreative Freiräume außerhalb etablierter Strukturen förderlich für die Entwicklung innovativer Ideen” – daher sei der Großteil aller Innovation-Labs räumlich vom Trägerunternehmen getrennt, und sei es nur durch eine Straße.

Wir kennen alle die berühmten Ergebnisse von U-Boot-Projekten und geheimen Teams, die außerhalb der Konzernstruktur, aber auf Basis einer gemeinsamen Mission entstanden sind: Der Apple Macintosh, iPod und iPhone, genauso wie der Elektropionier BMW i3. Projekte, die wirklich neu und radikal neu gedacht sind, können gar nicht innerhalb der Konzernstruktur und auf dem Amtsweg entstehen. Sie würden viel zu früh zerredet. Gegensteuern können Unternehmer, wenn es ihnen gelingt, eine Kultur von „Protect the idea” zu errichten, wie es Pixar-Chef Ed Catmull in seinem inspirierenden Unternehmerbuch „Creativity Inc.” beschreibt.

Die Industrialisierung der Kreativität

Ich habe viele Jahre als Beraterin und Geschäftsführerin in Brand- und UX-Design-Agenturen gearbeitet. Agenturen waren immer die Spielwiese gegenüber den schwerfälligen Strukturen ihrer Auftraggeber. Das ging nur, weil wir frei, der Sache und der Idee verpflichtet, denken konnten.

Doch auch vor dieser Branche, ehemals ein Hort der Freigeister, macht die Industrialisierung und die Vormacht der Strukturen nicht halt. Auch hier geht es nur noch um Hierarchien und Rollen, mit zunehmender Größe und Professionalisierungsgrad gibt es zum Beispiel in meinem alten Metier eine regelrechte Hackordnung der Designer: Junior Designer, Senior Designer, Design Directors, Senior Directors und Creative Directors. Kommt das daher, dass wir Kreativen immer so verzweifelt versucht haben, die Strukturen unserer Auftraggeber zu spiegeln, um endlich ernst genommen zu werden? Jahrelang haben wir uns um Strukturen bemüht. Jetzt werden eben jene auch bei uns zum Selbstzweck. Also geht es auch in Designagenturen immer weniger um die Sache, um die kreative Idee und die kreative Leistung. Layouten, prototypen, sich die Hände schmutzig machen will eigentlich keiner von den Young Talents mehr. Alle wollen per Shortcut in die Beratung.

Ich habe in letzter Zeit mit einigen alten Weggefährten gesprochen, die allesamt das System „Agentur” hinter sich gelassen haben. N., eine brillante Denkerin, strategische Beraterin und ehemalige Führungskraft, hat vor einiger Zeit ihren Job hingeschmissen, die Designabteilung in einer Agentur aufzubauen. Sie sagt: „Es kostet so unglaublich viel Energie, sich mit der Rolle auseinanderzusetzen, mindestens 70 Prozent geht dabei drauf. Dafür war mir meine Energie ehrlich gesagt irgendwann zu schade.”. Oder V., alter Creative-Director-Haudegen, der alles erreicht hat, was man erreichen kann, zuletzt als geschäftsführender Gesellschafter, und der gerade nochmal ganz von vorne anfängt, mit einem jungen Partner, in einem kleinen Büro. Der sagt: „Die Agenturen drehen sich um sich selbst. Es geht gar nicht mehr um die Sache. Nur noch um Rollen.”
Manchmal erinnert mich diese ganze Idee von Leveln, durch die man sich nach oben durcharbeitet, an ein Playstation Game, bei dem alle im Unternehmen mitzocken. Bis sie eines Tages aussteigen und sich wundern, was es genau war, dem sie die ganze Zeit nachgejagt sind.
Julia Peglow
Wir waren schon immer die Design- und Innovation-Center, die jetzt die Unternehmen selber hochziehen. Muss das die Agenturen nicht nachdenklich machen? Denn während sich draußen die Welt rasend schnell verändert, drehen diese sich um ihre groß gewordenen Strukturen und Jobtitel.

Eine gemeinsame Mission

Ich bin raus. Außerhalb der Struktur kann ich mich vernetzen mit Leuten, die die gleichen Fragen umtreiben, die an den gleichen Problemen arbeiten, „out of the box”, über den Tellerrand und sonst wohin denken wollen wie ich. Was uns eint, ist nicht mehr der gemeinsame Unternehmensmantel, keine starren Auftraggeber/Auftragnehmer- oder Arbeitgeber/Arbeitnehmer-Konstellation. Sondern die gemeinsame Mission, neue Themen, an denen wir als Gleichgesinnte arbeiten können, statt sie durch die Strukturen und Hierarchien rauf- und runter zu diskutieren.

Aber nicht jeder will wie gesagt als digitaler Nomade außerhalb der Struktur unterwegs sein. Die brennende Frage für Unternehmer und Unternehmen ist aber: Welcher Logik folgen alle im Unternehmen? Welche Mission hält heute ein Unternehmen im Innersten zusammen? Was bindet deine Leute an dein Unternehmen, so dass sie zu „Überzeugungstätern” werden? Die reine Erfüllung des Angestelltenvertrags ist es nicht. Auch der Director-Jobtitel auf der Visitenkarte reicht dafür nicht aus – heute sind ja alle irgendwie Director. Manchmal erinnert mich diese ganze Idee von Leveln, durch die man sich nach oben durcharbeitet, an ein Playstation Game, bei dem alle im Unternehmen mitzocken. Bis sie eines Tages aussteigen und sich wundern, was es genau war, dem sie die ganze Zeit nachgejagt sind. Das Beste im Menschen bringt ein solches Szenario wahrscheinlich nicht hervor.




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