
Lieber Volker,
ich hatte weder vor in Rente zu gehen, noch plane ich einen meiner fast 700 Mitarbeiter vorzeitig zu entlassen. So sehr ich Deinen in dieser Branche außergewöhnlichen Schreibstil schätze und häufig mit Dir einer Meinung bin, so komme ich nicht umhin, Dir dieses Mal vehement zu widersprechen. Deine Aussagen zu Digitalagenturen sind geradezu populistisch und schlichtweg falsch, oder zumindest vollkommen veraltet. Allein bei der inhaltlichen Verbindung von Bannern und Digitalagenturen stellen sich mir die Nackenhaare hoch. Banner werden schon lange von Media- bzw. Performanceagenturen gebaut, vor allem deswegen, weil Kreativ- und Werbeagenturen der Meinung waren, dass sie auch hier in Schönheit sterben müssen und horrende Preise für Standardprodukte verlangen können. Ja, Banner sind Commodity!
Wozu braucht man noch Digitalagenturen?
1.) Strategische und beraterische Exzellenz liefern. Nicht nur um den großen Beratern, die uns seit Jahren das Fürchten lehren, die Stirn bieten zu können, sondern um tatsächlich Mehrwert und wirtschaftlichen Erfolg jenseits von Marke und Kommunikation leisten zu können. Es geht darum zu verstehen, die richtigen Fragen zu stellen und das wirkliche Problem zu finden. Idealerweise ohne Standards.
2.) Hochwertige belastbare und skalierbare technologische Produkte bauen und entwickeln, die helfen Aufgabenstellungen und Probleme zu lösen, Prozesse zu vereinfachen oder wirtschaftlichen Erfolg zu optimieren. Markeninszenierung oder Kommunikationslösungen sind nur ein kleiner Teil des Angebots.
3.) Technologische Produkte für Menschen von Menschen entwickeln und designen, die den Umgang mit Technologie und das Erleben von Marken und Services zu einem positiven, inspirierenden Erlebnis machen. Neudeutsch auch Customer- oder User- Experience genannt.
4.) All die genannten Punkte und Aufgaben so kreativ und anspruchsvoll umsetzen, dass sie Spaß machen, Marken- und Produkt-Guidelines voll ausschöpfen und zu einem kreativen Erlebnis werden. Hier haben wir wohl noch die größte Überschneidung mit klassischen Agenturen. Geht es doch um Ideen und Kreation.
5.) Immer am Puls der Daten sein, mehr Wissen als der Kunde selber besitzen, die richtigen Fragen stellen und Schlussfolgerungen ziehen, Kreation, Plattformen, Produkte und Kampagnen stets optimieren und dafür sorgen, dass ein konstanter Fluss an potenziellen Kunden mit der richtigen Motivation durch den Funnel kommt.
6.) Bei immer komplexerer technologischer Infrastruktur und steigendem Anspruch an Lösungen und Produkte die notwendige Skalierbarkeit und Adaptionsfähigkeit für globale Konzern-IT sicherstellen.
Ich habe in einem Bilanz-Kommentar einmal gesagt, dass Berater Agenturen zum Frühstück fressen. So wie es aussieht, scheinen sich Berater auf die Spezies Digitalagenturen eingeschossen zu haben, und das nicht, weil diese ganz unten in der Nahrungskette stehen, sondern weil sie schlicht besonders gut schmecken und die Zukunft sind – zumindest in Kombination mit solidem Beratungs-Know-how. Irre ich mich, oder hat Sir Martin Sorrell jüngst postuliert, dass man gut ohne Kreativagenturen auskommen kann? Zumindest sieht das der Börsenprospekt seiner neuen Unternehmung so vor. Sehr spannende Zeiten - in der Tat. Agilität, Flexibilität und Risikobereitschaft sind gefragt. Raus aus der Schublade der Digitalagenturen und rein in eine digitale Zukunft. Sobald ich ein besseres Label für uns gefunden habe, sage ich Dir Bescheid.
Die Replik von Syzygy-Chef Lars Lehne