Christoph Nann, FCB
Dieselgate, Fahrverbote & Co

Wie sich Autowerbung jetzt ändern muss

Die deutsche Automobilindustrie geht durch schwere Zeiten. Die diversen Diesel-Skandale haben nach Volkswagen nun auch andere große Brands erfasst. Aus Sicht von Christoph Nann ist das Kind aber noch längst nicht in den Brunnen gefallen. Der Chief Creative Officer von FCB Deutschland glaubt, dass die Krise zugleich eine große Chance ist - nämlich für die Werbung der Autobauer. Wie sich diese verändern sollte, schreibt er in seinem Gastbeitrag für HORIZONT Online. 
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Man muss sich mal die Mühe machen und die Baureihenclaims der großen deutschen Autohersteller auf deren Webseiten durchklicken. Hier eine kleine Auswahl, willkürlich aus den Big Five herausgepickt:



„Es gibt nur eine Richtung: voraus.“

„Aufregend innovativ.“

„Grenzenlos innovativ.“

„Fortschritt spüren.“ 

„So souverän wie nie.“

„Bereit für eine neue Generation.“

„Vorsprung, formvollendet.“

„Tradition. Zukunft.“ 

„Die Eroberung der digitalen Welt.“

„Masterpiece of Intelligence.“

„Der Anspruch von morgen.“ 

Seien wir ehrlich. Diese Sätze lesen sich im Zeitalter von Dieselgate, Feinstaubdiskussion, Fahrverboten, Rückrufaktionen und Tesla nicht wie überzeugende Positionierungen – sondern eher wie das Pfeifen im Walde.

Der Duden definiert Krise als „schwierige Situation, Zeit, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt“. Eine gute Zeit also, einen echten Wandel zu erwägen. Ganz nach dem Motto: „In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod“.

Lange Zeit war Autowerbung das Maß aller Dinge im Land. Da wurden Looks von Fotografen kreiert, die Maßstäbe setzten, Filme gedreht, die einem den Atem raubten und Kampagnen entwickelt, die selbstbewusst, lässig, überzeugend und wegweisend waren. Und nach wie vor entstehen fantastische Arbeiten. Aber: Die Zeiten haben sich geändert.

In den vergangenen Monaten hat die Realität das Selbstbewusstsein der Automarken komplett überholt.
Christoph Nann
Vielleicht hat es sich schon länger angekündigt – aber in den vergangenen Monaten hat die Realität das Selbstbewusstsein der Automarken komplett überholt: Über Jahrzehnte waren die neue S-Klasse, der neue Golf oder der neue 5er per se relevant. Beeindruckende neue Features reichten als Thema. Und inzwischen zur Bedeutungslosigkeit abgedroschene Begriffe wie Innovation, Effizienz oder Intelligenz waren Botschaft genug. Mit ‚Freiheit’ meinte man nie mehr als die Cabriofahrt über eine Serpentinenstraße; ‚Sicherheit’ war immer nur das schlafende Kind auf dem Rücksitz; ‚Fortschritt’ nicht mehr als der extra-leise E-Antrieb. Das wird in Zukunft nicht mehr reichen. 

Es wird bestimmt nicht einfach sein, auszubrechen. Denn die Routine ist groß, der Druck steigt, und das Tempo zieht ständig an: Der sich schneller drehenden Welt wurde in den vergangenen Jahren mit immer mehr Kommunikationsanlässen begegnet. Und während man von Launchkampagne zu Launchkampagne hetzt, bleibt keine Zeit für die Frage nach der Relevanz, die über das Produkt hinausgeht. Dann ist es halt doch schnell wieder die neuste Baureihe mit der neuen Motoren-Generation („Souverän wie immer. Effizient wie nie“ - oder so). 

Aber man sollte die Fähigkeit der deutschen Automobilhersteller, sich neu zu erfinden, nie unterschätzen. Und was ihre Werbung angeht, können sich alle sicher sein, von guten Agenturen beraten zu werden. Wir dürfen deshalb gespannt sein, was die Werbung aus der Krise macht und wie sich das auf die Kampagnen auswirken wird. Vielleicht drehen sie sich in Zukunft mehr darum, was uns Menschen wirklich umtreibt. Was uns interessiert und beschäftigt, was wir sehen und erleben wollen. Anstelle von Kommunikationsanlässen ist die Frage nach einem substantiellen und vor allem nachhaltigen Kommunikationsgrund angebracht. Marken brauchen Haltung. Ein höheres Ziel. Eine Idee von einer Welt, in der wir leben möchten. Und nicht nur von Autos, in denen wir sitzen wollen.

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