Der ADC feiert 50. Geburtstag und kann sich freuen. Eine gefühlte halbe Ewigkeit langweilte Werbung Made in Germany Konsumenten genauso wie das interessierte Fachpublikum. Doch ausgerechnet im ADC-Jubiläumsjahr spricht ganz Deutschland wieder über Werbung. Vier Gründe, warum Werbung auf einmal "supergeil" ist.
Auch wenn viele Fachleute sich vor allen Dingen über die Einfallslosigkeit der Agenturen bei Bannerwerbung echauffierten, muss man einfach feststellen: 2013 war Werbung in allen ihren Varianten - paid, owned, earned, klassisch, online, viral und was es sonst noch alles gibt - vor allen Dingen eins:
stinklangweilig. Der
Hornbach-Hammer, die
Coca-Cola-Flaschenaktion - viel mehr Bemerkenswertes hatte der Kreativjahrgang 2013 nicht zu bieten, darüber sind sich Awardjuroren, Kreative und
Mediaexperten wie Thomas Koch einig.
Das sieht 2014 ganz anders aus. Wenn es so weiter geht wie in den ersten drei Monaten, werden wir in den nächsten neun dieses Jahres
noch viel Spaß haben: Opel, Edeka, DHL, Ricola: Die Liste ist jetzt schon vergleichsweise lang - und sie könnte noch viel länger werden. Wem oder was verdanken wir diesen Kreativschub?
1. Der Kampf um Aufmerksamkeit der Konsumenten wird zum Kampf um die Aufmerksamkeit um jeden Preis.
Es gab eine Zeit, da widmete sich
VDZ-Präsident Hubert Burda in jedem Interview und auf jedem Kongress der Frage, wie Printtitel in Zeiten eines schier unendlichen Informationsangebotes überhaupt noch die
Aufmerksamkeit der Konsumenten" gewinnen könnten. Doch diese Frage stellt sich nicht nur Zeitschriften- und Zeitungsverlegern. Sie betrifft auch die Werbeindustrie in höchstem Maße.
650 Werbebotschaften pro Tag prasselten in den 80er Jahren auf die Konsumenten ein. Schon damals gab es regelmäßig Hasstiraden über das Zuviel an zu schlechter Werbung. HORIZONT diskutierte Mitte der 90er Jahre intensiv über
10 minütige Werbeblocks, die dem Pro-Sieben-Zuschauer regelmäßig den Krimi, dem RTL-Zuschauer sein Tutti-Frutti vermiesten.
10.000 Botschaften - die Schätzungen schwanken extrem - sind es mittlerweile. Nur wer auffällt, hat eine Chance. Ergo:
Auffallen um jeden Preis heißt die Devise, wie
Mediaexperte Thomas Koch in seiner Wiwo-Kolumne schreibt. Das kann super funktionieren - siehe Edeka und DHL. Das kann aber auch böse nach hinten losgehen. Beispiel: die FKK-Inzenierung für die O2-Tochter Netzclub, eine virale Kampagne mit hohem Fremdschämfaktor, total daneben und deshalb ziemlich peinlich für die Marke O2.
2. Monomedial, viral, crossmedial.
Jung von Matt-CEO
Peter Figge hatte auf dem
Deutschen Medienkongress im Januar
in einer denkwürdigen Diskussion mit FAZ-Digitalchef
Mathias Müller von Blumencron darauf hingewiesen, dass Print (und künftig wohl auch TV) deshalb in der Krise steckt, weil die Auswahlmöglichkeiten für Unternehmen, wo sie Kampagnen platzieren, massiv zugenommen haben. Anzeigenprobleme gibt es also (auch) deshalb, weil genügend
kostengünstige und ebenfalls reichweitenstarke Alternativen existieren. Brutale Conklusio: Die klassischen Medien sind auf Agenturen und Werbungtreibende angewiesen, aber diese nicht unbedingt auf die klassischen Medien.
Dem Kreativen muß es qua Jobdescription ohnehin einigermaßen wurst sein, wo seine Arbeit zu sehen ist.
Hauptsache, sie ist zu sehen. Sein Job ist es, eine Kampagne zu entwickeln und nicht darüber zu verhandeln, zu welchen Rabatten und wo die Kampagne geschaltet wird. Und der Narziß in ihm wird zuflüstern: Lieber einer
geile Viralkampagne, über die die ganze Welt spricht (wie
beispielsweise Edekas- Supergeil"), als ein sauber exekutierter Spot, den viele TV-Zuschauer ohnehin nicht sehen, weil sie auf dem Klo sind oder sich ein Bier aufmachen.
3. Unternehmen und der Zwang zur Innovation und zum Experiment.
Marketingmanager stehen vor zwei ganz großen intellektuellen, strategischen und operativen
Herausforderungen. Herausforderung Nummer 1: Die analoge Werbewelt war überschaubar - TV, Print, Radio, Plakat. Die aktuelle Werbewelt ist ein brutal fragmentiertes und sich permanent diversifizierendes Universum. Jede Woche wird eine neue Sau durchs Dorf getrieben.
Früher hätte man gesagt: das
digitale Dorf. Das Attribut kann man sich sparen: Das Digitale ist eigentlich das ganz Normale, wie
SinnerSchrader-Chef Matthias Schrader in einem HORIZONT-Gastkommentar jüngst geschrieben hat.
Nicht digital, sondern analog - der Röhrenfernseher und -verstärker, das Diktiergerät mit Band, das Auto ohne Computer etc. - ist das eigentlich Exotische. Für Werbungtreibende Unternehmen heißt das: Sie brauchen Mitarbeiter, Dienstleister und Berater, die ihnen helfen, die Komplexität der Kommunikationswelt handelbar zu machen.
Herausforderung Nummer 2: Nur wer wagt, gewinnt. Nicht nur der Produkt-, sondern auch der Werbebereich braucht einen Etat für Forschung und Entwicklung. Kluge Unternehmen wie Coca-Cola, Allianz, Samsung oder DHL stellen den Agenturen Gelder für Projekte jenseits des Werbeeinerlei zur Verfügung. Daraus machen manche Mediaexperten gleich eine goldene
70-20-10-Regel: 70 Prozent des Werbeetats für bekannte und planbare Medien und Kanäle, 20 Prozent für die Optimierung des Mediamix, 10 Prozent für die wilden und überraschenden Geschichten.
Eine solche Standardisierung mag helfen. Sie garantiert aber weder, dass die Werbung des Unternehmens innovativer oder gar erfolgreicher ist, noch schützt sie die Unternehmen vor der Notwendigkeit, auch bei den großen" Kampagnen experimentierfreudiger zu werden. Wer nur bei Guerilla-Marketingaktionen mutig ist, bleibt ein Papiertiger.
Opel-Marketingvorstand Tina Müller hat mit der
"Umparken"-Kampagne genau das Richtige gemacht: Ein Auftritt, der für den Autobauer zumindest so innovativ wie experimentierfreudig ist, weil keine Botschaften stupide " penetriert" werden, sondern der Diskurs gesucht wird. Und die Message - Schaut Euch Opel mal genauer an, wir haben uns viel mehr verändert, als die meisten glauben" - richtet sich an die Mitarbeiter im eigenen Unternehmen genauso wie an die Opel-skeptischen Konsumenten draußen.
Das Pendant vom "Mut zum Experiment" ist auf Agenturseite die "kreative Spielwiese". Kreative brauchen ihre Spielwiesen. Früher führte das unter dem Stichwort "Goldidee" zu teilweise amüsanten, teilweise nervigen, in jedem Fall aber wichtigen Debatten. Mittlerweile haben auch die Unternehmen erkannt, dass eine Goldidee mehr sein kann als eine Maßnahme, um die Anzahl der ADC-Nägel und Punkte beim HORIZONT-Ranking zu steigern: Vor zwei Jahren wäre Jung von Matt beim Edeka-Vorstand mit Supergeil" wahrscheinlich noch abgeblitzt. Inzwischen wissen kluge Unternehmensvorstände: Virale Kampagnen können zu höchst realen Ergebnissen führen.
4. Der Heimat- und/oder Jung von Matt-Faktor.
Es gibt in Deutschland viel mehr gute, kreative Agenturen (egal ob das nun Werbe-, Digital, Design- oder Sonstwie-Agenturen) sind. Doch ohne DDB, Scholz & Friends, Ogilvy und Serviceplan und anderen Hochleitungs-Kreativhäusern allzu nahetreten zu wollen: Seit einigen Jahren dominieren im Grunde zwei Agenturen die Szene: Jung von Matt und Heimat.
Jung von Matt ist die Agentur, die zusammen mit Springer & Jacoby den Deutschen beigebracht hat, dass TV-Werbung besser sein kann als das Fernsehprogramm.
Heimat ist die Agentur, die den Surrealismus im Werbeblock salonfähig gemacht hat und digitale Crossmedia-Kampagnen realisierte, als alle Welt noch über den angebliche Unvereinbarkeit von TV, Print und Digital schwadronierte.
Beiden Agenturen gemeinsam ist der
Wille und die Fähigkeit, nicht nur Werbung, sondern vor allen Dingen gute Werbung zu machen. Insbesondere Heimat schafft es, 360-Grad-Kampagnen nahezu idealtypisch umzusetzen: Der
"Hammer" war nicht bloß eine intelligente Print- und TV-Kampagne, oder ein lustiger Viralspot, sondern eine brilliante Idee, die nahezu perfekt in allen relevanten Medien/Kanälen durchdekliniert wurde.
Ein Auftritt wie Hornbach, eine Kampagne wie die für die DHL - davon träumen viele Kreative. Dieser JvM/Heimat-Faktor spornt an: So gesehen können wir uns im Mai auf eine
hammermäßige ADC-Preisverleihung freuen - und auf die nächsten Monate mit außergewöhnlichen Kampagnen.
vs